"Drown in Dreams", Ertrinken in Träumen, heißt die neue Ausstellung im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden. Es ist eine Einzelausstellung des Künstlers Neven Allgeier, der 1986 in Wiesbaden geboren wurde. Unwirklich, irisierend, zwischen Himmel und Erde schwebend, golden. Das fängt schon auf dem Bürgersteig vor dem Kunstverein an. Da ist ein kleiner Springbrunnen, in dem sich giftgrünes Wasser befindet. Allgeier zieht den Betrachter in eine seltsam surreale Welt, die zwischen Natur und Künstlichkeit changiert, sehr poetisch, erzählerisch und auf eine gewisse Weise auch musikalisch. Die Fotografien wirken auch stark bearbeitet. Farbigkeit und Textur haben etwas unwirkliches. Gleichzeitig ist darin eine Art Wahrhaftigkeit.
Stefanie Blumenbecker gefällt sehr, dass man diese Bilder nicht zu fassen bekommt||
Zwei Gangster tauchen in einer Gruppe Behinderter unter. Das ist die Rahmenhandlung des Films "Was ist schon normal?" aber ziemlich nebensächlich. Verhandelt wird die Frage, die schon der Titel stellt, und zwar nicht moralsauer, sondern einfach nur lustig. Das liegt daran, dass der Regisseur - der Komiker Artus - mit behinderten Darstellern arbeitet, die schlicht ihr Lebensgefühl ausdrücken. Und Artus, der in seinem ersten Film auch selbst mitspielt, weiß genau, was er seinen Darstellern zumuten kann. In Frankreich war "Was ist schon normal?" mit zehn Millionen Zuschauern ein großer Kino-Erfolg; jetzt läuft er in deutschen Kinos an.
Ulrich Sonnenschein glaubt, dass zehn Millionen Zuschauer des Films "Was ist schon normal?" in Frankreich nicht irren können.||
Der Tigerpalast Frankfurt startet in seine 36. Spielzeit und bietet ein Varieté-Feuerwerk vom Feinsten – auch bei 33 Grad Außentemperatur! Die aktuelle Revue bietet in sommerfrischer Atmosphäre beeindruckende Acts: Akrobatik, Luftkunst und Magie der Extraklasse – mit Stars wie Diseuse Alix Dudel und den Anarcho-Zauberern Otto und Christa Wessely. Ein Highlight sind zudem die Papageien von Magier Marko Karvo. Sie drehen sogar Runden durch den Saal – direkt über den Köpfen des staunenden Publikums.
Stephan Hübner ist nicht als Luftikus bekannt, genoss aber hörbar die Nummern ohne Bodenhaftung||
Im Fridericianum in Kassel ist seit dem Wochenende eine neue Ausstellung zu sehen. "Some bright morning"– "Eines schönen Morgens" heißt sie und zeigt über 50 Werke des Künstlers Melvin Edwards. In den USA wird sein Schaffen seit Jahrzehnten in großen Ausstellungen gezeigt. In erster Linie Objekte aus Metall. Geschmiedet und geschweißt. Dazu kommen Installationen aus Stacheldraht. Und gesprühte Bilder auf Papier. Besonders Im Fokus ist seine Serie Lynch Fragments. An der er seit 1963 bis heute arbeitet. Man bekommt ein wunderbares Bild von diesem inzwischen 87 Jahre alten Künstler. Die Werke sind von Rassismus und Gewalt, aber auch Empowerment inspiriert.
Vera John hat im Fridericianum in Kassel ihre "weiße Brille" abgelegt und ihren Blick auf die abstrakten Metallarbeiten erweitert||
Shakespeares gut 400 Jahre alter "Macbeth" gewinnt in unseren Tagen an Aktualität, da ein Putin in Europa wütet. Das neue Leitungsteam am Staatstheater Darmstadt unter Schauspieldirektor Alexander Kohlmann und Regisseur Mizgîn Bilmen hat sich den Stoff wieder vorgenommen. Sie haben den Text stark gekürzt, aber auch bei ihnen ist Lady Macbeth die treibende Kraft, die den zaudernden Gatten zum Königsmord überredet. Das Bühnenbild von Sabine Mäder ist gelungen. Am Ende ist ein Tyrann tot, aber es bleibt die Frage, ob er nicht nur durch den nächsten Tyrannen ersetzt wird.
