Ravels Boléro ist so bekannt, dass man auf Neues wartet - voilà: Eyal Dadon de- und rekonstruiert ihn: Einmal tanzt Tatsuki Takada ein fantastisches Solo, bevor alle sein Spiegelbild bilden. Die zweite ist dem Original sehr nah, erinnert jedoch an Jazz- und Breakdance - in Jeans, Overalls und Latzhosen. "Force Majeure" von David Raymond und Tiffany Tregarthen zeigt extreme Situationen, zwischen Leben und Tod, Chaos und Ordnung. Insgesamt drei sehr starke Stücke, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit miteinander kombiniert hervorragend funktionieren.
Wieviel Zeit geben Sie noch der Menschheit? Margaret Atwood ist da pessimistisch: In ihrem Roman "Oryx and Crake" hat nur noch Snowman - mutmaßlich der letzte Mensch - überlebt. Er ist umgeben von genmanipulierten Wesen, die zwar friedfertig, aber eben keine Menschen mehr sind. In dieser Situation sehnt er sich nach seinem alten Freund Crake und seiner Liebe Oryx. Das Staatstheater Wiesbaden hat Atwoods Roman als Science-Fiction-Oper auf die Bühne gebracht. Keine Angst, die Musik ist durchaus singbar!
"Hug of a swan" im Fotografie-Forum Frankfurt (bis 9.4.), die Umarmung des Schwans - ein Wortspiel mit dem Namen der Künstlerin: Nhu Xuan Hua. Das neue Talent der Mode- und Portraitfotografie ist in zwei Welten großgeworden, der elterlichen vietnamesischen und der von Paris. Ihre Bilder zeigt sie in vier thematischen Räumen - gestaltet in intensiven Wand- und Bodenfarben: Gesamtkunstwerke über starke und eigensinnige Frauen mit einer Ikonografie, die man so im Fotografie-Forum noch nie sah, sehr spannend!
Der österreichische Architekt Karl Schwanzer ist hierzulande wahrscheinlich am bekanntesten geworden durch die BMW-Zentrale in München. Der Film "Er flog voraus" zeigt, wie Schwanzer runde Formen in die Architektur einführte, nicht nur beim "Vierzylinder" von München. Beim Streben nach Qualität war er kompromisslos. Der Preis war hoch, denn mit 57 Jahren nahm Schwanzer sich das Leben.
Dieses Shakespeare-Stück ist oft vertont worden, Benjamin Brittens Fassung aus dem 20. Jahrhundert ist musikalisch anspruchsvoll. In Gießen wagt man das Experiment, die leere Bühne mit bloßem Licht als aufgeladenen Raum für Phantasien aller Art zu gestalten - gelungen! Die Inszenierung toppt das Verwirrspiel - gelungen! Der Kobold Puck singt aus dem Off und wird durch Effekte ersetzt - gelungen! Und es gibt herrliche Stimmen zu entdecken, die einen Besuch wert sind.
Die Kunststiftung der DZ Bank, die auf Fotografie spezialisiert ist, zeigt "Himmel – Die Entdeckung der Weltordnung" in ihren Räumen am Platz der Republik in Frankfurt. Der religiöse, der romantische, der meteorologische oder der astronomische Himmel? Bilder und Installationen zeigen eine sehr breite Vielfalt an Formaten, künstlerischen Strategien und Misch-Techniken. Unsere Besucherin hat vieles gelernt und empfiehlt die Führungen: Der Physikalische Verein ergänzt den Kunst-Blick auf den Himmel.
Drei Haushälterinnen warten in einer Villa auf den Hausherrn - den General - während um sie herum ein Bürgerkrieg tobt. Das ist die Ausgangslage in Nino Haratischwilis Stück "Der Herbst der Untertanen", das sie selbst als Regisseurin am Hessischen Landestheater Marburg in georgischer Sprache inszeniert hat. Mit der Zeit wird klar: Der General wird nie kommen. Und die drei Haushälterinnen fangen an, sich selbst das Leben zur Hölle zu machen.
