Charles Eismayer ist Ausbilder beim österreichischen Heer und für seine Härte berüchtigt. Seine Homosexualität hat er mit einer Ehe mit einer Frau kaschiert. Sein Leben funktioniert ganz gut bis er sich in einen der neuen Rekruten verliebt und der in ihn. Das zwingt Eismayer zu harten Entscheidungen: Wie wird seine Frau reagieren? Wie reagiert die Männergesellschaft des Militärs auf eine Heirat mit einem Rekruten? Und warum hat es so lange gedauert, bis dieser Film aus Österreich zu uns nach Deutschland kam?
Der zentrale Begriff in der ersten Poetik-Vorlesung von Clemens J. Setz an der Universität Frankfurt lautet: Mysterien. Setz gelingt es immer wieder, seinen Beobachtungen eine schräge Seite abzugewinnen. So empfahl er ausdrücklich, nicht eine "Aura-Brille" zu kaufen, erzählte dann aber so anregend von seinen Seheindrücken, dass bestimmt in der nächsten Vorlesung zahlreiche "Aura-Brillen" zu sehen sein werden. Aber Setz stellt auch ernsthafte poetologische Fragen: Warum gibt es in Romanen immerzu Hauptpersonen? Wie müsste eigentlich ein Roman aus lauter Nebenpersonen aussehen? Futter zum Nachdenken ist bei Clemens J. Setz jedenfalls garantiert.
Unter dem Titel "gerade NOW!" hat das Hessische Staatsballett zwei sehr unterschiedliche Choreografien zu den Wiesbadener Maifestspielen mitgebracht. In "Of Prophets and Puppets" des französischen Martin Harriague geht es um das Ende der Talkshow. Greta Thunberg kann hier nur noch stammeln, während Donald Trump versucht, sich nach vorne zu schieben. Und mit "Midnight Raga" versucht das Hessische Staatsballett eine Choreografie aus dem Erbe von Marco Goecke zu retten, der sich mit einer Hundekot-Attacke auf eine Kritikerin disqualifiziert hat.
"The Prison" ist eine Sinfonie für Sopran- und Baritonsolo, Chor und Orchester, das die britische Komponistin und Frauenrechtlerin Ethel Smyth 1929 als eine Art Oratorium erschaffen hat. Das Darmstädter Publikum erlebte die szenische Uraufführung, die sich durch einiges von herkömmlichen Musik-Produktionen abhob: Ein Flashmop begrüßt die Wartenden, die Sitze stehen auf der Bühne, überall flattern Vorhänge und Schnüre. Ein visueller Rausch, der trotz der Momente der Verzweiflung ein sehr trostspendendes und mutmachendes Stück ist. Und mit Georg Festl als Gefangener mit seiner sonoren und immer textverständlichen Baritonstimme sowie Jana Baumeister als seine Seele mit ihrer engelhaften Sopranstimme auch ideal besetzt!
Humor ist bekanntlich Glücksache, vor allem wenn es um den Humor fremder Nationen geht. Womöglich können Franzosen über den Film "Mamma ante Portas" tatsächlich herzhaft lachen. Unserer hr2-Filmkritikerin Hadwiga Fertsch-Röver, die selten Verrisse verteilt, ging es da anders. Die Geschichte von der Mutter, die bei der Tochter einzieht, fand sie schal, die Witze abgestanden. Die Schauspieler bleiben weit unter ihren Möglichkeiten; die Konstellation, die durchaus komisches Potential hätte, wird von den Drehbuchschreibern nicht genutzt. Deshalb: Gehen Sie diese Woche in einen anderen Film!
Mit der großen Ausstellung "Das Relief von Rodin bis Picasso" zeigt das große Kunstmuseum am Main 140 Werke von knapp 100 Künstlern: Bilder, geritzt in Holz oder gehauen in Stein, gebaut aus Pappe und Draht, gegossen in Bronze, geklebt aus Dachlatten oder auch nur gemalt, Räumlichkeit vortäuschend. Meisterwerke aus 160 Jahren in einer edlen zart hellblau-silbrigen Raumarchitektur; so beleuchtet, dass die Dreidimensionalität der Werke hervorgehoben wird; eine Schrift, die extra für die Ausstellung entwickelt wurde - alles aus einem Guss: licht und leicht, gleichzeitig tiefgründig und gehaltvoll. Ein Gang durch diese Ausstellung ist wie eine Reise durch ein neues Land!
Seit 2015 leitet der Choreograf Jacopo Godani die Dresden Frankfurt Dance Company, eine Verbindung aus fester und freier Tanztruppe. Jetzt geht er und spielt in seinem vorerst letzten Stück "Symptoms of Development" mit den Erwartungen des Publikums - und liefert zugleich einen Rückblick auf die letzten acht Jahre. Seine Bühnensprache ist auf Extreme aus, die allein jedoch keinen interessanten Abend ausmachen können. Virtuosität sieht hier immer wie Selbstzweck aus, es ist ein Tanz um des Tanzes Willen, effekthascherisch und letztlich monoton, inhaltlich - zugespitzt gesagt - leer. Da ist viel Luft nach oben, man darf gespannt auf Ioannis Mandafounis sein, der im Herbst übernimmt.