Ursula May über einen gelungenen "Macbeth" am Staatstheater Darmstadt wie sie ihn so noch nie gesehen hat.||
50 Jahre, das runde Jubiläum feiert die Junge Deutsche Philharmonie. Und sie bleibt ewig jung, denn das maximale Alter der Musikerinnen und Musiker liegt bei 28 Jahren. Aktuell geht es bei "Shifting Futures" vier Tage lang um Mentale Gesundheit und Mode, um Nachhaltigkeit und Demokratie – und natürlich um Musik. In Frankfurt trugen beim Auftakt alle unkonventionelle und genderfluide Kleidung der Modedesignerin Kaja Busch. Gespielt wurde eine Art Hitparade der Musikgeschichte vom Frühbarock bis heute. Die Dramaturgie des Konzerts in der Regie von Christine Arnold wirkte durchweg sehr ernst, ohne ein Lächeln, fast mit steinerner Miene defilierten die Musik-Models, auch wenn ihre Musik durchaus ausgelassener war. Starke Momente waren selten im statischen Ablauf, es fehlte die Prise Ironie oder Humor, aber es gab überraschende musikalische Einfälle, erfrischend im unklimatisierten Saal: Dirigent André de Ridder war an vielen Stellen kreativ - das Orchester war ständig in Bewegung - bei hohen Temperaturen und stickiger Luft eine Leistung, Kompliment!
Meinolf Bunsmann hat im überhitzten Frankfurt Lab eine coole Modenschau mit einem engagierten Orchester gesehen und gehört||
"Dare to design" heißt eine Ausstellung im Museum Angewandte Kunst Frankfurt, in der 40 junge Design-Absolventen ihre Ideen vorstellen. Das können praktische Objekte für den Haushalt sein, um etwa mit dem Kabelsalat aufzuräumen, aber auch Ideen aus dem Industrie-Design. Alle Ausstellungsobjekte verbindet das Thema "Nachhaltigkeit" zum Beispiel in der Wahl der Materialien, die häufig wiederverwendbar sind. Oder der Ärger darüber, warum man eine Waschmaschine wegwerfen muss, nur weil ein winziges elektronisches Bauteil ausgefallen ist.
Stefanie Blumenbecker entdeckte im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt Vorschläge für eine nachhaltigere Gestaltung.||
Vor genau drei Jahren kam ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm in die Kinos: "Die Unbeugsamen" portraitierte Frauen wie Rita Süßmuth, Petra Kelly oder Hertha Däubler-Gemlin in der Bonner Republik, die um Teilhabe an der Politik gekämpft und sich einen Platz in der politischen Männerwelt erkämpft haben. Jetzt kommt "Die Unbeugsamen“ Teil Zwei, "Guten Morgen ihr Schönen", es geht um Frauen in der DDR. Der Film konzentriert sich im Gegensatz zum ersten nicht auf die große Politik sondern auf den kleinen Alltag, und das gelingt sehr gut durch die Mischung aus frühen Dokumentationen, Interviews von heute, Filmausschnitten und Songs aus der DDR. Das ist sehr aussagekräftig, braucht keinen Erzähltext, ist sehr persönlich und ist zum Teil einfach auch sehr amüsant.
Daniella Baumeister lobt eine wirklich gelungene und kurzweilige anderthalbstündige Geschichtsstunde||
In dem früheren beliebten Kiosk "Max hat’s" zeigt der Neue Kunstverein Gießen auf rund zehn Quadratmetern regelmäßig wechselnde Ausstellungen. In diesem kleinen hellen, von der Straße aus einsehbaren Raum winkt oder grüßt ein paar Tagen eine kleine graue Torschranke, dekoriert mit einer glitzernden Partygirlande, die Passanten – alle 15 Minuten geht sie hoch, oder wieder nach unten. Die Künstlerin Catharina Szonn befragt mit ihrer ortsspezifischen Installation "Geliebte grüßen zum Abschied" unser Verhältnis zu den Maschinen. Ein wunderbar absurdes kinetisches Objekt, dass auf den zweiten Blick auch eine große Wehmut auslösen kann. Erfunden von uns Menschen, sind es ja gerade die Maschinen, die unsere Bewegungen beschränken und lenken, unsere Tages- oder Arbeitsabläufe gestalten.
