John Scofield beim 54. Deutschen Jazzfestival Frankfurt

Das Deutsche Jazzfestival Frankfurt feiert seinen 70. Geburtstag. Dazu kommen neben internationalen Acts wie dem John Scofield Trio, Jakob Bro & Joe Lovano oder Terri Lyne Carrington mit der hr-Bigband auch viele heimische Künstlerinnen und Künstler wie Lucia Cadotsch, Torsten de Winkel, Anke Helfrich oder die jungen Musiker von Structucture.

Das Programm

Mittwoch 25.10.2023
hr-Sendesaal
hr-Bigand feat. LIUN + The Science Fiction Band 

Lucia Cadotsch

 Die Geschichte dieses Projekts begann 2012 in einer brandenburgischen Waldhütte, wie Lucia Cadotsch im Interview erzählt: „Wanja (Slavin) und ich, wir wollten schon ewig mal was machen und (die Musikproduktions-Software) Ableton lernen und hatten beide so ganz leere Kalender und nix zu tun und haben uns einfach zurückgezogen, um Songs zu schreiben.“ Zunächst ohne konkretes Ziel, sammelte sich schließlich im Lauf von sieben Jahren genügend Material für „Time rewind“ an. Gitarrenheld Kurt Rosenwinkel fand das Album „sooooo killing ... an instant classic“, und der Musiker Francesco Wilking beschrieb es als „Synthpop für die Menschen von übermorgen“. LIUN, das Duo-Projekt von Cadotsch und Slavin klang nämlich überhaupt nicht nach Waldhütte mit folkig gezupften Gitarren, sondern es troff nur so von fetten Synthesizer-Klängen, elektronisch britzelnder Perkussion und düster-opulenten Arrangements. „Alle Instrumente spielend, arrangierend, produzierend und gleichzeitig mischend fühlte ich mich wie ein Oktopus an einer Kino-Orgel“, beschrieb Wanja Slavin später die Produktion des Albums.  

 

Aus dem Wunsch, die elektronischen Arrangements auch mit akustischen Instrumenten auf die Bühne bringen zu können, entstand das Science Fiction Orchestra als Tentett mit sechs Bläsern und Rhythmusgruppe. Das Album „Lily of the Nile“ von 2022 gibt Zeugnis vom Klang dieses Ensembles, das größtenteils die vom Debüt bekannten Songs in neue Arrangements kleidet und dabei auch Platz für improvisierte Soli bereitstellt.   

Beim Deutschen Jazzfestival wird neues Material seine Live-Premiere erleben. Bereits vor zwei Jahren, als die Sängerin mit ihrem Trio „Speak Low“ im Sendesaal begeisterte, wurde dieser Coup eingefädelt. Cadotsch und Slavin arbeiten an aktuellen Songs und dank hr-Bigband kann Wanja Slavin in seinen Arrangements klanglich noch mehr aus dem Vollen schöpfen. Der gefeierte Saxofonist wird die 13 Bläser dabei auch durch Synthesizer-Sounds ergänzen. Zu erwarten sind berückend schöne Melodien, tiefgründige Texte und opulent-vertrackte Arrangements, mit einem Wort: Bigband-Synthpop für die Menschen von übermorgen ...?!   

Lucia Cadotsch Gesang
Wanja Slavin Saxofon, Keyboards  
Hendrika Entzian Leitung  
hr-Bigband  

Mittwoch 25.10.2023
hr-Sendesaal
Rebecca Trescher Quartett 

Rebecca Trescher

2022 regnete es Auszeichnungen für Rebecca Trescher: Mit ihrem Tentett gewann sie den Neuen Deutschen Jazzpreis in Mannheim, für ihren „Paris Zyklus – The Spirit Of The Streets“ erhielt sie den Deutschen Jazzpreis, Nachfolger des Echo Jazz, und das renommierte Down Beat Magazin kürte sie zum „Rising Star“ auf der Klarinette.  

