Dirigent, Komponist, Pianist, Musikvermittler, Menschenfreund: Leonard Bernstein hat jahrzehntelang Menschen weltweit begeistert. Am 25. August wäre er 100 Jahre alt geworden. Anlass für das Label Warner Classics zu gratulieren – mit einer Rückschau auf sein vielseitiges Schaffen.
Am Dirigentenpult steht hier allerdings nicht der Maestro selbst, sondern seine Nachfolger im Geiste. hr2-Musikkritikerin Ursula Böhmer stellt die CD "The Sound of Leonard Bernstein" vor.


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Loca-tag 'teaser_more_audio_sr' not found Ursula Böhmer über die CD "The sound of Leonard Bernstein"
Erst die Drohgebärde, dann vermeintlich lässiges "Ich kann doch kein Wässerchen trüben"-Gehabe – den Feind dabei aber immer im Blick: Genial, wie Leonard Bernstein die Hahnenkämpfe unter den New Yorker Jugendgangs "Jets" und "Sharks" in Klänge setzt. Die Tänze, die er 1961 aus seinem Erfolgs-Musical "West Side Story" als eigenständiges Orchesterwerk herausgefiltert hat, gehen nach wie vor ins Ohr – und in die Beine.
Fürs puerto-ricanische Temperament sorgt auf dieser Aufnahme das phänomenal rhythmussichere und klangstarke "City of Birmingham Symphony Orchestra". Am Dirigentenpult steht ein den Frankfurtern bestens Bekannter: Paavo Järvi, Ehrendirigent des hr-Sinfonieorchesters. Järvi hat einst bei Leonard Bernstein die renommierten Meisterklassen im amerikanischen Tanglewood besucht. Dabei hat er ihn kennengelernt als jemanden, der selbst im gängigen Repertoire unerhörte Details aufspürte, immer wieder Neues ausprobierte und diese Neugierde auch seinen Studierenden vermittelte. "Er war Musik! Man konnte seine körperlichen Gesten nicht trennen von dem, was man hörte" - so hat Paavo Järvi das Phänomen Bernstein einmal beschrieben.
1600 Pennsylvania Avenue

Die CD "The sound of Leonard Bernstein" versammelt aber nicht nur bekannte Klänge aus dem Schaffen von Leonard Bernstein. Sondern auch: Das Musical "1600 Pennsylvania Avenue" - ein Stück, dass man heute gar nicht mehr auf den Bühnen hört. Dabei könnte dieses Werk von 1976 aktueller nicht sein. Denn es nimmt die Bigotterie sämtlicher amerikanischer Präsidenten auf die Schippe, die zwischen 1800 und 1900 im Weißen Haus saßen. Bernstein brandmarkt hier vor allem den Rassismus. Nicht von ungefähr floppte das Stück am Broadway – zumal noch die "Watergate-Affäre" in der Luft lag. Der Pragmatiker Bernstein recycelte Auszüge aus seinem Musical daraufhin in anderen Stücken.
Die Sänger und Musiker vom Ambrosian Chorus und der London Sinfonietta machen unter Dirigent John McGlinn Lust darauf, "1600 Pennsylvania Avenue" mal wieder auf einer Bühne zu sehen. Dazu müsste man allerdings erst mal Bernsteins Erben beknien, die bislang die Wieder-Aufführungsrechte an dem originalen Musical verweigern. Rechtlich unproblematischer sieht die Sache bei Bernsteins sinfonischem Schaffen aus – auch das ist vergleichsweise selten zu hören. Mit Ausnahme der dritten Sinfonie, die den Beinamen "Kaddish" trägt. Der schockierte Bernstein komponierte diese Musik 1963 im Eindruck des Attentats auf John F. Kennedy.
In seiner dritten Sinfonie verwendet Bernstein Texte aus dem traditionellen jüdischen Totengebet "Kaddish" – und kombiniert sie mit persönlichen Klagen seinem Gott gegenüber. Auf der Aufnahme mit dem "Orchestre Philharmonique" und "Choeur de Radio France" ist es der wunderbare Yehudi Menuhin, der diese Texte ruhig-besonnen spricht. Ein ruhender Pol zu den dramatischen Chor- und Orchestereinlagen, die Dirigent Yutaka Sato äußerst präzise zusammenhält.
Auch Yutaka Sato wurde einst von Leonard Bernstein bei den Meisterkursen in Tanglewood gefördert. Sato war zeitweilig zudem Assistent von Bernstein und begleitete ihn 1988 auf einer Tournee mit dem von Bernstein damals gerade gegründeten Orchester des Schleswig-Holstein-Musikfestivals. Umgekehrt half der japanische Dirigent seinem Mentor 1990 beim Aufbau des ersten Pacific Music Festival in Sapporo. Es war eine von Bernsteins letzten Taten als unermüdlicher Musikvermittler und Musikenthusiast. Am 14. Oktober 1990 starb er. Bernstein, der Zeit seines Lebens darunter litt, dass er als Komponist nicht genauso anerkannt war wie als Dirigent, hat ein vielseitiges Oeuvre hinterlassen: Die CD "The Sound of Leonard Bernstein" bringt Bernsteins Klängen einmal mehr ins Bewusstsein zurück: Mal jazzig aufmüpfig, mal charaktervoll kantig und deftig, mal berückend klassisch-schön – immer aber tief berührend.
The sound of Leonard Bernstein
Interpret: Yehudi Menuhin,Wayne Marshall,Sabine Meyer,Ambrosian Chorus, Choeur de Radio France, Orchestre Philharmonique de Radio France, London Symphony Orchestra, City of Birmingham Symphony Orchestra, Birmingham Contemporary Music Group, London Sinfonietta, Bournemouth Symphony Orchestra, Andre Previn, Paavo Järvi u.a.
Label: Warner Classics
Labelcode (LC): 02822
Bestell-Nummer:8072252
Fazit
Der Klang von Leonard Bernstein: Vielseitig, enthusiastisch, temperamentvoll, jazzig, klassisch melodiös – und einfach nur berührend. Die CD "The sound of Leonard Bernstein" ist eine wunderbare Rückschau auf Bernsteins kompositorisches Schaffen.
Vorgestellt von Ursula Böhmer
Sendung: hr2-kultur, Klassikzeit, 24.08.18, 10:30 Uhr