Die Schauspieler Katharina Brehl, Nicolas Sidiropulos, Emma Bahlmann, mit lockerem Kopftuch, eine trägt einen aufgeklebten Bart in: Sechzehn Wörter am Staatstheater Kassel

"Sechzehn Wörter" heißt ein Roman von Nava Ebrahimi von 2017. Dariusch Yazdkhasti hat daraus ein Theaterstück gemacht, in Kassel am TIF, dem Theater im Fridericianum. Dies ist ein herausragendes Stück, es öffnet den Blick für das Leben im Iran. Und auf die Spannung, wenn jemand in zwei Kulturen lebt, aber sich zu keiner wirklich zugehörig fühlt. Gleichzeitig ist "16 Wörter" witzig und feiert das Leben - trotz aller Einschränkungen und Widrigkeiten. Alle drei Schauspieler sind sehr präsent und sie vermitteln, wie viel Spaß sie daran haben, ständig die Rollen zu wechseln und damit zu spielen. Das ist einfach tolles Theater!

Worum geht es?

Es geht um Mona. Sie ist als kleines Mädchen mit ihrer Familie aus dem Iran nach Deutschland gekommen und hier aufgewachsen.
Als ihre Großmutter stirbt, reist sie mit ihrer Mutter zurück in den Iran.
Sie erinnert sich dort an frühere Reisen, an Begegnungen, an ihre Oma und sie in die Jahrtausende alte Stadt Bam, mit der sie eine ganz besondere Verbindung hat, von der sie aber noch nichts ahnt.

Hört sich geheimnisvoll an …

Dort wird auch ein großes Familiengeheimnis gelüftet.
Aber das ist nicht das wesentliche Thema des Stücks.
Auf der Bühne wird vor allem ein Bild der iranischen Gesellschaft gezeichnet. Der Lebenslust, der Freude, die trotz des Ajatollah-Regimes herrscht,
aber auch der Furcht und Einschränkung, die durch die Sittenpolizei verbreitet wird.
In diesem Spannungsfeld setzt sich Mona mit ihrer eigenen Identität auseinander. Wie deutsch, wie iranisch ist sie?
Immer wieder zieht Mona Vergleiche.
Zum Beispiel bei der Beerdigung ihrer Großmutter.
Die dauert im Iran sieben Tage. Mona ist genervt.
In Deutschland wäre es nur ein Tag und abends könnte sie sogar noch wie geplant ins Konzert gehen.
Kaum angekommen im Haus der Toten stürzt sich Monas Mutter auf den Boden, rauft sich die Haare und schreit immer wieder:
"Allein vorm Fernseher. So sterben doch nur Deutsche! Aber doch nicht meine Mutter!"
Das schreit Schauspielerin Emma Bahlmann so herrlich laut und übertrieben – dass es einfach nur witzig wirkt.

Also keine Tragödie trotz Trauerfall?

Auf keinen Fall. Es ist laut, es wird viel gelacht.
Manchmal ist es auch melancholisch und nachdenklich.
Sechzehn Wörter zeigt einfach das Leben, mit allen Facetten.
Und Ich-Erzählerin Mona kommentiert und beschreibt das mal spitz, mal humorvoll, mal klug, mal nachdenklich.

Warum eigentlich 16 Wörter?

Im Roman sind die 16 Wörter die Überschriften der Kapitel.
Alles persische Begriffe. Maman Bozorg zum Beispiel, das heißt Großmutter. Oder Anar - Granatapfel. Und Kos - das Lieblingswort von Monas Großmutter. Vorsicht - kein poetischer Begriff. Kos heißt Fotze.
Denn Monas Oma liebt zotige, derbe Witze und Sprüche.
Sie passt so gar nicht in das stereotype Bild der unterdrückten, iranischen Frau.

Und wie wird der Roman auf die Kasseler Bühne gebracht?

