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Der Junge in der Ecke

Mit acht, mit deinem besten Freund hinten beim Schuppen oder an der Kellertür stehen (ein Dreiminutentreppenhauslicht tickt die Zeit weg; das ganze Haus riecht nach Ordnung und Bohnerwachs). Lang in den Abend hinein, lang am Rand der Nacht. Lang habt ihr gespielt. Als der Tag dem Ende nahte und die Nacht hereinbrach, konntet ihr eure Mütter euch zum Abendbrot rufen hören.
Und ganz hinten in einer Ecke ein Junge, der sich wünscht, seine Mutter riefe ihn zum Abendbrot. Ganz allein und mit großem Hunger lauschte er, wie nun alle anderen Kinder den Rufen ihrer Mütter folgten. In der Kauerstellung angelehnt an die Scheune laufen ihm Tränen über die Wangen, er wusste nicht, warum ihm so geschieht. Also ignorierst du die Rufe deiner Mutter und folgst seinem hilflosen Schluchzen. Du streckst ihm deine Hand entgegen und versuchst ein Lächeln zu erzwingen.
Dir fällt es schwer dich emphatisch anderen gegenüber zu zeigen, aber andererseits aber trotzdem: Du kannst nachvollziehen, wie er sich fühlen muss. Es steht ihm ins Gesicht geschrieben, wie ins Gesicht geschrieben, wie verwundert er ist, denn mit Hilfe hat er nicht gerechnet. Hand in Hand folgt ihr nun zusammen den Rufen deiner Mutter und du bietest ihm an mit euch zu essen. Langsam kommt das Leuchten in seine Augen zurück und der Tod, der ihn sich schon bald holen wollte, wendet sich ab.

Elisa Scholz