Es war der vorläufige Höhepunkt einer ungewöhnlichen Laufbahn. Musiker*innen, die „nur“ Klarinette spielen, sind nach wie vor selten im Jazz, und ein Jazz-Tentett mit Harfe und Cello darf man getrost als exotisch bezeichnen. Aber Rebecca Trescher, 1986 in Tübingen geboren, absolvierte eben eine klassische Ausbildung auf der Klarinette und sie sammelte ihre ersten musikalischen Erfahrungen etwa in der jungen Sinfonie Reutlingen und mit kammermusikalischen Projekten. Erst durch eine Schulcombo und  

eine Platte von Steffen Schorn und Claudio Puntin kam sie zum Jazz. Wegen Steffen Schorn ging sie für ihr Jazzstudium nach Nürnberg. Die Faszination für das Orchestrale verließ Rebecca Trescher dabei nicht, und im Rahmen eines Masterstudiengangs Komposition bei Christian Elsässer in München entwickelte sie diese weiter. Als Composer in Residence der Nürnberger Tafelhalle und im Schreiben für ihr Tentett sind und bleiben Großbesetzungen ein wesentlicher Teil ihres künstlerischen Schaffens.  

hr-Bigband

Daneben interessiert sich Trescher aber auch für kleinere Besetzungen, vom Solo über Duos bis zum Quartett. Ihr Quartett-Album „Silent Landscapes“, 2022 bei enja erschienen, beeindruckt mit ungewöhnlichen Kompositionen, Klängen und Konstellationen. Aber die umtriebige Musikerin ist schon längst weiter. „Ja, ich bin konstant am Schreiben für verschiedene Besetzungen“, sagt sie im Interview. Sie brauche das zur Inspiration und Weiterentwicklung. Mittlerweile zwischen ihrem Hauptwohnsitz Nürnberg und einer Zweitwohnung in Berlin pendelnd, erprobt sie derzeit neue Konzepte und Kontakte.  

Zum Deutschen Jazzfestival bringt Rebecca Trescher drei Musikerfreunde aus Nürnberg mit: den Pianisten Andreas Feith, der auch zum Tentett gehört und sich ebenfalls nicht über einen Mangel an Auszeichnungen beklagen kann, den Bassisten Christian Diener und den Schlagzeuger Moritz Baumgärtner, bekannt etwa aus dem "Lisbeth Quartett".  

Rebecca Trescher Klarinette, Bassklarinette, Komposition 
Andreas Feith Piano 
Christian Diener Kontrabass 
Moritz Baumgärtner Schlagzeug 


Mittwoch 25.10.2023
hr-Sendesaal
Torsten de Winkel – The Art of Uncertainty 

Torsten de Winkel

Der gebürtige Frankfurter gilt als passionierter Grenzüberschreiter. In den vergangenen vier Jahrzehnten haben sich seine Wege mit Künstler*nnen aus den unterschiedlichsten Genres und Generationen gekreuzt, darunter eine erstaunliche Zahl von Grammy-Preisträgern von Pat Metheny und Leo Genovese bis zur spanischen Flamenco-Pop-Sensation Rosalia. 

De Winkels Geschichte ist auch mit dem Deutschen Jazzfestival verknüpft. Bei dessen 18. Ausgabe 1982 wurde der damals 17-jährige Gitarrist im Rahmen der Newcomer Night erstmals präsentiert. Im folgenden Jahr war er Gast einer Aufnahmesession des hr-Jazzensembles, an der auch der Fusionschlagzeuger Alphonse Mouzon teilnahm. Dieser lud de Winkel in die USA ein und trommelte auf dessen Debutalbum „Mastertouch“ (1985), für Uli Olshausen damals „der Coup der deutschen Jazzgeschichte“ (FAZ). Es machte den immer noch blutjungen Musiker mit einem Schlag bekannt, auch wegen des beeindruckenden Line-Ups mit u. a. Michael Brecker, Ernie Watts, Billy Cobham und europäischen Größen wie Joachim Kühn und Helmut Hattler, mit dem de Winkel mittlerweile auf 35 Alben zu hören ist.  

Mit Watts, dem ehemaligen Santana-Keyboarder Tom Coster, Schlagzeuger Steve Smith und dem bemerkenswerten Basstalent Kai Eckhardt ging de Winkel noch im selben Jahr auf Deutschland-Tournee und wurde 1986 beim Deutschen Jazzfestival gefeiert. Ab Ende der 1980er Jahre suchte der Gitarrist sein Glück in den USA, studierte am Bostoner Berklee College und baute seine Kontakte zur amerikanischen Szene aus. Er spielte etwa mit Steve Smiths Band Vital Information, veröffentlichte zwei Alben mit Larry Grenadier und Bob Moses und tourte schließlich mit der Pat Metheny Group. 1997 war der Gitarrist erneut auf dem Deutschen Jazzfestival zu Gast, diesmal mit der New York Jazz Guerilla, damals u.a. mit Ravi Coltrane und Terri Lyne Carrington. Durch das von ihm initiierte multikulturelle Musikerkollektiv und durch eine Tour mit dem israelischen Pianisten Sasi Shalom zeigte sich in dieser Zeit zum ersten Mal de Winkels Anspruch, nicht nur Musik zu machen, sondern als Künstler gleichzeitig an einer besseren, gerechteren Welt mitzubauen.  