Tanja Küchle freut sich über diese Installation im winzigen Neuen Kunstverein Gießen||
Auf Schloss Johannisberg gab's in der Reihe "Spot on Dvořák" nicht nur Musik mit der Geigerin Mayumi Kanagawa und der Pianistin Hideyo Harada, dabei war auch der Schauspieler Devid Striesow, der Texte rund um Dvořák gelesen hat. Also das klassische Format mit dem Wechsel von Musik und Wort, der rote Faden war das Leben Dvořáks, eine etwas akademische, aber funktionierende Dramaturgie. Devid Striesow hat unseren Mann im Publikum mit seiner Stimme, seinem teils auch hintergründigen Humor und Ironie und seiner Gestaltungskraft sofort gepackt. Dennoch hatte er den Eindruck eines zu anstregenden Abends, immerhin zwei Stunden und 35 Minuten, denn für sein Empfinden war der Musikanteil gegenüber dem Textanteil zu lang - und ihn hat auch die Auswahl der Stücke und deren Interpretation nicht immer überzeugt.
Meinolf Bunsmann hätte sich flottere Musik und mehr Text gewünscht||
Die Ausstellung "Zwischen Wurzel und Wipfel – Fragmente aus dem Netzwerk Wald" im Künstlerverein Walkmühle in Wiesbaden entfaltet einen ganz eigenen “Diskurs-Märchenwald“, findet Tanja Küchle, der einen Spaziergang unbedingt wert ist. Mit Naturmaterialien, sinnlich, poetisch und zart ebenso, wie analytisch, kritisch und verfremdend digital – und oftmals sehr humorvoll – versuchen die mehr als 30 internationalen Künstlerinnen und Künstler dem Lebenszusammenhang Wald auf die Spur zu kommen und den Menschen darin zu beheimaten. Abseits von Klischees rund um den Sehnsuchtsort der Deutschen geht es um die Entwicklung einer neuen Erzählung von Co-Existenz, die zukunftsfähig angesichts des Klimawandels ist.
Tanja Küchle findet einen Spaziergang an der Wiesbadener Walkmühle unbedingt lohnend||
Die Pianistin Lauren Zhang wirkt, wenn sie die Bühne betritt, bescheiden und sehr jung. Aber wenn sie erst mal vor ihren Tasten sitzt, entfacht sie einen Sturm. Für ihren Auftritt bei den Burghofspielen im Rheingau hatte sie sich mit das Anspruchsvollste vorgenommen, was die romantische Klavierliteratur zu bieten hat: ein Nocturne, zwei Scherzi und die b-moll Sonate von Chopin. Dabei beherrscht sie den Wechsel von verhaltenen, lyrischen Momenten und eruptiven Ausbrüchen. Und auch Schumanns Klavierzyklus "Kreisleriana" weist diese Doppelnatur auf. Zhang scheint nichts zu schwer zu fallen. Von dieser Pianistin ist noch Großes zu erhoffen.
Meinolf Bunsmann erlebte bei den Burghofspielen eine Pianistin, von der wir noch viel hören werden.||
Die Geschichte Amerikas ab 1860 soll neu geschrieben werden, in rund zwölf Kinostunden und prominent besetzt: Initiator, Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller ist Kevin Costner. Es ist die Zeit kurz vor dem amerikanischen Bürgerkrieg und die Zeit der Besiedelung des amerikanischen Westens. Und dann kommen weiße Siedler...da ist noch viel Luft nach oben, aber Kevin Costner hat ja auch noch rund neun Kinostunden Zeit eine wirkliche Geschichte zu erzählen.
Daniella Baumeister lobt den Film für das Zeigen der hässlichen Fratze des Wilden Westens ||
Helga Föhl hat ein ganzes Leben lang mit Eisen gearbeitet. Das ist bemerkenswert. Ihr Werk hat eine große Stringenz und Konsequenz. Schon als junge Frau hat sie mit der Verarbeitung des Metalls begonnen. Sie findet es auf Schrottplätzen, das können gequetschte Röhren sein, plattgewalzte Industrieteile. Darin sieht sie Formideen und sammelt die Teile ein. Dann beginnt das Schmieden, biegen, hämmern, schneiden mit dem Schneidbrenner und Schweißen.
Stefanie Blumenbecker war im Kunstarchiv Darmstadt von Werk und Persönlichkeit der Künstlerin beeindruckt||
Das Hallenbad Ost in Kassel ist vor einigen Jahren zum Veranstaltungsaal umgebaut worden. Und obwohl die Architekten das typische Schwimmbad-Ambiente bewahrt haben, ist die Akustik hervorragend. Seit neun Jahren gestaltet die Geigerin Tianwa Yang dort das Festival "Begegnungen". Außerdem gibt es "Dunkelkonzerte" im Museum für Sepulkralkultur. Am Freitag begann das Festival mit "Gassenhauern", Schlagern aus den Werken von Beethoven, De Falla und Dvořák. Das Publikum war begeistert, und Tianwa Yang bewies einmal mehr ihr außerordentliches Talent an der Geige.
