Einst galt die Kraft der Kernspaltung auch in Deutschland als Garant für Wachstum und Wohlstand. 1955 wurde Franz-Josef Strauß erster "Atom-Minister". Im Jahr darauf forderte ein SPD-Parteitag "die Entwicklung von Kernkraftmaschinen … für feste und fahrbare Kraftstationen, für Schiffe, Flugzeuge und andere Verkehrsmittel". 1961 lieferte der erste Atomreaktor Strom für die Westrepublik. 1966 ging das erste Kernkraftwerk der DDR ans Netz.

"Kernenergie" - von "Atomkraft“ sprachen damals nur die Gegner - war lange Staatsräson: der Treibstoff des Fortschritts, die Rettung vor der "Ölkrise". Milliarden flossen in die Forschung und den Bau der Reaktoren. Bei der Beseitigung des strahlenden Mülls halfen Behörden großzügig - bis an die Grenzen der Legalität.

Die politische Schlacht um das Für und Wider währte Jahrzehnte. Durch den Super-GAU von Tschernobyl 1986 wuchsen die Zweifel. Doch erst die dreifache Kernschmelze von Fukushima 2011 zementierte den deutschen Ausstieg. Ende 2022 sollen die letzten drei deutschen AKW abgeschaltet werden. Eine Ära geht zu Ende. Wie teuer wird sie uns zu stehen kommen?

Der Abriss der Atomruinen wird Jahrzehnte dauern. Schon heute warten an die 120 000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfälle in Zwischenlagern auf ihre letzte Ruhestätte. Bis zum Jahr 2050 sollen noch einmal rund 180 000 Kubikmeter hinzukommen. Das größte Müllproblem: das hochradioaktive Erbe. Wenn Ende dieses Jahres das letzte deutsche AKW abgeschaltet wird, dürften es etwa 27 000 Kubikmeter sein – circa 1 900 Behälter mit Abfällen, die noch viele hunderttausend Jahre gefährlich bleiben.

Doch schon ist – nicht zum ersten Mal – von einer Renaissance der Atomkraft die Rede. Nachbarn wie Frankreich setzten ohnehin auf die nukleare Option. Wachsende Spannungen in Europa haben die Debatte um die Versorgungssicherheit auch in Deutschland neu eröffnet.

NDR 2022

Sendung: hr2-kultur, "Feature", 12.06.2022, 18:04 Uhr.