Noch konsequenter verfolgt er diesen Ansatz seit 2005 mit seinem Weltbegegnungsfestival Bimbache openART auf der kanarischen Nachhaltigkeitsinsel El Hierro. Die „kleine gelebte Utopie“ bringt Musiker aus verschiedensten Kulturkreisen zusammen und integriert dabei immer auch die lokale Community. Open Spaces für Schriftsteller, Maler oder Wissenschaftler unterstreichen den interdisziplinären Charakter des Festivals und fördern das gemeinsame Streben nach einem nachhaltigeren, partnerschaftlicheren Miteinander der Menschheit. Durch das Bimbache Projekt haben sich Torsten de Winkel auch künstlerisch neue Türen geöffnet, zur spanischen Jazz- und Flamencoszene, zur kanarischen Folklore oder zur Trance-Musik des Maghreb. So wird er dieses Jahr im Juni beim legendären Gnawa-Festival im marokkanischen Essaouira gleich mit zwei der großen Maalems des Genres auftreten. Aber auch die Gesänge iranischer Sufis, die Klassik Nord- und Südindiens, Yoruba-Rhythmen oder der Mbalax senegalesischer Griots haben längst ihren Platz auf seiner Palette gefunden. Für das Deutsche Jazzfestival hat er eine Besetzung zusammengestellt, in der einige seiner liebsten Freunde und Kollegen aus aktuellen und vergangenen Projekten, alle selbst für ganz unterschiedliche musikalische Grenzgänge bekannt, erstmals aufeinandertreffen. 

Torsten de Winkel Gitarre, e-Sitar, Elektronik 
Karim Ziad Schlagzeug, Gesang, Guembri 
Gwilym Simcock Piano 
Kike Perdomo Saxofon, Flöte 
Jonathan Cuñado Bass 

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Donnerstag, 26.10.2023
hr-Sendesaal
Anke Helfrich – „We’ll rise“ 

Anke Helfrich

 „Belongs to the leading jazz pianists in Germany today” oder „gehört inzwischen zu den herausragenden weiblichen Jazzmusikern in Europa“, sind zwei Pressezitate von Anke Helfrichs Website, die doch immer noch zu vorsichtig bleiben: Warum nicht Weltklasse-Pianistin? Die Liste ihrer Auszeichnungen und vor allem der großen Namen, mit denen sie gespielt hat, ist beeindruckend und längst wird Anke Helfrich auch international wahrgenommen als die starke Musikerinnenpersönlichkeit, die sie ist: Inspiriert vom Hard Bop hat sie zu einem eigenen Stil gefunden, ausgezeichnet durch immense Musikalität, Klangsinnlichkeit, Virtuosität und die Fähigkeit zuzuhören. Erdige Bluesphrasen und berückender Schönklang, Inside und Outside-Spiel, kraftvolle Quartenrückungen und fragile Sekundreibungen: Anke Helfrich verfügt über ein großes Arsenal pianistischer Möglichkeiten. Darüber hinaus verschmilzt sie seit einiger Zeit Musik und Haltung zu hochinteressanten Projekten. Man denke etwa an „The Prize“ (2015), ihre beeindruckende Musikalisierung von Martin Luther Kings Rede „I Have a Dream“. Vergessenen Pionierinnen aus Kunst, Wissenschaft und Sport widmet Anke Helfrich nun ihr fünftes und neuestes Album als Leader, und das Deutsche Jazzfestival wird dessen Release-Konzert die Bühne bereiten.  