Vera John ging noch als Schülerin im Hallenbad Ost in Kassel schwimmen; jetzt lauschte sie dort Tianwa Yang an der Geige.||
"Goodbye Julia" von Mohamed Kordofani ist der erste sudanesische Film, der auf den Filmfestspielen in Cannes gezeigt und hoch gelobt wurde. Er spielt in der Hauptstadt Khartum noch in der Zeit, bevor der Südsudan sich 2011 abspaltete. Ein relativ wohlhabendes, nordsudanesisches Ehepaar verursacht den Tod eines Mannes aus dem Süden. Um ihr Gewissen zu beruhigen, stellt die Frau die nichtsahnende Witwe als Hausangestellte ein. Kordofani zeigt den Rassismus zwischen Nord- und Südsudanesen und die religiösen Gegensätze von Muslimen gegen Christen. Aber seine Protagonisten sind weder gut, noch böse; er versucht zu verstehen, was in seinem Land geschehen ist.
Ulrich Sonnenschein bespricht mit "Goodbye Julia" von Mohamed Kordofani einen Film aus dem Sudan, über den wir so wenig wissen.||
Es war ein Termin, den sich viele Musikfreunde im Kalender rot angestrichen haben dürften: Am Dienstag traten Anne-Sophie Mutter und Daniel Barenboim mit dem "West-Eastern Divan Orchestra" beim Rheingau-Musik-Festival auf. Das "West-Eastern Divan Orchestra" ist gerade in unseren Tagen zum Symbol dafür geworden, dass ein menschliches Miteinander zwischen israelischen und arabischen Musikern noch möglich ist. Anne-Sophie Mutter glänzte im Violinkonzert von Johannes Brahms. Und in der 8. Sinfonie von Franz Schubert zeigten die Musiker, wie groß das Einverständnis mit ihrem Dirigenten Daniel Barenboim ist. Stehender Applaus.
Meinolf Bunsmann erlebte mit Anne-Sophie Mutter und Daniel Barenboim beim Rheingau-Musik-Festival zwei Giganten der Musik.||
Die portugiesische Sängerin "Lina_" trat am Dienstag in der Reihe "Summer in the City" im Palmengarten Frankfurt auf. "Saudade" heißt die portugiesische Form der Schwermut, und der perfekte Ausdruck dieser Schwermut ist der Fado. In ihrem neuesten Album "Fado Camões" lässt "Lina_" sich von Portugals Nationaldichter Luís de Camões inspirieren. Nichts spricht gegen eine behutsame Modernisierung des Fados. Wo man traditionell eine Gitarre erwarten würde, setzt "Lina_" das nicht sehr portugiesische Instrument Klavier ein. Auf ihrem Album waren auch zahlreiche Synthesizer-Klänge zu hören. Doch was auf ihrem Album durchaus gelungen war, klang beim Live-Konzert im Frankfurter Palmengarten leider nur noch billig.
Martin Kersten schwankt zwischen Lob für die Stimme von "Lina_" und Enttäuschung über die misslungenen Synthesizer-Klänge.||
Das Musical „A Chorus Line“ bei den Die osthessischen Festspiele zeigen eine mitreißende Revue – mit großen Choreografien, glitzernden Kostümen, genialen Orchester und eindrucksvollen Stimmen. Gut 20 Tänzerinnen und Tänzer stehen am Anfang auf der Bühne. Sie alle wollen einen Job in der Chorus Line – also in der Tanzgruppe eines Musicals. Regisseur Zach wählt am Ende acht von ihnen aus. Nicht nur nach ihren tänzerischen Fähigkeiten, sondern auch nach ihrer Lebensgeschichte. Die erzählen, tanzen und singen sie – in mitreißendem Swing bis zur gefühlvollen Ballade. Auch wenn die Story etwas aus der Zeit gefallen ist, gehen die bekannten Melodien und Rhythmen ins Ohr und ins Bein. Wahrscheinlich sind deswegen auch alle am Ende sofort aufgesprungen und haben begeistert applaudiert, weil man sich einfach gern bewegen und mittanzen wollte.
Vera John war begeistert von Tanz und Musik, die Story hat sie fast 50 Jahre nach der Uraufführung weniger überzeugt||
Eine schmächtige Oboe gegen die mächtige Orgel - kann das gut gehen? Es geht sogar sehr gut, wenn die Oboistin Karla Schröter heißt. Gemeinsam mit dem Organisten Willi Kronenberg trat sie am Samstag beim Michelstädter Orgelsommer auf. Orgelmusik aus dem Barock, da fällt einem natürlich erst einmal Bach ein. Aber die beiden Musiker haben Spaß daran, unbekannte Barock-Komponisten zu entdecken und vorzustellen wie Homilius, Krebs, Hertel, Tag und andere. Und da die Michelstädter Orgel ein Oboen-Register besitzt, spielten sie sogar ein Oboen-Duett.
