Schon immer haben drei Bestandteile ausgereicht, um die Welt neu zu erschaffen und zurück ins Chaos zu stürzen: Vater, Mutter, Kind. Yade Yasemin Önder bringt diese Akteure in ihrem Romandebüt virtuos auf Kollisionskurs.

Im Jahr nach Tschernobyl wird die Ich-Erzählerin geboren, irgendwo in der Westdeutschen Provinz, als "Mischling aus meiner Mutter und meinem Vater", wie es heißt. Doch die intakte Kernfamilie währt nicht lange: Der türkische Vater (so übergewichtig, dass man "fast nichts mit ihm machen kann, was mit Schwerkraft zu tun hat") stirbt. Alleingelassen ergeben Tochter und Mutter eine toxische Mischung.

Der Roman erzählt, wie ein Mädchen hinausfindet aus einer beschädigten Familienaufstellung hinein in eine düster-funkelnde BRD. Er erzählt von einem Großvater mit Loch im Hals, von Sommern in Istanbul, die nach zu heißen Elektrogeräten riechen und nach Anis; von Dingen und Menschen, die auf Nimmerwiedersehen aus dem Fenster fliegen. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die sich immer wieder verliert und wiederfindet, auseinanderfällt und neu zusammensetzt. Bei alldem bleibt der Vater ein Wiedergänger, der deutlich macht: Auch jemand, der fehlt, kann zu viel sein.

Am 15. Juni stellt Yade Yasemin Önder ihr Buch im Literaturhaus Frankfurt vor - moderiert von Hadija Haruna-Oelker. In der Spätlese senden wir einen Ausschnitt aus der Lesung.

Sendung: hr2-kultur, Spätlese, 21.06.2022, 22:00 Uhr.