Eine der Frauen, mit denen sich die Pianistin für dieses Projekt intensiv beschäftigt hat, ist die australische Leichtathletin Cathy Freeman. Durch ihren Sieg im 400m-Rennen bei den Olympischen Spielen in Sidney 2000, schaffte es die Aborigine-Sportlerin, indigene Menschen auf positive Weise sichtbar zu machen und in der australischen Bevölkerung Stolz an die Stelle von Vorurteilen zu setzen. Die britische Forscherin Rosalind Franklin, Entdeckerin der Doppelhelix-Struktur der DNA, ist eine weitere Pionierin, der Anke Helfrich nun musikalisch Referenz erweist. Der Albumtitel „We’ll rise“ bringt auf den Punkt, worum es geht: Frauen stehen auf, werden sichtbar, werden mehr. Das gilt natürlich auch für Instrumentalistinnen im Jazz, die die Szene mehr und mehr bereichern. Anke Helfrich wird von ihnen als Vorreiterin und role model wahrgenommen. Dass sich eine ihrer Kompositionen unter den „101 New Standards“ von Komponistinnen findet, die Terri Lyne Carrington herausgegeben hat, passt ins Bild.  

Zu ihrem Trio, mit dem sie in dieser Form seit 2016 tourt, gesellt sich wie auch auf dem Album als special guest der Posaunist und Didgeridoo-Spieler Adrian Mears. Die längste Geschichte verbindet sie mit dem Bassisten Dietmar Fuhr, der übrigens auch Kollege im Dozententeam des Jazzstudiengangs am Dr. Hochschen Konservatoriums ist, den Anke Helfrich seit 2011 mit großem Herz und Engagement leitet. Höchste Zeit, dass diese Ausnahmemusikerin auf dem Deutschen Jazzfestival auftritt.   

Anke Helfrich, Piano 
Adrian Mears, Posaune, Didgeridoo 
Dietmar Fuhr, Bass 
Jens Düppe, Schlagzeug 


Donnerstag, 26.10.2023
hr-Sendesaal
Roger Kintopf / Structucture 

Roger Kintopf Structucture

 Je länger man sich mit Musik beschäftigt, desto seltener begegnet man Bands, die auf verblüffende und zugleich zwingende Weise neu und anders klingen. Das Quartett Structucture ist so eine Band. In seiner Musik ist eine Freiheit und eine Tiefe zu spüren, die fasziniert und bewegt. Die vier jungen Instrumentalisten kommunizieren auf eine Weise, die über das übliche Maß hinausgeht. Sie umgarnen sich, geraten ins Stocken, halten inne, preschen voran und scheinen dabei wie auf telepathische Weise miteinander verbunden. Sie arbeiten mit dem Vertrauen, dass sie über die Jahre aufbauen konnten, sagt Roger Kintopf, der mit seinen 24 Jahren ungefähr den Altersdurchschnitt der Band repräsentiert. Tatsächlich lernten sich der aus Darmstadt stammende Bassist, der aus Bensheim stammende Schlagzeuger Felix Ambach und der aus Seligenstadt stammende Saxofonist Victor Fox schon 2014 bei einer Arbeitsphase des Hessischen Landesjugendjazzorchesters kennen. Sie begannen sich zu treffen, zusammen Musik zu schreiben, frei zu improvisieren und sich spielerisch gemeinsam ein Vokabular zu erarbeiten. Offensichtlich beflügelten sich die drei gegenseitig, denn ihre Entwicklung nahm zumindest aus der Distanz betrachtet, ein atemberaubendes Tempo auf.  

 Der dänische Saxofonist Asger Nissen, mit heute 27 Jahren der Älteste, kam 2016 dazu und die bis dahin als Kollektiv organsierte Band übergab Roger Kintopf fortan als Komponist und Leiter die Hauptverantwortung für Structucture. Das bereits fünfte Album der Formation erscheint im November. Aufgenommen wurde es im südfranzösischen La Buisonne, bekanntlich eines der Lieblingsstudios von Manfred Eicher. Der Gewinn des Studiopreises beim Festival „Tremplin Jazz“ in Avignon machte es möglich.  

 Die Musik lotet Grenzbereiche aus, auch klanglich: Wer sagt, dass der Bass immer nur die tiefen Register zu bedienen hat, wo er doch auch fiepen und zwitschern kann? Die Rollenverteilung wird scheinbar ständig auf spielerische Weise neu austariert. Komplexe Kompositionen mit neutönerisch-kantigen Linien und dissonanten Reibungen und häufig offener Rhythmik setzen Dialoge in Gang, in denen alles möglich scheint. Und doch wirkt das Resultat zu keinem Zeitpunkt verkopft oder gewollt konstruiert. Im Gegenteil: Diese Musik scheint immer in sich logisch, bedeutungsvoll und vor allem lässt sie einen nicht kalt. „Wärme, Ehrlichkeit, Vertrauen und Freundschaft“ bilden die Grundlage von Structucture, so Roger Kintopf. Wer sich auf ihre Musik einlässt, versteht, was er damit meint. 