Regisseur Yazdkhasti hat alle Rollen auf nur drei Schauspielende verteilt: Emma Bahlmann, Katharina Brehl und Nicolas Sidiropulos.
Sie spielen Mona, ihre Mutter, ihre Oma, Trauergäste, Zugreisende, Monas deutschen Freund, ihren iranischen Geliebten, ihren Vater.
Und nicht nur das. Er lässt alle drei auch gemeinsam als eine der Figuren agieren. Zum Beispiel als Mona.
Eine beginnt einen Satz, die andere beendet ihn.
Ein starkes Bild für die Zerrissenheit und die Vielfalt in Monas Person.
Die drei Schauspielenden machen das schon rein optisch sichtbar:
die große Emma Bahlmann mit langem blondem Haar, die kleinere Katharina Brehl mit dunklen Locken, Nicolas Sidiropulos, als Mann mit griechischen Wurzeln.

Drei spielen alle Rollen, manchmal auch alle eine - das stelle ich mir auch verwirrend vor.

Ist es teilweise auch, wird aber mit kleinen Veränderungen am Kostüm deutlich gemacht. Etwa einem Kopftuch, das aufgesetzt wird.
Oder einer Perücke. Oder einer veränderten Haltung, einem anderen Duktus in der Stimme. Die Schauspielenden machen das fantastisch.
Auch den Wechsel der Stimmungen. In einem Moment feiern und jubeln sie. Im anderen erzählt Katharina Brehl als Mona von ihrer Begegnung mit der Sittenpolizei. Wie sie in Haft kommt, weil sie mit einem Mann zusammen im Auto gefahren ist, mit dem sie nicht verheiratet ist.
Wie sie nicht weiß, ob und wann sie entlassen wird.
Wie sie nicht darauf hoffen kann, eine besondere Behandlung zu bekommen als Deutsch-Iranerin.
Obwohl sie sich doch nirgends so deutsch fühlt wie im Iran.

Wie ist eigentlich die Bühne gestaltet?
Vera: Da hängen weiße Vorhänge, die aber nicht aus einem Stück Stoff sind, sondern aus vielen weißen Fäden bestehen.
Drei davon hängen hintereinander. So entstehen verschiedene Ebenen, die das Geschehen trennen und weiten können.
Auf die Vorhänge werden außerdem Filme projiziert, die uns mit auf eine Reise in den Iran nehmen.
Besonders eindrucksvoll wird das eingesetzt, als Mona, ihre Mutter und ihr Geliebter in der alten Stadt Bam sind – durch die Märkte laufen, die Sehenswürdigkeiten anschauen.
Durch immer andere Bilder laufen sie zwischen den Vorhängen hin und her. Film und Bühnengeschehen gehen so gut Hand in Hand, dass sich ein ganz besonderer Eindruck ergibt.
Ich fühlte mich als Zuschauerin mittendrin im Geschehen.

Hört sich nach einer tollen Premiere an.

16 Wörter ist tatsächlich ein herausragendes Stück.
Es öffnet den Blick für das Leben im Iran. Auf die Spannung, wenn jemand wie Mona in zwei Kulturen lebt, aber sich zu keiner wirklich zugehörig fühlt. Gleichzeitig ist 16 Wörter witzig und feiert das Leben trotz aller Einschränkungen und Widrigkeiten.
Alle drei Schauspielenden sind sehr präsent und sie vermitteln, wie viel Spaß sie daran haben, ständig die Rollen zu wechseln und damit zu spielen.
Das ist einfach tolles Theater.
Um richtig Spaß daran zu haben, würde ich empfehlen, vor der Aufführung das Programmheft zu lesen. Dann kommt man bei den vielen Rollen und Ortswechseln besser mit. Und auch bei den 16 persischen Wörtern

Und was ist jetzt mit dem großen Familiengeheimnis?

Das verrate ich natürlich nicht. Es ist jedenfalls ein Geheimnis, das Monas Familie auf den Kopf stellt. Und es hat auch mit der iranischen Revolution und mit dem Schah und Farah Diba zu tun...

Sendung: hr2-kultur, 27.5.2025, 7:30 Uhr

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