Mütter und Mutmaßungen: Sylvie Schenks "Maman" (3 | 11)
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Das Rätsel um ihre Herkunft hat das Leben von Sylvie Schenks Mutter "ausgehöhlt". So schreibt es die Tochter in den Vorbemerkungen zu ihrem Roman "Maman". Diesem Rätsel will sie darin nachgehen, denn sie hat ihre Mutter Renée "geliebt, wie man ein seltsames Wesen liebt, das zu einem gehört, ein Geheimnis, das man bewahrt".
Sylvie Schenk: Maman · Podcast in der ARD Audiothek
Ende der weiteren InformationenDas große Geheimnis, das die Mutter umgab, war deren Herkunft. Sie sprach nicht darüber, und überhaupt sprach sie meist nur mit der Wäsche. So konnte die Autorin nur wenige Fakten über ihre Mutter in Erfahrung bringen: Renée Gagnieux wurde am 29.12.1916 geboren, deren Mutter Cécile wiederum starb nur eine Stunde nach der Geburt. Auf dem Totenschein wird Cécile als "Ménagère" bezeichnet, was sowohl Hausfrau bedeuten kann als auch Putzfrau, Wäscherin oder Hilfsweberin. Überleben, so reimt es sich Sylvie Schenk heute zusammen, konnte sie wahrscheinlich nur, indem sie sich auch prostituierte.
Fakt ist also auch, dass ihre Mutter als Waise zurückblieb, überlebte und zunächst in eine gewalttätige Bauernfamilie gelangte, bevor sie von einem Apotheker-Ehepaar adoptiert wurde, zur Schule ging und später einen Zahnarzt heiratete. Doch in den bourgeoisen Kreisen ihres Mannes, dem Vater von Sylvie Schenk, blieb die Mutter Renée zeitlebens ein Fremdkörper.
Viel beigebracht habe ihre Mutter ihr und den Geschwistern nicht, erinnert sich Sylvie Schenk. Auch Moralvorstellungen habe ihnen Renée nicht vermittelt, aber zwei Prinzipien: Nicht zu spät zum Essen kommen, und vor allem: Nicht ungewollt schwanger werden. Ansonsten habe sie sie aufwachsen lassen wie Unkraut – was viele Vorzüge gehabt habe…
Sylvie Schenks "Maman" ist 2023 im Hanser Verlag erschienen. Im Herbst stand der Roman auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, und Schenk galt vielen als Favoritin der Herzen. Das literarische Werk der 1944 im französischen Chambéry geborenen Autorin, die seit 1966 in Deutschland lebt und im kommenden Jahr 80 Jahre alt wird, fand spät Würdigung. Einem größeren Publikum wurde Sylvie Schenk erst 2016 mit ihrer Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb bekannt, bei dem sie aus dem ebenfalls autobiografisch geprägten Roman "Schnell, dein Leben" las.
Dörte Lyssewski hat Sylvie Schenks Auseinandersetzung mit "Maman" in der Regie von Ulrich Lampen für SWR2 und hr2-kultur gelesen. Die 1966 in Winsen a. d. Luhe geborene Schauspielerin, ist nach zahlreichen Filmrollen und Engagements u. a. an der Schaubühne Berlin und am Schauspielhaus Zürich seit 2009 festes Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters. Daneben arbeitet Lyssewski auch für Hörproduktionen und wurde schon vielfach ausgezeichnet.
Produktion: SWR/hr 2024
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Sendung: hr2-kultur, "Lesung", 07.02.2024, 9:30 - 10:00 Uhr.