Asger Nissen Altsaxofon, Altklarinette
Victor Fox Tenorsaxofon, Bassklarinette 
Roger Kintopf Bass 
Felix Ambach Schlagzeug 


Donnerstag, 26.10.2023
hr-Sendesaal
John Scofield Trio 

John Scofield Trio

 „Johns Spiel ist voller Stolperer und Aussetzer. Es ist sehr nah am wirklichen Leben, was er macht“. Mit diesen Sätzen bringt Steve Swallow ziemlich gut auf den Punkt, was den Musiker John Scofield auszeichnet. So zu hören in Jörg Steinecks liebevollem Filmporträt des „road dog“, der seit bald 50 Jahren die Hälfte seiner Zeit auf Tournee verbringt („Inside Scofield“, 2022). B. B. Kings Art die Gitarre singen zu lassen, weckte in ihm den Wunsch, Musiker zu werden, Jimi Hendrix‘ scheinbar nicht zu übertrumpfende Rock- und Bluesmeisterschaft, lenkte ihn zum Jazz. Und wie niemand sonst integrierte John Scofield die Ausdruckskraft der Bluesgitarre in eine Jazzstilistik, die harmonisch, melodisch und konzeptionell stets auf der Höhe ihrer Zeit war und noch immer ist. Der Spagat zwischen erdig groovenden Kompositionen und virtuos-komplexen Improvisationen gelingt kaum jemandem so überzeugend wie John Scofield.  

 In seinem aktuellen Trio, dessen Doppelalbum im September bei ECM erscheint, spielen zwei Musiker, mit denen ihn unterschiedlich lange Geschichten verbinden. Schon 1991, auf dem Album „Meant to Be“, begann die Zusammenarbeit mit Bill Stewart. Seitdem sorgt der Schlagzeuger in der Mehrzahl von Scofields Projekten für infektiöse Beats, kontrapunktische Begleitungen und „manchmal die besten Soli des ganzen Abends, und die musikalischsten“, wie der Gitarrist im Film schwärmt. Bill Stewarts Spiel wecke die Musik zum Leben und sei ein konstanter Ansporn für seine Mitmusiker (im unverblümten O-Ton: „he kicks our ass“).   

 1975, als John Scofields Karriere begann, wurde Vicente Archer wurde geboren. Seit fünf Jahren schätzt der Gitarrist nun den Swing und die Kreativität des Bassisten sowie die hohe Qualität seiner Improvisationen. „Wir sind drei Musiker mit einer besonderen Synergie und das Trioformat kitzelt schon immer meine Stärken heraus“, sagt Scofield über die Besetzung. Es geht weniger um Songs oder Arrangements, sondern vielmehr darum, was im gemeinsamen Improvisieren Konzert für Konzert aus ihnen entsteht. Niemand kann voraussagen, welcher Abend vielleicht nur mäßig gelingt, wie der sympathische Musiker viel zu bescheiden im Film von sich gibt, und wann die Musik durch die Decke geht: „Es kommt darauf an, da zu sein, im Fall, dass es passiert.“ Der Titel des neuen Albums, „Uncle John’s Band“, kokettiert nicht nur mit dem Alter seines Protagonisten: „Die Leute, mit denen ich spiele, sind meine besten Freunde“, sagt er. Und dann kommt ein Satz, den man nicht angemessen übersetzen, aber sehr gut verstehen kann: „and they love the hell out of me.“  

John Scofield Gitarre 
Vicente Archer Bass 
Bill Stewart Schlagzeug 

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Freitag, 27.10.2023
Clubs in Rhein-Main
u.a. Jean-Philipp Bordier Quartet

Nach ihrem erfolgreichen Debüt im vergangenen Jahr richtet die „Clubnacht“ das Spotlight wieder auf die Jazzlocations der Stadt: Konzerte in sechs unterschiedlichen Locations.