Jonas Kaufmann trat am Sonntag in der Alten Oper auf, und das Publikum war aus dem Häuschen, wie man es sonst nur in Italien erlebt. Kaufmann hat eine charakteristische Stimme, für einen Tenor ziemlich baritonal. Seine Stimme ist mit den Jahren etwas nachgedunkelt. Er ist ein guter Darsteller auf der Bühne, hat Charisma und ist charmant. Er ist vielseitig, singt deutsch, französisch, italienisch, manchmal englisch. Und er singt nicht nur Verdi, sondern auch Wagner, nicht nur Opern, sondern auch Lieder. Für ausufernde Begeisterung gibt es also Grund genug, auch wenn man den letzten Tönen gerne noch etwas nachlauschen würde, bevor der Applaus losbricht.
Richard Wagners "Ring des Nibelungen" - ein spektakuläres Musiktheater-Großereignis, das gerade in Kassel über die Bühne des am Staatstheaters geht. Coronabedingt musste man dort ziemlich lange warten, bis es als Zyklus mit allen vier Teilen zu sehen war: Das Rheingold – Die Walküre – Siegfried – Die Götterdämmerung. Inszeniert hat die vier Abende der ehemalige Schauspieldirektor Markus Dietz. Astrid Gubin hat den kompletten Zyklus in Kassel gesehen und zieht Bilanz.
Auftritt Jens Harzer bei den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden: Harzer ist Träger des Iffland-Rings, also einer der besten Schauspieler der Republik. In Molières "Der Geizige" in der Inszenierung des Hamburger Thalia-Theaters spielte er den Harpagon hart am Rande der Klamotte: mit künstlichem dicken Bauch im Jogging-Anzug. Noch nach 350 Jahren beißt Molières Kritik des Kleinbürgers, aber "Der Geizige" überzeugt auch als Stück über einen Generationenkonflikt. Und nicht nur Harzer ist ein großartiger Schauspieler, das gesamte Ensemble überzeugt mit seiner Leistung.
Es gab Menschen in der DDR, die konnten nach Kuba reisen und auch dort bleiben – im staatlichen Auftrag und nach 1972 auch auf einem Felsen vor Kuba, "Ernestos Island", den Fidel Castro angeblich Erich Honecker geschenkt hatte. Das ist kein Dokumentarfilm, er tut aber so - und das macht dieses Road Movie reizvoll, das zwar voller Klischees steckt, aber viel vom kubanischen Pragmatismus erzählt. +++ "Blix Not Bombs" ist ein Film über Hans Blix, den obersten UN-Waffenkontrolleur während des Irakkriegs. Plot: Junge Frau fragt alten Mann - und findet den richtigen Ton. Er suchte Fakten und fand sie, was aber nicht zu einem Kriegsende führte. Sie findet, dass Chaos und Krisen heute in der Welt damals schon ihren Anfang nahmen und die offen subjektiv ist. Leider sehr relevant!
Wenn die Frankfurter Septemberaufstände von 1848 als historisches Ereignis nacherzählt werden - und zwar als Komödie, gerät das in der Volksbühne zum Portrait jener Menschen, die heute als tapfere Revolutionäre gelten: Ein Spiel mit Typen, Feige, Heroische, Bigotte, Schwärmer, Naive, Mitläufer und Heldenhafte. Tja, Revolutionen sind für die, die sie machen, alles andere als lustig - Rainer Dachselt hat mit dem Historiker Thomas Bauer Verhörprotokolle entziffert - heraus kommt ein Verwirrspiel anhand historischer Fakten. Ein lautes, unterhaltendes, jedoch authentisches Spektakel mit großem Lerneffekt. Als ob merr debei gewese wär'!
Händel hat sage und schreibe 42 Opern komponiert sowie 25 Oratorien. Die Auswahl ist also groß, wobei die Vielfalt verblüfft. Bei den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden trat ein Dream-Team aus der Sopranistin Anna Prohaska, dem Countertenor Bejun Mehta sowie der "lautten compagney Berlin" an, um Duette und Arien von Händel zu präsentieren. Schon die Anordnung von Orchester und Solisten sorgte dabei für ein intensives Klangerlebnis. Schade nur, dass einige Sitze im Publikum leer blieben.
