Viele ihrer Reisen unternahm Milli Bau im VW-Bus. Im Hintergrund ist der Berg Ararat in der Türkei zu erkennen.

Heute reisen wir wie selbstverständlich um die halbe Welt, machen dabei Fotos zu Hunderten und verschicken die an alle, die es interessiert oder auch nicht. Vor gerade mal 60, 70 Jahren war das völlig anders: Weite Reisen war mitunter strapaziös, manche Länder waren tabu und Fotografieren war mühsam und kostspielig. Aber es gab Pioniere des Reisens und der Reportage - und das Kulturforum der TU Darmstadt und das Weltkulturen-Museum Frankfurt stellen uns zur Zeit Im Rahmen des RAY-Fotografie-Festivals eine Frau vor, die dazu zählt.

Wer ist das, wo war sie, was hat sie hinterlassen?

Die Dame heißt Milli Bau, wurde 1906 in Darmstadt geboren (zufälligerweise ist sie dort auch mit 99 Jahren gestorben), war stets schon an fernen Ländern interessiert und an fremden Sprachen, lernte früh italienisch und englisch, wurde Journalistin - und hat begonnen ernsthaft zu reisen, als das Leben ihr übel mitspielte. Sie verlor ihr kleines Kind durch einen Unfall, ihr Mann starb ebenso unerwartet kurz darauf. Sie schloss sich Expeditionen an, verbrachte eine Zeit in den Anden in Südamerika und wagte es 1953 dann, allein mit einem VW-Bus, den sie sich hatte umbauen lassen, loszufahren.

Eine Pionierin, also. Und diese Milli Bau hat immer nicht nur aufgeschrieben, sondern auch fotografiert?

Und das in einer Weise, die heute noch allen Ansprüchen gerecht wird. Reisereportagen wie aus dem GEO-Magazin, das gab es damals noch nicht, sie war 1956 im Nahen Osten, in Jordanien, im Irak, über Syrien nach Afghanistan – immer mit diesem VW-Bus mit dem V im Blech. Sie hat, so behaupte ich, das Wohnmobil erfunden, es gibt Bilder mit dem Selbstauslöser von diesem Gefährt mit Campingstühlen davor und Wäsche auf der Leine. Übrigens keinesfalls Outdoor-oder Safari-Klamotten, wie man sie heute im Indiana-Jones-Look kennt, sondern hübsch stets adrett im geblümten Kleid, machmal mit Hütchen.

Hört sich an, als ob sie irgendwie weg musste, war sie vor sich auf der Flucht?

Kann man so sagen, sie hatte ja nichts zu verlieren, auf sie wartete zuhause niemand – etwas Geld hatte sie aus der Witwenrente und sie verkaufte auch die Bilder, Magazine rissen sich um diese Ansichten. Und die sieht man jetzt endlich mal gesammelt auf engstem Raum: Die Teppich-Händler, Frauen beim Wäschewaschen, Männer auf Kamelen, eine Kaviar-Fabrik, immer wieder bunte Märkte, Kinder – allesamt Alltags-Szenen, vollkommen unverstellt. Da post niemand, stelllt sich toll hin, da gucken die Menschen eher scheu in die Kamera, wer hat schon in den 1950/60igern in diesen Ländern je eine Rolleiflex gesehen, die zwei-äugige Kamera, in die man von oben  hineinschaut, während sie vor dem Bauch hängt. Vielleicht sind diese authentischen, lebensnahen, echten Bilder auch diesem Kameramodell zu verdanken und der unauffälligen Art des Fotografierens. Und eben der Komposition: Milli Bau wird zur Meisterin des fotografischen Quadrat-Formats, 6 mal 6 cm, Rollfilm, immer der leuchtend blaue Himmel, immer die Farbe der Straße, immer die Buntheit der Gewänder, immer Gesichter, mit Distanz, nie anbiederisch oder zu nah – überhaupt nicht voyeuristisch, nur sehr sehr neugierig.

Also Dokumente einer Zeit, die vorbei ist, denn auch dort ist heute das moderne Leben angekommen. Was haben diese Bilder Ihnen mitgegeben?

Ich könnte jetzt sagen: Da waren die Menschen noch vom Westen unbeeinflusst, früher war alles besser. Aber nein: Milli Bau hat ja auch das Elend, die Armut fotografiert, die staubigen Straßen, die notgedrungene Bescheidenheit – und Bemühungen etwas zu ändern - wie im Persien des Schahs, wo Kinder in der Schule sitzen und die Industrie schon Fuß fasst. Dafür wurde sie auch angefeindet, übrigens, in einem ihrer Bücher lob sie das Regime für den Fortschritt, "Der Iran wie er wirklich ist" heißt es und lobt den Schah wohl etwas einseitig. Vielleicht, weil sie ihr Camp im Hof des Palasts aufschlagen durfte. Und a propos dürfen: Sie durfte in ein China einreisen, das damals vollkommen abgeschirmt und verschlossen war, sie hat dort die Plakatmaler fotografiert, Menschen im Schwimmbad, einen Kindergarten. Das hätte damals allen auf der Welt zeigen können: Seht her, diese Menschen leben ihr Leben, respektiert das bitte, ihr seid in den USA, in Europa nicht besser als die Reisbauern in Taiwan und die Teepflückerinnen im chinesischen Hochland.

Wie werden die Bild präsentiert?

In einer sehr intensiven Hängung, 800 Bilder von 40 Reisen, von postkartengroß über DIN-4 bis zu etwas größeren Formaten, aber leider nie als richtiger hochwertiger Print im Rahmen, was die Qualität der Originale gut hergegeben hätte und meiner Meinung nach verdient hätten. Sehr werkstatt-mäßig, sehr aufschlussreich einerseits dadurch. Andererseits unter Wert. Dazu gibt eine Wand mit den unzähligen Visa-Stempeln in ihren vielen Reisepässen und kleine Zitate. Eins vielleicht: "Ich will immer so lange bleiben, bis ich wirklich etwas über das Land weiß". Das hat Milli Bau getan, unter großen Strapazen, gegen alle Weiblichkeits-Entwürfe in der Mitte des letzten Jahrhunderts – und durchweg auf einem fotografischen Niveau, von dem sich Smartphone-Knipser unserer Zeit eine dicke Scheibe abschneiden könnten, auch nach 60-70 Jahren. Die Ausstellung heißt "5000 Kilometer bis Paris", warum auch immer, wo sie doch aus Deutschland kommt, aber das hat sie in Persien als Schild der "Air France" gesehen – 5.000 km, heute ein Klacks, damals eine lange Reise im kleinen VW-Bus…

Hier sehen Sie einige Bilder der Ausstellung (Galerie)


Milli Bau – 5.000 km bis Paris
Kunstforum der TU Darmstadt,
bis 27. Oktober 2024, Mi-So 13-18 Uhr
Bitte beachten Sie die Schließzeiten während der Darmstädter Feste

Sendung: hr2-kultur, 10.5.2024, 7:30 Uhr