Jean Philippe Bordier Quartet

Mit dabei sind die Jazz-Initiative der Stadt Frankfurt mit JO, Die Fabrik mit Jo Bartmes’ Submaroon, die Milchsackfabrik, Jazz Montez mit Àbáse, J. Lamotta, der Jazzkeller mit dem Jean-Philippe Bordier Quartet und neu das Ono2. 

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Samstag, 28.10.2023
hr-Sendesaal
Terri Lyne Carrington & hr-Bigband: New Standards  

Terri Lyne Carrington

Ihren zahlreichen künstlerischen Erfolgen und Auszeichnungen (u. a. gewann sie als erste Frau einen Grammy für das beste Instrumentalalbum) fügt Terri Lyne Carrington seit einigen Jahren einen wichtigen Posten hinzu: Gründerin und künstlerischere Leiterin des „Institute of Jazz and Gender Justice“ am Bostoner Berklee College of Music. Die renommierte Institution diente von Toshiko Akiyoshi bis zu Esperanza Spalding schon vielen Instrumentalistinnen als Startrampe für ihre Karriere, auch Carrington selbst, die bereits als 12-jährige Jungstudentin parallel zur High School am Berklee College Unterricht bekam. Heute arbeitet sie an den Strukturen, um die patriarchale Welt des Jazz auf allen Ebenen gendergerechter und -offener aufzustellen.  

 Im vergangenen September gab Terri Lyne Carrington das Buch „New Standards – 101 Lead Sheets by Women Composers“ heraus. Von historischen Figuren wie Lil Hardin Armstrong oder Alice Coltrane, die zu Unrecht im Schatten berühmter Männer standen, bis hin zu aktuellen Musikerinnen wie der chilenischen Saxofonistin Melissa Aldana oder der Sängerin Cécile McLorin Salvant, will das Buch den Kanon des Jazzrepertoires um weibliche Stimmen ergänzen. Elf der 101 neuen Standards hat die Ausnahme-Schlagzeugerin auf ihrem Album „New Standards Vol. 1“ mit illustren Kolleg*innen auch musikalisch realisiert. Für das Deutsche Jazzfestival trifft Jim McNeely eine neue Auswahl und orchestriert die Stücke exklusiv für die hr-Bigband.  

Terri Lyne Carrington kennt das Frankfurter Jazzorchester und hat zuletzt 2014 mit ihm zusammengearbeitet, beim spektakulären „Tribute to Tony Williams“, das man bis heute im YouTube-Channel der hr-Bigband finden kann. Auch damals war Jim McNeely für die Arrangements verantwortlich. Beide, Jim und Terri, freuen sich auf das neuerliche Zusammentreffen – und damit sind sie sicher nicht allein! 

Terri Lyne Carrington Schlagzeug  
Jim McNeely Leitung  
hr-Bigband 


Samstag, 28.10.2023
hr-Sendesaal
Heidi Bayer‘s Virtual Leak 

Heidi Bayers Virtual Leak

Während eines Studienjahrs in Miami gewann Heidi Bayer eine wichtige Erkenntnis. Der dortige Unterricht bei Brian Lynch bestand nämlich größtenteils aus dem „Einüben von Licks (...) berühmter Jazztrompeter“, wie Heidi Bayer der Jazzzeitung erzählt hat. Das aber interessierte sie gar nicht: „Es macht mir einfach keinen Spaß, andere nachzuspielen.“  

Stattdessen sucht und findet die Trompeterin neue Linien, setzt mit sicherem Gespür eigene Akzente und ist dabei frei von den sattsam bekannten Klischees.  

Heidi Bayer

Ihr weicher und zugleich durchsetzungsstarker Ton auf Trompete und Flügelhorn macht sie zur begehrten Mitspielerin etwa in den Bands von Shannon Barnett, Janning Trumann oder Stefan Karl Schmid. Dabei war das erste Instrument der 1987 in der oberfränkischen Kleinstadt Lichtenfels geborenen Musikerin die Klarinette. Erst im Alter von 17 Jahren griff Heidi Bayer zur Trompete, um in der Schulbigband „nicht eine von gefühlt 13 Saxofonisten zu sein“. Nach dem Abi studierte Heidi Bayer zunächst in Marburg Kulturwissenschaften, bevor sie in Mainz bei Axel Schlosser und Frank Wellert ein Jazzstudium antrat. Seit ihrem Master an der Essener Folkwang Hochschule ließ sie sich in Köln nieder, wo sie sich in Bigbands wie dem Subway Orchestra den Respekt der Szene erspielte.  

