Erkelenz-Roedig. Feine Wurstwaren: Der Laden "gehörte zu den drei größten Metzgereien in Düsseldorf und war eine Institution im sehr katholischen Stadtteil Bilk." Hier wird Andrea Roedig hineingeboren. Der Vater Franz-Josef entstammt der Metzgerdynastie, die Mutter Lilo ist eingeheiratet und bleibt die Fremde, die Frau ohne Genealogie. Sie ist die große Leerstelle, um die Andrea Roedigs Memoir kreist.

Wer war ihre Mutter, wie wurde sie zu der, die ihre Kinder verwöhnte und quälte, mit ihnen lachte und  sie verließ? An welchen Träumen und Zielen richtete sich dieses Leben aus und an welchen Strukturen der Nachkriegszeit ist dieses Leben zerbrochen: Alkoholismus, Insolvenz, Scheidung, sind sie Folge oder Ursache? Mit welchem Recht dürfen wir über das Leben unserer Eltern schreiben und urteilen? Welche Rolle spielt die Scham: der Eltern und die der Kinder? Roedigs Erinnerungen reihen sich ein in die Debatten um Klassismus und Identität, um autofiktionales Schreiben und Memoirenliteratur von Annie Ernaux über Didier Eribon und Christian Baron zu Bov Bjerg: ein Zeitdokument der Nachkriegsjahrzehnte, ein hochintimes Porträt einer westdeutschen Familie, das klar macht: Vergangenheit hört nicht einfach auf, wenn man nicht über sie redet.

Weitere Informationen

Andrea Roedig: Man kann Müttern nicht trauen
dtv, März 2022, 240 Seiten, 20 Euro

Ende der weiteren Informationen

Sendung: hr2-kultur, Spätlese, 05.07.2022, 22:00 Uhr.