Seinen frühverstorbenen Freund Novalis hatte Ludwig Tieck, geboren am 31. Mai 1773, bereits um viele Jahrzehnte überlebt, als er 1853, im Alter von fast 80 Jahren, starb. "König der Romantik" hat ihn Friedrich Hebbel genannt, doch er war weit mehr. Er hat nicht nur den Epochenumbruch um 1800 schriftstellerisch mitgestaltet, sondern darüber hinaus die Geistes- und Literaturgeschichte bis weit ins 19. Jahrhundert mitgeprägt. Nach aufklärerischen Anfängen hatte er literarisch bereits umgesetzt, was seine frühromantischen Kollegen später theoretisch formulierten: die Begegnung des Außergewöhnlichen mit dem Alltäglichen, den Einbruch des Wunderbaren in die Wirklichkeit. Erfunden hat er den Begriff der "Waldeinsamkeit". Einige Titel seiner Werke sind noch geläufig: "Der blonde Eckbert", "Der getreue Eckart", "Eigensinn und Laune", "Des Lebens Überfluss", "Phantasus". In nahezu allen literarischen Gattungen, von der Lyrik bis zum Drama, vom Roman bis zu Märchen und Erzählung verfasste er stilbildende Werke, mit einer Motiv- und Formenvielfalt, die von mittelalterlicher Volksdichtung bis in die Moderne reichen. Seine Novellen wurden Vorbild für mehrere Autorengenerationen, von E.T.A. Hoffmann bis zu Droste-Hülshoff, C.F. Meyer und vielen anderen; manchmal meint man den Georg Büchner-Ton zu vernehmen. Die Literaturwissenschaft hat sich lange Zeit schwergetan mit dem Autor; die Verknüpfung des Außerordentlichen mit der Alltagsrealität fand nicht durchweg Zustimmung. Sogar eine nihilistische Weltsicht hat man ihm vorgeworfen. Auf Unverständnis stießen auch die Auflösung des linearen Erzählens, die Einbeziehung des Publikums in seine Dramen, literarische Elemente, die noch im Theater Brechts oder Pirandellos zu erkennen sind. Neben seinem dichterischen Schaffen hat sich Tieck auch als Kritiker, Herausgeber und als begnadeter Vorleser einen Namen gemacht, zu seinen Lebzeiten berühmt in ganz Deutschland. Darüber hinaus hat er der Weltliteratur Eingang in den deutschen Kulturraum verschafft, als Übersetzer und Vermittler von Cervantes bis Shakespeare. Zur Wiederentdeckung des Mittelalters hat er erheblich beigetragen. Erst seit wenigen Jahrzehnten wird die Bedeutung der weitreichenden literarischen Leistung Ludwig Tiecks anerkannt und gewürdigt.

Autor: Simm, Hans-Joachim

Quelle: © Hessischer Rundfunk

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