Maximilian Peter genoss Orgel- und Oboenmusik beim Michelstädter Orgelsommer.||
Eine FBI-Agentin verfolgt einen Serienkiller - das Strickmuster ist seit "Das Schweigen der Lämmer" bekannt. "Longlegs" von Oz Perkins wird nun als der "gruseligste Film aller Zeiten" beworben. Und tatsächlich verarbeitet Perkins den Stoff auf eigenständige Art und Weise. Die Beleuchtung ist fast immer schummrig. Nicolas Cage - der den Serienkiller spielt, huscht schnell durchs Bild. Gerade weil Perkins Musik und Geräusche nur sparsam einsetzt, sind sie wirkungsvoll. Ob es sich nun um den gruseligsten Film aller Zeiten handelt, mag jeder selbst entscheiden; teuflisch gut ist er schon.
Daniella Baumeister gruselte sich gehörig in "Longlegs" von Oz Perkins, konnte danach aber noch ruhig schlafen.||
Die Kammeroper Frankfurt hat mit großem Erfolg die Oper "Sanatorio Express" des finnischen Komponisten Iiro Rantala im Palmengarten aufgeführt. Die endet eigentlich happy: Die beiden neurotischen Paare sind geheilt. Doch Regisseurin Ingrid El Sigai fand den Stoff zu gut, als dass man ihn nicht fortspinnen könnte. "Nach der Neurose ist vor der Neurose", dachte sie sich, und stellt nun mit "Die fröhliche Neurose" lauter unglücklich verliebte Neurotiker auf die Bühne. Die singen sich von klassischen Arien bis zu Biene Maja einmal quer durch die Musikgeschichte, und um ihres Liebeskummers Herr zu werden, treiben sie dabei unbeholfen Yoga. Der Effekt ist unglaublich komisch.
Natascha Pflaumbaum hat sich selten so gut amüsiert wie bei "Die fröhliche Neurose" im Palmengarten Frankfurt.||
"Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente, ist es wahrscheinlich eine Ente." Diesen Spruch gab es im Englischen schon lange bevor die "Fake News" aufkamen. Die schottische Künstlerin Rachel Maclean produziert in ihrer Arbeit "Mama Mimi Duck" in der Kunsthalle Gießen Enten. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz versetzt sie sich in Kurzfilmen in die körperliche Hülle von Prominenten wie Marylin Monroe. Ein anderer Teil der Kunsthalle ist ganz in pink und hellblau gehalten, den Signalfarben für das Geschlecht von Babies. Hier geht es der Künstlerin darum, dass Mutterschaft nicht nur das reine Glück bedeuten muss, sondern auch ambivalente Gefühle auslösen kann. Und in "Mimi" thematisiert Maclean die Erwartung an junge Mädchen, umwerfend schön aussehen zu müssen. Wer diese Erwartung nicht erfüllt, wird unsichtbar gemacht. In Gießen gibt's trotzdem viel zu sehen.
Christiane Hillebrand fand in der Kunsthalle Gießen mit "Mama Mimi Duck" ein Füllhorn von Ideen vor.||
Vergangenen Freitag wäre der US-amerikanische Schriftsteller James Baldwin 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat das Deutsche Filmmuseum eine Filmreihe gestartet, mit Spielfilmen und Dokumentationen. Filme von 1958 bis 2018, von "Flucht in Ketten", bis "If Beale Street could talk", dazu der Oscar-gekrönte "I am not your negro" - eine wirklich gute, sehr politische Mischung, denn Baldwin hat sich auch als Bürgerrechtsaktivist verstanden.
Mario Scalla empfiehlt sich mit dem Autoren und seinen- Protagonisten zu beschäftigen - denn das Thema Rassismus hat (nicht nur) die USA fest im Griff||
Blockflöte, Klavier, Tuba und Bratsche - es ist schon eine ungewöhnliche Kombination, mit der die "Hanke Brothers" die Darmstädter Residenzfestspiele am Freitag eröffneten. Und weil es klassische Musikstücke für diese Kombination schlicht nicht gibt, sind alle Stücke eigens für die vier Brüder komponiert. Darunter sticht "Europa" von Aleksey Igudesman hervor, eine viertelstündiger Spaziergang durch die Musikkulturen Europas. Den "Hanke Brothers" gelang so ein fulminanter Auftakt der Residenzfestspiele. Einziger Wermutstropfen ist, das noch zahlreiche Sitze leer geblieben waren.
