Konzert Anke Helfrich +++ Roger Kintopf / Structucture +++ John Scofield Trio

Deutsches Jazzfestival Frankfurt
John Scofield Trio
Frankfurt am Main
hr-Sendesaal
Bertramstraße 8
60320 Frankfurt am Main

Am Donnerstag, 26. Oktober, beginnt der zweite Abend im hr-Sendesaal mit der Pianistin Anke Helfrich. Ihr Programm „We’ll rise“ feiert Frauen, die Großes geleistet haben und dafür oft nicht ausreichend gewürdigt wurden. Weiter geht es mit dem Quartett Structucture rund um den Bassisten Roger Kintopf. Die vier Musiker sind im Schnitt gerade einmal Mitte 20 und wirken beim Spielen wie telepathisch verbunden. Der Abend endet mit dem John Scofield Trio. „Wir sind drei Musiker mit einer besonderen Synergie, und das Trioformat kitzelt schon immer meine Stärken heraus“, sagt der Gitarrist über seine aktuelle Besetzung. 

 

19:00 Uhr: Anke Helfrich – "We’ll rise" 

Anke Helfrich

"Belongs to the leading jazz pianists in Germany today" oder "gehört inzwischen zu den herausragenden weiblichen Jazzmusikern in Europa", sind zwei Pressezitate von Anke Helfrichs Website, die doch immer noch zu vorsichtig bleiben: Warum nicht Weltklasse-Pianistin? Die Liste ihrer Auszeichnungen und vor allem der großen Namen, mit denen sie gespielt hat, ist beeindruckend und längst wird Anke Helfrich auch international wahrgenommen als die starke Musikerinnenpersönlichkeit, die sie ist: Inspiriert vom Hard Bop hat sie zu einem eigenen Stil gefunden, ausgezeichnet durch immense Musikalität, Klangsinnlichkeit, Virtuosität und die Fähigkeit zuzuhören. Erdige Bluesphrasen und berückender Schönklang, Inside und Outside-Spiel, kraftvolle Quartenrückungen und fragile Sekundreibungen: Anke Helfrich verfügt über ein großes Arsenal pianistischer Möglichkeiten. Darüber hinaus verschmilzt sie seit einiger Zeit Musik und Haltung zu hochinteressanten Projekten. Man denke etwa an "The Prize" (2015), ihre beeindruckende Musikalisierung von Martin Luther Kings Rede "I Have a Dream". Vergessenen Pionierinnen aus Kunst, Wissenschaft und Sport widmet Anke Helfrich nun ihr fünftes und neuestes Album als Leader, und das Deutsche Jazzfestival wird dessen Release-Konzert die Bühne bereiten.  

Eine der Frauen, mit denen sich die Pianistin für dieses Projekt intensiv beschäftigt hat, ist die australische Leichtathletin Cathy Freeman. Durch ihren Sieg im 400m-Rennen bei den Olympischen Spielen in Sidney 2000, schaffte es die Aborigine-Sportlerin, indigene Menschen auf positive Weise sichtbar zu machen und in der australischen Bevölkerung Stolz an die Stelle von Vorurteilen zu setzen. Die britische Forscherin Rosalind Franklin, Entdeckerin der Doppelhelix-Struktur der DNA, ist eine weitere Pionierin, der Anke Helfrich nun musikalisch Referenz erweist. Der Albumtitel "We’ll rise" bringt auf den Punkt, worum es geht: Frauen stehen auf, werden sichtbar, werden mehr. Das gilt natürlich auch für Instrumentalistinnen im Jazz, die die Szene mehr und mehr bereichern. Anke Helfrich wird von ihnen als Vorreiterin und role model wahrgenommen. Dass sich eine ihrer Kompositionen unter den "101 New Standards" von Komponistinnen findet, die Terri Lyne Carrington herausgegeben hat, passt ins Bild.  

Zu ihrem Trio, mit dem sie in dieser Form seit 2016 tourt, gesellt sich wie auch auf dem Album als "special guest" der Posaunist und Didgeridoo-Spieler Adrian Mears. Die längste Geschichte verbindet sie mit dem Bassisten Dietmar Fuhr, der übrigens auch Kollege im Dozententeam des Jazzstudiengangs am Dr. Hochschen Konservatoriums ist, den Anke Helfrich seit 2011 mit großem Herz und Engagement leitet. Höchste Zeit, dass diese Ausnahmemusikerin auf dem Deutschen Jazzfestival auftritt.   

Anke Helfrich, Piano
Adrian Mears, Posaune, Didgeridoo
Dietmar Fuhr, Bass
Jens Düppe, Schlagzeug 

20:30 Uhr: Roger Kintopf / Structucture 

Roger Kintopf Structucture

 Je länger man sich mit Musik beschäftigt, desto seltener begegnet man Bands, die auf verblüffende und zugleich zwingende Weise neu und anders klingen. Das Quartett "Structucture" ist so eine Band. In seiner Musik ist eine Freiheit und eine Tiefe zu spüren, die fasziniert und bewegt. Die vier jungen Instrumentalisten kommunizieren auf eine Weise, die über das übliche Maß hinausgeht. Sie umgarnen sich, geraten ins Stocken, halten inne, preschen voran und scheinen dabei wie auf telepathische Weise miteinander verbunden. Sie arbeiten mit dem Vertrauen, dass sie über die Jahre aufbauen konnten, sagt Roger Kintopf, der mit seinen 24 Jahren ungefähr den Altersdurchschnitt der Band repräsentiert. Tatsächlich lernten sich der aus Darmstadt stammende Bassist, der aus Bensheim stammende Schlagzeuger Felix Ambach und der aus Seligenstadt stammende Saxofonist Victor Fox schon 2014 bei einer Arbeitsphase des Hessischen Landesjugendjazzorchesters kennen. Sie begannen sich zu treffen, zusammen Musik zu schreiben, frei zu improvisieren und sich spielerisch gemeinsam ein Vokabular zu erarbeiten. Offensichtlich beflügelten sich die drei gegenseitig, denn ihre Entwicklung nahm zumindest aus der Distanz betrachtet, ein atemberaubendes Tempo auf.  

