Collage aus Fotos nackter Menschen, Kunst von Annegret Soltau: MutterTochterVaterSohn, 2005

Annegret Soltau ist die vielleicht wichtigste feministische Künstlerin Deutschlands in den letzten 50 Jahren, sie ist international hoch anerkannt, auch wenn sie vielleicht in Deutschland selbst nicht ganz so populär ist – oder nur im Kunstbetrieb selbst, nicht so sehr beim breiten Publikum. Sie zeigt den weiblichen Körper, meistens ihren eigenen. Sie fotografiert sich, ihr Gesicht, ihren schwangeren Bauch, auch andere Personen, zerreißt die Fotos, collagiert sie wieder zusammen und vernäht die Teile mit einem Faden, mit Nähgarn. Annegret Soltau nimmt in ihre Kunst viele Themen vorweg, die jetzt diskutiert werden – wie "Body Positivity", das Annehmen seiner selbst jenseits von genormten Vorstellungen, letztlich geht es bei ihr um Identität, die Frage: Wer bin ich?

Warum heißt die Ausstellung "Unzensiert"?

Annegret Soltau ist die vielleicht wichtigste feministische Künstlerin Deutschlands in den letzten 50 Jahren, sie ist international hoch anerkannt, auch wenn sie vielleicht in Deutschland selbst nicht ganz so populär ist – oder nur im Kunstbetreib selbst, nicht so sehr beim breiten Publikum. Die Ausstellung heißt „Unzensiert“, weil genau das ihren Bildern immer wieder passiert ist, sie wurden abgehängt, aus Ausstellungen entfernt oder, wie zuletzt bei einer Präsentation im Hessischen Rundfunk 2011, mit einem Vorhang überdeckt. Im Städel sind jetzt alle diese Bilder zu sehen, die man teilweise als so anstößig empfunden hat, dass man sie der Öffentlichkeit entziehen wollte.

Was zeigen Ihre Bilder, welchen Themen widmet sie sich?

Den weiblichen Körper, meistens ihren eigenen. Sie fotografiert sich, ihr Gesicht, ihren schwangeren Bauch, auch andere Personen, zerreißt die Fotos, collagiert sie wieder zusammen und vernäht die Teile mit einem Faden, mit Nähgarn. Sie näht auch in Portraits hinein, über den Mund, über die Augen. Das hat eine sonderbare Wirkung, oft erscheinen die – meistens nackten Körper – versehrt, sie strahlen eine sonderbare Intimität aus. Die Vernähungen erinnern an Wunden, teilweise sie an Fesselungen und sie gehen buchstäblich unter die Haut.

Dabei ist doch der weibliche, nackte Körper eines der häufigsten Bildmotive überhaupt, nicht nur in der Kunst, auch in der Werbung, im Kino, in der Populärkultur überhaupt, aber diese Ästhetik bricht sie.

Ja, auf fast schon brutale Art und Weise. Annegret Soltau ermächtigt sich ihrer selbst: Sie zeigt Schwangerschaft und Geburt, Körperbehaarung und Falten, die Collagen sind aus Einzelteilen, aus Körperteilen zusammengefügt. Ein Hauptwerk trägt den Titel „Selbst mit Tochter, Mutter und Großmutter“. Vier nackte Frauen von jung bis alte, nebeneinanderstehend, bei denen Gesicht und Brüste ausgetauscht wurden, so dass die junge Frau die Brüste der Alten hat und umgekehrt. Das ist die Arbeit die wiederholt von Ausstellungen verbannt wurde oder mit Tüchern verdeckt, sie erscheint bis heute irritierend. Das will man so nicht sehen.

Den alten Körper sowie nicht, heißt es ja. Der hat keinen Raum in unseren Bildwelten oder nur eine bestimmte Inszenierung von Alter.

Genau. Dabei wird der jugendliche Körper ja alt werden und der alte war einmal jung.  Annegret Soltau nimmt in ihre Kunst viele Themen vorweg, die jetzt diskutiert werden – wie „Body Positivity“, das Annehmen seiner selbst jenseits von genormten Vorstellungen, letztlich geht es bei Annegret Soltau um Identität, die Frage, wer bin ich? Kann ich Künstlerin und Mutter sein? Was bedeutet Mutterschaft für Frauen? Woher komme ich – welche Informationen speichert mein Körper. Es gibt Foto-Collagen von ihr, wo sie ihr Gesicht aus Teilen zusammenfügt. Der Mund zeiget ihr junges Selbst, die Augen ihr altes.

Wirkt das nicht deformiert?

Ja. Die Proportionen verrutschen, die Lebensalter verrutschen, bei manchen Bildern fügt sie auch Körper aus männlichen und weiblichen Elementen zusammen. Mich hat das teilweise an Aliens erinnert, aber auch an Motive hinduistischer Gottheiten, mit ihren vielen Armen und Köpfen. Das erscheint manchmal erschreckend, aber auch sehr spielerisch, fluides.

Wie ist die Ausstellung im Städel präsentiert?

Auf rosafarbenen Wänden. Ein Rosa wie bei Pflasterstreifen, so ein pudriges Rosa, was man „hautfarben“ nennt. Ein sehr körperliches Rosa. Und – die Ausstellung ist ganz streng chronologisch. Man kann ihre Werkentwicklung von den frühesten Zeichnungen und Radierungen, Anfang der 70er Jahre bis in die jüngste Vergangenheit verfolgen. Ich habe ja schon zu Anfang gesagt – Annegret Soltau ist international sehr bekannt, wurde aber in der Region bislang wenig gezeigt, obwohl sie seit über 50 Jahren in Darmstadt lebt. Das Städel zeigt seit einiger Zeit in lockerer Folge Ausstellungen, die wichtige Künstlerinnen vorstellen, wie Lotte Laserstein oder Ottilie Röderstein, beides Künstlerinnen der Moderne. In die Reihe fügt sich die Retrospektive von Annegret Soltau nun ein. Endlich wird sie mit einer großen Ausstellung gewürdigt!

Sendung: hr2-kultur, 7.5.2025, 7:30 Uhr