Sie starren von Kapitellen und Simsen auf uns herab. Doch so genannte "Grüne Männer" sind viel mehr als nur ein Detail europäischer Kirchenarchitektur. Sie stehen für eine ins Abseits gedrängte spirituelle Tradition, die nach und nach wiederentdeckt wird.

Die Kirchengeschichte ist voll mit Märtyrern, Drachentötern, Kreuzrittern und heldenmutigen Missionaren, die – dem Tod furchtlos ins Auge blickend – die "Heilige Schrift" verbreiten wollten. Eine in christlichen Kirchen fast allgegenwärtige Männerfigur aber wird versteckt, übersehen, totgeschwiegen – es ist die Figur des "Grünen Mannes".

Weitgehend ignoriert in der christlichen Kunstgeschichte

Es sind steinerne oder hölzerne Gesichter von Männern, aus deren Mund, Nase oder Ohren Vegetation quillt – Blätter, Blattwerk, Früchte – und sich um sie herum ergießt. Sie finden sich an Kapitellen, Stützen, halten oft das Kirchengewölbe. In der christlichen Kunstgeschichte werden sie weitgehend ignoriert – sie gelten als Ornamentik und Spielereien früher Kirchenbauer ohne tieferen Sinn. Doch es scheint, als würde damit eine spirituelle Tradition des Christentums ins Abseits gedrängt, die immer auch da war: Eine tiefe spirituelle Verbindung zur lebendigen Natur.

Braucht es heute "Grüne Männer"?

Die Botschaft des "Grünen Mannes" könnte lauten, dass die natürliche Welt, die Vegetation, das Wilde, die Natur aus dem spirituellen Raum überhaupt nicht herauszuhalten ist. Der "Grüne Mann" brächte dann den Aspekt einer spirituellen Verbundenheit mit der Natur, der aus den Kirchen ausgesperrt wurde, wieder ein in den Glauben. Braucht es heute "Grüne Männer", die mit spiritueller Tiefe für den Schutz der Natur eintreten, weil sie sich als Teil von ihr erleben?

Ein Beitrag von Geseko von Lüpke.

Die Sendung "Camino" finden Sie hier auch als Podcast.

Sendung: hr2-kultur, "Camino", 10.04.2021, 11:30 Uhr.