Bereits zum 13. Mal kann man im Kurpark von Bad Homburg Kunst und Natur im Dialog erleben: Die "Blickachsen" sind eine Skulpturen-Biennale, lange galt das Motto "Größer, höher, weiter", denn sowohl die Maße der Werke wuchsen als auch das Ausstellungsgelände. Jetzt beschränkt man sich wieder auf den Ursprungsort, das tut gut: Der englische Landschaftsgarten gibt einen wunderbaren Rahmen, Wiesen und Bäume, Himmel und Teich lassen die Kunstwerke regelrecht atmen. Formen und Materialien sprechen ganz anders zum Betrachter als dies in dem geschlossenen Raum eines Museums möglich wäre. Die "Blickachsen" Jahrgang 2023 sind eine ideale Gelegenheit, schwellenlos Kunst zu erleben, die Reise lohnt sich!
Melancholie gilt sowieso als Grundverfassung der Argentinier. Aber die Zustände, die German Kral in "Adiós Buenos Aires" zeigt, könnten einen verzweifeln lassen. Der Film spielt im Argentinien des Jahres 2001 und Julio - Besitzer eines Schuhladens und Bandoneon-Spieler in einem Tango-Orchester - trägt sich mit dem Gedanken, nach Deutschland auszuwandern. Doch dann lernt er Mariela kennen; aber vor allem der Gedanke, die Tango-Musik aufzugeben, lässt ihn weiter in Buenos Aires ausharren.
In "Embodying Bodies" zeigt Choreograf Fabrice Mazliah am Künstlerhaus Mousonturm getanzte Theorien der Biologin Lynn Margulis: Der menschliche Körper sei keine abgeschlossene Einheit, sondern ein ganzes Ökosystem. Da werden Steine in Kniekehlen geklemmt und über Bauchnabel gerollt, Arme in Wasser geplatscht und Beine mit anderen Beinen verschränkt. Der Abend ist sehr detailgenau gearbeitet, wie das bei Mazliah meist der Fall ist - die Choreografie wirkt oft wie eine bewegte Installation, die das Empathievermögen anspricht und wortwörtlich "berührt". Wie das funktioniert, ist sehr faszinierend - wer sich darauf einlässt, fühlt mit!
Kronberg steht wieder im Zeichen der Kammermusik. Das weltverbindende Festival der Academy bietet Konzerte, öffentlichen Proben und mehr. Absolventen treten auf, zu Beginn mit Beethovens Streichtrio op. 9 Nr.1 und einer Komposition von Gideon Klein aus dem dem Jahr 1944. Stella Chen, Matthew Lipman und Brannon Cho sind aufs Beste aufeinander abgestimmt, setzen der Königsdisziplin der Kammermusik die Krone auf. Dann das zweite Klavierquartett von Antonin Dvorak: Pianist Jean-Sélim Abdelmoula agiert hier akustisch (zu?) zurückhaltend, vielleicht hatte er die Sorge, die drei Streichinstrumente zu überdecken? Insgesamt ein wundervoller Abend mit Musikern, von denen man noch viel Gutes hören wird!
Literaturpreise gibt's wie Sand am Meer; Literaturpreise, die sich speziell dem Komischen in der Literatur widmen, aber nur in Kassel. Zum Auftakt des "Kasseler Komik-Kolloquiums" wurden dort der "Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor" verliehen sowie für den Nachwuchs der "Förderpreis Komische Literatur". Eine Einsicht, die hr2-Kritiker Robert Kleist aus Kassel mitbrachte, war: Die Schweiz scheint ein besonders geeignetes Biotop für komische Literatur zu sein.
Vor hundert Jahren versank Deutschland in einer Hyperinflation: Stündlich war das Geld weniger Wert, die Nullen auf den Geldscheinen wurden immer mehr. Das ist kein Vergleich zu heute, wo bei Miete, Strom und Butter kräftig hingelangt wird, aber alles noch im Rahmen bleibt. Das Historische Museum zeigt die Ereignisse von 1923 in gewohnt plastischer Weise aus der Sicht der Frankfurter Bürger. In der Stadt am Main nahm man vieles mit Humor, nur die Allerärmsten litten. Viele Sparer verloren ihr Geld, gegen Ende des Jahres war der Spuk vorbei. Angst vor Inflation haben die Deutsch trotzdem, bis heute.
Was sich zwischen Klassen- und Lehrerzimmer und dem Pausenhof abspielt, hat oft mit Pädagogik oder Lehrplan nicht viel zu tun. Im Kino wird das das dann gern eine Komödie, der Film "Das Lehrerzimmer" ist aber ganz anders: Schule ist das Abbild einer Gesellschaft, die zunehmend aus den Fugen gerät - und das zeigt Regisseur Ilker Catak mit diesem beklemmenden Kammerspiel. Der moralische Anspruch einer Lehrerin, mit ihrer Klasse alles offen zu diskutieren, gerät im Lehrerzimmer vollkommen unter die Räder, es herrscht Psychoterror. Eine Lösung hat der Regisseur auch nicht. Sehr gut!