Die Archivschätze bringen diesmal Musik von einem, der ein Gesamtkunstwerk schaffen wollte. Nein, es ist nicht Richard Wagner. Die Art Gesamtkunstwerk war eine ganz andere als sie Wagner vorschwebte, aber doch mindestens genauso anspruchsvoll.

Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt
Leitung: Dean Dixon

Skrjabin: 2. Sinfonie c-Moll op. 29

(Aufnahme vom 24. September 1971 aus dem hr-Sendesaal)

Alexander Skrjabin dachte in seinem sinfonischen Schaffen groß, er wollte viele, vielleicht sogar alle gewohnten Formen sprengen. Seine zweite Sinfonie ist kein konventionelles sinfonisches Werk in drei oder vier Sätzen. Fünf rein instrumentale Teile wurden es, in denen Skrjabin seine Lieblingsidee einer zyklischen Verklammerung verwirklichte. Die Moll-Melodie der Holzbläser, die den ersten Satz eröffnet, kehrt im Finale als Hauptthema wieder, dann vom vollen Orchester im Forte gespielt. Das Leitmotiv vom Beginn der Sinfonie geistert auch durch den zweiten Satz und drängt die leicht und luftig dahinfliegende Musik machtvoll zurück. Dramatische Blechbläser-Interventionen treffen auf schwebende, transparente Streicherklänge.

Die Uraufführung des Werks fand im Januar 1902 in St. Petersburg statt. Damals dirigierte Anatolij Ljadow. Das Publikum tobte – vor Empörung. Man zischte, miaute sogar und buhte.

Auch ein Jahr später polarisierte das Werk noch. Nach der Moskauer Erstaufführung berichtete Skrjabins Tante: "Je mehr die einen tobten, desto stärker klatschten die anderen Beifall". Der Uraufführungsdirigent Ljadow schrieb in einem Brief: "Der Teufel weiß, was das ist! Skrjabin kann kühn Richard Strauss die Hand reichen." Und weiter: "Nach Skrjabin ist Wagner ein Säugling mit angenehmen Gelalle geworden." Er war überzeugt, dass Skrjabin sein Vorbild Richard Wagner in der Wahl der Ausdrucksmittel übertrumpft habe.

Sendung: hr2-kultur, "Archivschätze", 18.02.2023, 14:04 Uhr.