Stephan Hübner kehrte beschwingt vom Konzert der "Hanke Brothers" bei den Darmstädter Residenzfestspielen zurück.||
Wer "Stern", "taz" oder "Süddeutsche Zeitung" liest, kennt die Karikaturen von Miriam Wurster. Vor allem die Beziehungsschwierigkeiten von Mann und Frau nimmt sie gerne aufs Korn. Auf dem Plakat zur Ausstellung im Caricatura-Museum Kassel mit Wursters Werken steht eine Frau am Ufer und ruft ihrem ertrinkenden Mann zu: "Schrei mich bitte nicht so an!" Aber auch in die Politik mischt sie sich ein, wenn sie etwa einen "klimafreundlichen E-Panzer" konstruiert. Seit gut drei Jahrzehnten erfreut uns Wurster mit ihren Karikaturen, Cartoons und Comics, und so wurde es Zeit für den Gesamtüberblick im Caricatura-Museum Kassel.
Jens Wellhöner genießt den bösen Witz von Miriam Wurster im Caricatura-Museum Kassel.||
Welche Filmnation kann besser verletzte Gefühle im Kino zeigen als Frankreich? Doch leider garantiert auch das nicht gleichbleibend gute Ergebnisse. In "Liebesbriefe aus Nizza" von Ivan Calbérac entdeckt ein pensionierter General auf dem Dachboden Liebesbriefe an seine Frau, die definitiv nicht von ihm stammen. Und obwohl die Liebesbriefe 40 Jahre alt sind und seine Frau ihr Leben mit ihm verbracht hat, wird er von Eifersucht gepackt. Vor allem Sabine Azema lässt in einigen Szenen aufblitzen, was für eine hervorragende Schauspielerin in ihr steckt, aber insgesamt ist dieser Film viel zu schematisch geraten.
Ulrich Sonnenschein hat sich von dem Film "Liebesbriefe aus Nizza" mehr erhofft.||
Musik gehört in die Konzerthalle, bildende Kunst in die Kunsthalle. Die Kunsthalle Mainz unterläuft dieses Schubladendenken mit Ari Benjamin Meyers' "Always Rehearsing", also einer "endlosen Probe". Meyers' Kunst bewegt sich im Grenzgebiet zwischen Kunstinstallation und Komposition. Sogar einen Chor hat Meyers eigens gegründet mit Sängerinnen und Sängern aus dem Zollhafen, wo die Kunsthalle steht. Und in einer Installation laufen die Besucher zum Beispiel über unzählige Bleiplatten mit Musiknoten, die aus dem Archiv des Schott-Verlags stammen. Ein synästhetisches Erlebnis.
Gudrun Rothaug warf einen Blick über den Rhein mit Ari Benjamin Meyers' "Always Rehearsing" in der Kunsthalle Mainz.||
Das Stadttheater Gießen hat eine neue Intendantin, und Simone Sterr hat ihre erste Spielzeit mit einem großen Erfolg abgeschlossen: 18.000 Besucher mehr besuchten die Vorstellungen. Inzwischen wird im Theatergebäude renoviert, sodass die Intendantin kurzerhand eine Sommerbühne vor dem Theater aufbauen ließ. Hier lief zuletzt der Liederabend "Wunder gibt es immer wieder", und das Publikum ging trotz Nieselregens begeistert mit. Ein neuer Beweis, dass dieses Theater sich wirklich zur Stadt geöffnet hat.
Stephan Hübner erlebte ein begeistertes Publikum beim Liederabend "Wunder gibt es immer wieder" am Stadttheater Gießen.||
Die Stadt Mörfelden-Walldorf hat sich um die Förderung der Skulpturen-Kunst verdient gemacht, denn schon zum 26. Mal richtet sie ihren "Skulpturenpark" aus. Diesmal stellen elf Künstlerinnen und Künstler ihre Werke aus. Die Präsentation im Freien bedingt, dass die haltbaren Materialien vorherrschen: Stein, Beton, Glas und Stahl. Aber die besondere Leistung besteht darin, dass die Skulpturen wie naturwüchsig aus dem Boden hervorwachsen. Und wäre nicht der Lärm aus der Flugschneise zum Frankfurter Flughafen, wäre dies ein perfekter Ort zum Meditieren.