Während sich Besitzer der "richtigen" Reisepässe recht frei in der Welt bewegen können, sind für andere Menschen Ländergrenzen stabil und undurchdringlich. Im Künstler*innenhaus Mousonturm beschäftigt sich an diesem Wochenende das Festival "No One’s Land" mit Fragen von Grenzziehungen und Durchlässigkeit, von Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Ein intensives, herausforderndes, wirklich ungewöhnliches Erlebnis für Macher und Publikum, das vor allem eins ist: Politisch hochaktuell.
In dem Film "Der Geschmack der kleinen Dinge" spielt Gérard Depardieu einen französischen Meisterkoch, der einen Herzinfarkt erlitten hat. Im Krankenbett erinnert er sich an eine Demütigung, die er zu Anfang seiner Karriere erlitten hat. Damals hat ihn ein Japaner bei einem Kochwettbewerb mit einer einfachen Nudelsuppe geschlagen. Der Meisterkoch macht sich auf nach Sapporo, um seinen alten Konkurrenten noch einmal zu sehen.
"Blechschaden", so heißt ein Ensemble von Mitgliedern der Münchner Philharmoniker. Wer nun in der Alten Oper Frankfurt einen beschaulichen Kammermusik-Abend erwartet hatte, dürfte sich Augen und Ohren gerieben haben. Da spielen Trompeter oder Posaunisten filigran wie eine Geige. Das Repertoire reichte von klassischer Musik bis klassischer bayerischer Blasmusik. Und bei den Blas-Instrumenten waren auch Gartenschläuche dabei. "Blechschaden" erweitert den musikalischen Horizont in jeder Hinsicht.
Am Ende sind es immer ganz ähnliche Probleme, Antigones Dilemma lässt sich auch ins Anthropozän übertragen: Dominieren die Gesetze des Menschen und geht es um Fortschritt? Am Ende sind es immer ganz ähnliche Probleme, Antigones Dilemma lässt sich auch ins Anthropozän, das Zeitalters des Menschen und seiner Übermacht, übertragen: Dominieren die Gesetze des Menschen und geht es um Fortschritt und Selbstoptimierung - oder lassen sich mit der "Liga des terrestrischen Widerstands" auch ein Gesetz der Erde und eine Rechtsprechung für den Planeten fordern?
"La Traviata" von Giuseppe Verdi ist eine der am meisten gespielten Opern der Welt. Regisseur Karsten Wiegand durfte am Staatstheater Darmstadt also davon ausgehen, dass das Publikum weiß, wie die Sache ausgeht. "La Traviata" heißt "Die vom Weg Abgekommene" und Wiegand lässt Violetta häufig am Bühnenrand getrennt vom Hauptgeschehen auftreten. Musik und Stimmen überzeugen; das Boschs "Garten der Lüste" nachempfundene Bühnenbild ist grandios. Und auch das lange Sterben Violettas an Tuberkulose inszeniert Karsten Wiegand überzeugend.
Die Künstlerin Niki de Saint Phalle (1930-2002) hat grellbunte, dickbäuchige, tanzende Frauenfiguren geschaffen, mit den "Nanas" war sie international erfolgreich - und sie gilt als Mit-Erfinderin des Happenings. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt den Querschnitt des Werks, inszeniert in sehr bunten Räumen. Unserer Kritikerin waren das vorherrschende Barbiebunt und die knallepinken Wände des Guten zuviel: Die schöne, große und aufschlussreiche Schau mit ihren gesellschaftlichen und ästhetischen Diskursen leidet unter dieser "Überwältigungsstrategie". Schade, denn diese Kunst ist doch auch so lesbar!
Daniel Richter hat als Künstler anfangs die Hüllen von Punk-Schallplatten gestaltet. Wer daraus schließt, dass seine Kunst nicht ernst zu nehmen ist, unterschätzt den handwerklichen Aspekt. Oscar-Preisträger Pepe Dankquart hat Daniel Richter für seinen gleichnamigen Film drei Jahre lang begleitet. Von der Grundierung der Leinwand, über die ersten abstrakten Formen, bis das Gefühl sich einstellt, das Gemälde sei fertig, dokumentiert "Daniel Richter" den künstlerischen Prozess.
