Peter Kurzeck: Und wo mein Haus? Kde domov můj Dem großen Erzähl-Projekt "Das alte Jahrhundert" von Peter Kurzeck ist postum ein weiteres Stück hinzugefügt worden: Das Romanfragment "Und wo mein Haus?". Darin fährt der Erzähler mit dem Zug von Frankfurt nach Gießen, wo sich ihm immer dasselbe Bild bietet: "Sooft man hinkommt, als ob sie alles erst im letzten Moment schnell wieder aufgestellt hätten. Überstürzt. Hastig."

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Die Erinnerungszeit dehnt sich bei Kurzeck. Bereits an der alten Milchbar im Frankfurter Bahnhof macht sein Erzähler einen Zwischenstopp in mannigfaltige Vergangenheiten. Und während er dann mit der Bahn über Friedberg in Richtung Vogelsberg bummelt, erinnert er sich genauestens an frühere Fahrten in die Stadt: Schon als fünfjähriges Flüchtlingskind war er mit der Mutter von Stauffenberg in das kriegszerstörte Gießen gefahren. Später, als junger Mann, ging er zur Arbeit dorthin, und verrichtete zusammen mit Displaced Persons aus Osteuropa sinnfreie Tätigkeiten bei der US-Army. Alle diese Geschichten wollen erzählt werden. Und zwischendrin verschaffen sich Beobachtungen über die Mitreisenden Raum, die nach Nidda, Schotten, Hungen, Laubach, Lich, Lollar, Londorf oder Grünberg umsteigen. Oder Gedanken über die Fußgängerunterführung am Gießener Bahnhof: "Da tropft es. Gleich an mehreren Stellen. Wie es scheint, schon länger. Pfützen und Wasserflecken. Dreckig das Wasser. Grau und schmierig, grau, braun und schwarz. Und rot vom Rost. (…) Wie kann das sein, daß es hier dauernd tropft? Sogar die Wände herunter sucht das Wasser sich seinen Weg. Überall Pfützen. Dabei ist die Unterführung doch von den Gailschen Tonwerken gebaut worden. Eine Gießener Traditionsfirma. Berühmt dafür, daß sie Bahnhofshallen und Unterführungen baut, kachelt, ausgestaltet. Wie für die Ewigkeit."

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Lesung in hr2-kultur: 12.12.-23.12.2022 (10 Folgen) Montag-Freitag 09:05 Uhr, Wiederholung um 14:30 Uhr.

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Rudi Deuble hat das Romanfragment zusammen mit Originalnotizen aus dem Nachlass herausgegebenen, es ist der achte Band der auf zwölf Bände angelegten "Chronik des alten Jahrhunderts" von Peter Kurzeck. Der Autor wurde 1943 im tschechischen Tachau geboren und wuchs in Staufenberg bei Gießen auf, nachdem seine Mutter mit ihm 1946 aus Böhmen geflohen war. 1971 gab Peter Kurzeck seinen Job als Personalchef eines Betriebs der US-Army in Gießen fürs Schreiben auf. 1979 erschien sein Debütroman "Der Nußbaum gegenüber vom Laden wo Du Dein Brot kaufst". Seitdem wurde der Autor vielfach ausgezeichnet. Sein Werk wurde bis 2018 im Stroemfeld Verlag veröffentlicht, seither im Schöffling Verlag. An der "Chronik des alten Jahrhunderts" schrieb Kurzeck seit 1997. Zu seinen Lebzeiten erschienen davon insgesamt fünf Romane, zuletzt 2011 "Vorabend". Der Autor starb im Jahr 2013. Zu all seinen Romanprojekten machte er sich umfangreiche Notizen und schrieb zugleich an mehreren von ihnen, so dass aus dem Nachlass jetzt nach und nach weitere Werke veröffentlicht werden können. Eine vom Kurzeck-Sound begeisterte Leserschaft wird es danken, denn so der Schriftsteller Andreas Maier: "Eine Welt ohne Kurzeck ist, nachdem man ihn kennt, nicht mehr denkbar. Die Welt bekommt seinen Ton."

Michael Rotschopf hat Peter Kurzeck schon zum wiederholten Mal seine Stimme geliehen: 2019 war der mit dem O.E. Hasse und dem Adolf Grimme-Preis ausgezeichnete Schauspieler mit einem Auszug aus dem ebenfalls nachgelassenen Roman "Der vorige Sommer und der Sommer davor" in hr2-kultur zu hören. "Und wo mein Haus?" liest Michael Rotschopf nun ungekürzt für hr2-kultur und den Hörbuchverlag speak low.

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Sprecher: Michael Rotschopf
Regie: Marlene Breuer
Besetzung: Heike Oehlschlägel
Assistenz: Natalie Gengnagel
Redaktion: Julika Tillmanns

Peter Kurzeck: Und wo mein Haus? Kde domov můj
Buch: 176 Seiten, Schöffling 2022
Hörbuch: 3 Stunden 45 Minuten, speak low 2022

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Sendung: hr2-kultur, "Lesung", 15.12.2022, 9:05 - 9:30 Uhr.