Martin Maria Schwarz verbrachte einen anregenden Aufenthalt im Skulpturenpark Mörfelden-Walldorf||
Das Museum für Moderne Kunst Frankfurt richtet in seiner Filiale im Tower dem Künstler Gustav Metzger erstmals in Deutschland eine Einzelausstellung aus. Metzger ist in der hiesigen Kunstszene kaum bekannt, nicht nur weil er in Großbritannien lebte und dort am Rande der Gesellschaft. Sein Protest gegen die Vermarktung von Kunst ging soweit, dass er 30 Jahre lang ganz verstummte. Dann schuf er aber seine stärksten Kunstwerke. "To Crawl Into - Anschluss" zeigt zum Beispiel Juden in Wien, die 1938 gezwungen werden, die Straße mit Zahnbürsten zu reinigen. Um das Foto zu betrachten, muss der Besucher allerdings dieselbe Haltung einnehmen wie die gequälten Juden.
Stefanie Blumenbecker lobt das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt dafür, den nahezu unbekannten Gustav Metzger groß herauszubringen.||
1965 war die "Die Ermittlung" von Peter Weiss das am meisten gespielte Theaterstück auf deutschen Bühnen. Weiss hatte die Aussagen aus dem ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess mit Zeitungsartikeln und persönlichen Aufzeichnungen collagiert. Rolf Peter Kahl hat das Theaterstück nun in einen Kinofilm übertragen. Und er geht radikal vor: Es gibt keine Spielszenen, keine der so beliebten Experteninterviews, noch nicht einmal eine Studiodekoration. Der Film wirkt allein durch das gesprochene Wort, und das wird von 60 der besten deutschen Schauspieler vorgetragen. Und dann ist da noch die Länge: Der Film dauert in seiner ungekürzten Fassung vier Stunden, aber keine Minute davon ist überflüssig.
Daniella Baumeister findet, dass jede einzelne Minute den vierstündigen Film "Die Ermittlung" von Rolf Peter Kahl trägt.||
Kaum eine Kunst ist so allgegenwärtig - und so leicht zu übersehen - wie die Schriftgestaltung. Immerhin gibt es in Offenbach ein eigenes Museum, das sich diesem Thema widmet. In der Ausstellung "Same Bold Stories?" des Klingspor-Museums geht es um den Beitrag den Frauen und Menschen, die sich als nicht-binär definieren, zur Schriftgestaltung geleistet haben. "Bold" steht hier für den Schriftschnitt "fett", kann aber auch als "mutig" oder "frech" gelesen werden. Die Schriftgestalterinnen schufen Schriften, die zum Beispiel Texte am Computer gut lesbar machen. Und manchmal gelingen ihnen Kunstwerke, die sogar zu Symbolen des Widerstands etwa im Iran aufstiegen.
Mario Scalla ließ sich von der Ausstellung "Same Bold Stories?" im Klingspor-Museum Offenbach überzeugen, dass auch Schriften gegendert werden können.||
Vorausgesetzt, das Wetter spielt mit, gibt es kaum einen schöneren Ort, als einen lauen Sommerabend bei einer "Kammeroper" im Palmengarten Frankfurt zu verbringen. Diesmal bewies die Kammeroper Mut und setzte eine neue Oper auf den Spielplan: "Sanatorio Express" des finnischen Komponisten Iiro Rantala. Ein Scharlatan hat ein Sanatorium eröffnet, wo er eine reiche Klientel mit allerlei Wehwehchen um ihr Geld erleichtert. Und weil Rantala fand, dass es Zeit wird, auch mal ein schwules Paar auf die Opernbühne zu stellen, hat er auch das untergebracht. Rantala hat sich einen Namen als Jazzpianist gemacht, doch die Musik hier ist ein gefälliger Stilmix.
Martin Grunenberg ist des Lobes voll über die neue Oper von Iiro Rantala "Sanatorio Express"||
Mit so einen "Karneval der Tiere" hatten die Besucher wohl nicht gerechnet, denn bei der Aufführung im Kurpark wirkten die Wiesbadener Halsbandsittiche lautstark und durchaus musikverständig mit. Von einem Kurpark darf man natürlich nicht die Akustik eines Konzertsaals erwarten. Die Musik muss künstlich verstärkt werden, was für die Besucher in der Mitte der Stuhlreihen eine Mischung aus natürlichen und künstlichen Quellen ergibt. Aber die Atmosphäre entschädigt für alles. Lang Lang und seine Frau - die Wiebadenerin Gina Alice - hatten sichtlich Spaß, einander die Bälle am Klavier zuzuwerfen. Das "Schleswig-Holstein Festival Orchestra" begleitete sie kongenial unter der Leitung von Ion Marin. Und Axel Milberg war die perfekte Wahl, um die Texte vorzutragen.