Aber es sind vor allem ihre eigenen Formationen, in denen Heidi Bayer auch ihr kompositorisches Können ausloten kann. Ihr 2018 gegründetes Quartett Virtual Leak verzichtet dabei auf ein Harmonieinstrument. Die so entstehende Transparenz und die Reduzierung auf Dreiklänge empfindet sie als befreiend. So entstünden „Inseln, wo man loslassen kann“. Vielleicht sind das auch gerade die virtuellen Lecks, die Bruchstellen im musikalischen Gefüge, die den Weg in unentdecktes Terrain öffnen, denn es geht Heidi Bayer darum, auch ins Risiko gehen zu können und das nicht Perfekte zuzulassen. 

Altsaxofonist Johannes Ludwig bildet mit seinem warmen Ton, der durchaus in scharfe Akzente ausbrechen kann, den melodischen Gegenpol zur Trompete. Dazu kommen seit 2020 die Bassistin Lisa Wulff und der Schlagzeuger Karl Degenhardt. Durch sie klingt die Band jetzt noch geerdeter als auf dem Debütalbum, mit mehr Biss und mehr Pfund, sagt Heidi Bayer. Voller Spielfreude schaffen sie gemeinsam eine Musik zwischen Komposition und Improvisation, strukturiert und frei, schön und aufregend, lyrisch und mitreißend zugleich, dabei mit eigenem Profil und auf der Höhe der Zeit. Beim Festivalauftritt wird neues Material zu hören sein fürs nächste Album, das Anfang 2024 aufgenommen werden soll. 

Heidi Bayer Trompete, Flügelhorn 
Johannes Ludwig Altsaxofon 
Lisa Wulff Bass 
Karl Degenhardt Schlagzeug 


Samstag, 28.10.2023
hr-Sendesaal
Jakob Bro & Joe Lovano: Once Around the Room 
featuring Larry Grenadier, Thomas Morgan, Anders Christensen, Joey Baron & Jorge Rossy  

Jakob Bro Joe Lovano

Ein Tribut an den außergewöhnlichen Schlagzeuger und Bandleader Paul Motian verlangt nach einer außergewöhnlichen Besetzung, haben sich Jakob Bro und Joe Lovano wohl gesagt, als sie an dessen 10. Todestag mit drei Bassisten und zwei Schlagzeugern zusammen in ein Kopenhagener Studio gingen, um „Once Around the Room“ (ECM) aufzunehmen. Beide haben mit Motian gespielt, Lovano u. a. im bahnbrechenden Trio mit Bill Frisell ab den 1980er- und Bro in den 2000er-Jahren.  

Wie für sie war Paul Motian für ganze Generationen von Jazzmusikern zu einer wichtigen Inspiration geworden. Anfang der 1960er-Jahre hatte er im musikalischen Gespräch mit Bill Evans und Scott LaFaro die Rollenverteilung zwischen Piano, Bass und Schlagzeug neu ausgehandelt und dabei auch auf dem Schlagzeug selbst neue Wege zwischen rhythmischer Gestaltung und klanglicher Kolorierung gefunden. Später blieb Paul Motian auch in seinen eigenen Bands immer interessiert am Dialog mit offenem Ausgang, gerade mit den besten Instrumentalist*innen der jüngeren Generation, für die seine Electric Bebop Band zur begehrten Talentschmiede wurde. 

Und es ist dieser Dialog, der Bro, Lovano und ihrer Allstar-Band auf beeindruckende und berührende Weise gelingt. Sie spielen nur die „Dinge, die die Musik voranbringen und bedeutungsvoll machen“, wie Bill Frisell mal Motians besondere Qualität umschrieb.  