Der dänische Saxofonist Asger Nissen, mit heute 27 Jahren der Älteste, kam 2016 dazu und die bis dahin als Kollektiv organsierte Band übergab Roger Kintopf fortan als Komponist und Leiter die Hauptverantwortung für Structucture. Das bereits fünfte Album der Formation erscheint im November. Aufgenommen wurde es im südfranzösischen La Buisonne, bekanntlich eines der Lieblingsstudios von Manfred Eicher. Der Gewinn des Studiopreises beim Festival "Tremplin Jazz" in Avignon machte es möglich.  

Die Musik lotet Grenzbereiche aus, auch klanglich: Wer sagt, dass der Bass immer nur die tiefen Register zu bedienen hat, wo er doch auch fiepen und zwitschern kann? Die Rollenverteilung wird scheinbar ständig auf spielerische Weise neu austariert. Komplexe Kompositionen mit neutönerisch-kantigen Linien und dissonanten Reibungen und häufig offener Rhythmik setzen Dialoge in Gang, in denen alles möglich scheint. Und doch wirkt das Resultat zu keinem Zeitpunkt verkopft oder gewollt konstruiert. Im Gegenteil: Diese Musik scheint immer in sich logisch, bedeutungsvoll und vor allem lässt sie einen nicht kalt. "Wärme, Ehrlichkeit, Vertrauen und Freundschaft" bilden die Grundlage von "Structucture", so Roger Kintopf. Wer sich auf ihre Musik einlässt, versteht, was er damit meint. 

Asger Nissen Altsaxofon, Altklarinette
Victor Fox Tenorsaxofon, Bassklarinette
Roger Kintopf Bass
Felix Ambach Schlagzeug 

21:30 Uhr: John Scofield Trio 

John Scofield Trio

"Johns Spiel ist voller Stolperer und Aussetzer. Es ist sehr nah am wirklichen Leben, was er macht." Mit diesen Sätzen bringt Steve Swallow ziemlich gut auf den Punkt, was den Musiker John Scofield auszeichnet. So zu hören in Jörg Steinecks liebevollem Filmporträt des "road dog", der seit bald 50 Jahren die Hälfte seiner Zeit auf Tournee verbringt ("Inside Scofield", 2022). B. B. Kings Art die Gitarre singen zu lassen, weckte in ihm den Wunsch, Musiker zu werden, Jimi Hendrix‘ scheinbar nicht zu übertrumpfende Rock- und Bluesmeisterschaft, lenkte ihn zum Jazz. Und wie niemand sonst integrierte John Scofield die Ausdruckskraft der Bluesgitarre in eine Jazzstilistik, die harmonisch, melodisch und konzeptionell stets auf der Höhe ihrer Zeit war und noch immer ist. Der Spagat zwischen erdig groovenden Kompositionen und virtuos-komplexen Improvisationen gelingt kaum jemandem so überzeugend wie John Scofield.  

In seinem aktuellen Trio, dessen Doppelalbum im September bei ECM erscheint, spielen zwei Musiker, mit denen ihn unterschiedlich lange Geschichten verbinden. Schon 1991, auf dem Album "Meant to Be", begann die Zusammenarbeit mit Bill Stewart. Seitdem sorgt der Schlagzeuger in der Mehrzahl von Scofields Projekten für infektiöse Beats, kontrapunktische Begleitungen und "manchmal die besten Soli des ganzen Abends, und die musikalischsten", wie der Gitarrist im Film schwärmt. Bill Stewarts Spiel wecke die Musik zum Leben und sei ein konstanter Ansporn für seine Mitmusiker (im unverblümten O-Ton: "he kicks our ass").   

1975, als John Scofields Karriere begann, wurde Vicente Archer wurde geboren. Seit fünf Jahren schätzt der Gitarrist nun den Swing und die Kreativität des Bassisten sowie die hohe Qualität seiner Improvisationen. "Wir sind drei Musiker mit einer besonderen Synergie und das Trioformat kitzelt schon immer meine Stärken heraus", sagt Scofield über die Besetzung. Es geht weniger um Songs oder Arrangements, sondern vielmehr darum, was im gemeinsamen Improvisieren Konzert für Konzert aus ihnen entsteht. Niemand kann voraussagen, welcher Abend vielleicht nur mäßig gelingt, wie der sympathische Musiker viel zu bescheiden im Film von sich gibt, und wann die Musik durch die Decke geht: "Es kommt darauf an, da zu sein, im Fall, dass es passiert." Der Titel des neuen Albums, "Uncle John’s Band", kokettiert nicht nur mit dem Alter seines Protagonisten: "Die Leute, mit denen ich spiele, sind meine besten Freunde", sagt er. Und dann kommt ein Satz, den man nicht angemessen übersetzen, aber sehr gut verstehen kann: "and they love the hell out of me." 

John Scofield Gitarre
Vicente Archer Bass
Bill Stewart Schlagzeug 

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