Meinolf Bunsmann verbrachte einen angenehmen Abend bei Klaviermusik von Lang Lang und Gina Alice und dem Gesang der Halsbandsittiche im Kurpark Wiesbaden.||
Die Jahresausstellung des Frankfurter Palmengartens "Verspielt?" widmet sich dem Verhältnis von Pflanzen und Insekten. Schließlich gäbe es keine Blüten, wenn sie nicht Bestäuber anlocken müssten. Gezeigt werden Arbeiten von 31 Künstlern, und auch ihre Medien sind mit Metallskulpturen, Videoanimationen, Klangkunst, Fotografie und Malerei äußerst vielfältig. Die Ausstellung konzentriert sich zwar auf eine Ausstellungshalle, doch sind einige Arbeiten im gesamten Palmengarten zu entdecken. Und vielen Kunstwerken ist ein melancholischer Zug eigen, der auf die menschengemachten Verluste in der Natur hinweist.
Mario Scalla war erstaunt über die verschiedenen Zugänge, die die Künstler in der Ausstellung "Verspielt?" im Frankfurter Palmengarten gewählt haben.||
Die neue Sommerkomödie aus Frankreich heißt "Juliette im Frühling". Das alleine wäre noch nicht Grund, den Film zu besprechen, wenn Regisseurin Blandine Lenoir ihn nicht so sorgfältig gearbeitet hätte. Im Mittelpunkt steht die Kinderbuchillustratorin Juliette (Izia Higelin), die sich im Kreis ihrer Familie zwei entspannte Wochen erhofft. Doch eigentlich hätte sie sich schon denken können, dass das ein Widerspruch in sich ist ...
Daniella Baumeister empfiehlt, bei der Sommerkomödie "Juliette im Frühling" genau auf die Dialoge zu achten.||
Hier wird seit mehr als 20 Jahren in immer neuen Konstellationen die Geschichte der Nibelungen erzählt, an historischer Stätte vor dem Wormser Dom - dort soll der berühmte Streit der Königinnen stattgefunden haben. Seit Jahren werden wichtige zeitgenössische Autoren gebeten, ihre Sicht auf den mythischen Stoff in ein Drama zu packen. Diesmal waren es Feridun Zaimoglu und sein Co-Autor Günter Senkel.
Ursula May ist treuer Fan der Festspiele und kann daher die Inszenierungen gut vergleichen||
Mit der hr2-Frühkritik geht es heute morgen nach Bad Hersfeld zu den Festspielen. Allerdings nicht in die Mauern der Stiftsruine, sondern in ein intimeres Ambiente, Schloss Eichhof am Rande der Stadt. Dort hatte das Theaterstücks "Der Vorname" Premiere: Es geht um ein Abendessen unter Freunden – die sind erstmal ganz locker, machen ihre üblichen Scherze. Bis einer der Männer, Vincent, die Bombe platzen lässt: Seine Freundin Anna ist schwanger und sie wollen ihr erstes Kind Adolphe nennen. - Ein witziges, intelligentes Stück, das Ensemble nimmt das Publikum von Anfang an mit. Schon in der ersten Minute wird gelacht. Unserer Frau im Parkett war es manchmal etwas zu viel seichtes Boulevard, aber schön fand sie dagegen die Anspielungen an die Region. Das hat natürlich für Extralacher in Bad Hersfeld gesorgt. Am Ende Standing Ovations und langen Applaus.
Vera John hat sich gut amüsiert und lobt Stoff und Umsetzung||
Warum sollte man einen erfolgreichen Film noch einmal auf die Theaterbühne bringen? Wer den "Club der toten Dichter" Anfang der 1990er-Jahre gesehen hat, dem werden die Bilder im Kopf geblieben sein: Wie die Schüler vom Lehrer aufgefordert werden, auf die Tische zu steigen, um eine andere Perspektive zu bekommen; wie Englischlehrer John Keating versucht, aus jedem Schüler das Beste herauszukitzeln. Und gerade das macht die Aufführung bei den Bad Vilbeler Burgfestspielen so reizvoll: Die Zuschauer unternehmen eine Zeitreise in die 90er-Jahre, als die ökonomischen Verhältnisse noch stabil waren und das höchste Ziel des Individuums war, sich selbst zu optimieren.
Esther Boldt unternahm mit "Der Club der toten Dichter" bei den Bad Vilbeler Burgfestspielen eine Zeitreise in die frühen 90er-Jahre.||