Der Respekt vor dem Werk des großen Musikers und die Zuneigung für den Menschen Paul Motian ist in sämtlichen Titeln der Studiosession zu spüren, egal ob die Kompositionen aus den Federn von Lovano oder Bro stammen oder ob es sich um Motians eigene „Drum Music“ handelt. Dabei scheint die klangliche und stilistische Offenheit des Schlagzeugers immer durch, ob in den flirrenden Texturen, apokalyptischen Sounds oder der Folk-Ästhetik von Jakob Bros Gitarre oder dem Saxofonspiel von Joe Lovano, der von zärtlich getupften Tönen bis hin zu expressivem Linienwerk sein ganzes Können abruft. Musik hat vor allem mit Atmen und genauem Hören zu tun, hat Paul Motian mal gesagt, „du solltest gleichzeitig führen und folgen, den Raum mit den anderen teilen und dich von der Musik tragen lassen.“  

Jakob Bro Gitarre
Joe Lovano Saxofon 
Larry Grenadier, Thomas Morgan & Anders Christensen Bass 
Joey Baron & Jorge Rossy Schlagzeug 

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Sonntag, 29.10.2023
Mousonturm Frankfurt
Dave Okumu & The 7 Generations

Dave Okumu & The 7 Generations

Der Abend des letzten Festivaltags steht wieder im Zeichen der Londoner Postjazzszene. Mit Shabaka Hutchings, Ashley Henry oder Kamaal Williams haben auch in den vergangenen Jahren schon Künstler reussiert, die Jazz-Spirit und Improvisation mit tanzbaren Beats und Songstrukturen verbinden. Dave Okumu ist der nächste in dieser Reihe. 1976 als jüngstes von acht Kindern kenianischer Eltern in Wien geboren, zog er im Alter von 10 Jahren mit seiner Familie nach London.

Nachdem ihm sein Bruder die ersten Gitarrengriffe gezeigt hatte, entdeckte Dave wie viel Spaß es machte, zu den Funk- und Soul-Platten zu spielen, die der musikalische Haushalt reichlich zu bieten hatte. Bald spielte er als Sessiongitarrist etwa für Tony Allen, Amy Winhouse oder Grace Jones. Sein Debutalbum „The Invisible“, zunächst als Soloprojekt gestartet, aber bald zum Trio erweitert, wurde 2009 für den Mercury Prize nominiert. Flächige Texturen, die durch das Überneinanderschichten von Gitarrensounds entstehen, prägen die Musik des Trios, der Bassist und Keyboarder Tom Herbert weitere Schichten hinzufügt. Herbert ist auch Bassist der „Polar Bears“, aber im Vergleich zu dieser Experimental-Jazz-Band ist „The Invisible“ song- und poporientierter, obwohl Okumu nur in einem Teil der Stücke auch singt. Improvisation besteht bei ihm vor allem im Weiterspinnen von Loops aus delaygesättigten Gitarrenlinien, die gerne mal ein bisschen schmutzig daherkommen.

2021 legte Dave Okumu mit „Knopperz“ ein instrumentales Konzeptalbum vor, das seine Liebe für Atmosphärisches um Collagen aus Dialogfetzen und Field Recordings ergänzt. In die Linien für Saxofon, Geige, Piano und Gitarre schleicht sich dabei gelegentlich auch mal eine Bebop-Phrase. 

Mit dem in diesem Jahr erschienen Doppelalbum „I Came From Love“ legt Dave Okumu sein bisher opulentestes Werk vor. In 15 Tracks setzt er sich mit der Geschichte der Sklaverei und der Black Experience auseinander und reflektiert seine eigene Familiengeschichte. Literarische Einflüsse, guest appearances, u.a. von Grace Jones, und eine geradezu kaleidoskopische Fülle von Sounds machen das Album zu einer eigenen Klangerfahrung, der man Dave Okumus langjährige Erfahrung als Produzent verschiedener Künstler anhört.

Die talentierte Sängerin Rahel Debebe, die mit ihrer eigenen Band „Hejira“ auch als ambitionierte Songwriterin tätig ist, wird mit nach Frankfurt kommen, außerdem Avi Barath. Geschätzt für seine Live Electronics und seine Producer-Skills, bildet er schon viele Jahre ein Produzententeam mit Dave Okumu. Am Schlagzeug sitzt Dan See, dessen Credits von Tom Jones bis zur jungen Folk-Soul-Sängerin Lianne Le Havas reichen. Das heißt: wenn es bei dieser Besetzung bleibt, denn Dave Okumu ist immer für eine Überraschung gut.


Dave Okumu - Vocals, Guitar/Bass Guitar
Anthonia Edwards - Vocals, Percussion
Nicholas Ramm - Synth, Live Electronics
Dan See - Drums + Electronic Triggers
Yves Fernandes - Bass Guitar/Guitar



Das Deutsche Jazzfestival Frankfurt endet an diesem Tag im Künstlerhaus Mousonturm.