Junge Autorinnen stellen ihre Bücher vor - mit welchen Themen und Stilen? Schwangerschaft, Klimakrise, Familie - behandelt in zwei formal eigenwillig erzählten Romanen und in einem konventionelleren: Franziska Gänsler beschreibt in „Ewiger Sommer“ einen ehemaligen Kurort, neben dem die Wälder brennen. Simoné Goldschmidt-Lechners Stücke „...habe(n) keinen Humor, weil die Themen ernst sind." Und "MTTR" schreibt Julia Friese, lässt im Titel Vokale vermissen, aber nicht das Nachdenken. Kurzum: Drei gute Debüts von jungen Frauen, die sehr eigene Wege gehen und schon ein ausgeprägtes Formbewusstsein besitzen.
Seit 2007 vergibt das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt Preise für herausragende Gebäude, die zukunftsweisend sind. Es geht stark um Nachhaltigkeit: Nicht abreissen und neu bauen, sondern umbauen und weiterbauen! Das Landratsamt von Starnberg ist der Sieger 2023, am See im Grünen gelegen, kammartig gebaut, aufgeteilt in Pavillons, die zusammenhängen. Architekt Fritz Auer hat den Kaiserpalast von Kyoto zum Vorbild genommen: Groß, aber ganz leicht gebaut, offen und mit modernster Technik. Richtungsweisende und anregende Bauten zeigt die Ausstellung, öffentliche und private Bauherren sollten sie sehen und beherzigen.
In Händels Oper "Orlando" hat der Titelheld die Qual der Wahl: Liebe oder Krieg. In der Inszenierung von Ted Huffman an der Oper Frankfurt nimmt das Stück erst im zweiten Akt an Fahrt auf. Orlando wird von der Mezzosopranistin Zanda Švēde gesungen, die manchmal Mühe hat, sich gegen das Orchester durchzusetzen. Und damit das Publikum nicht den Faden verliert, leuchtet eine Glühbirne auf, wenn Orlando sich im Liebeswahn verliert.
Das Schauspiel Frankfurt und die Dresden Frankfurt Dance Company zeigen in "10 odd emotions" von Saar Magal Rituale der Demütigung und Unterwerfung: 20 Tanzende verhüllen mit Stoff die Köpfe, beginnen eine Sex-Gewalt-Orgie mit brutalsten Video-Szenen. Das wirkt gespenstisch, unpersönlich, ja verharmlosend: Der Anspruch, Tanztheater gegen "das Böse" zu machen, zerstiebt in einer Art Leni-Riefenstahl-Ästhetik. Applaus für Folter, Vergewaltigung und Hinrichtungen? Merkwürdig, denn ein Ausweg aus den Spiralen fehlt.
Schon mal einen Film aus Myanmar gesehen? Der Dokumentarfilm "Midwives" der Regisseurin Snow Hnin Ei Hlaing erlaubt einen Blick in das Alltagsleben an der Westküste, wo neben der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung auch muslimische Rohingya leben. Zwei Hebammen müssen dort an einer Klinik zusammenarbeiten; die eine ist Buddhistin, die andere Muslima. Sie sorgen dafür, dass die weitgehend rechtlosen Rohingya wenigstens medizinisch versorgt werden.
Das Märchen von der Meerjungfrau, die aus dem Wasser kommt, wird oft gespielt. Hier singt Olesya Golovneva die Titelpartie (sie führt mit Daniela Kerck gleichzeitig Regie) - und wir erleben DIE Rusalka schlechthin: Die Golovneva singt weich und sinnlich, rührt uns und sich selbst am Ende zu Tränen. Dazu sinnvolle Videos und ein Orchester, das diese komplexe Musik beherrscht - Dvoraks Oper über eine Frau, die ihren Gefühlen nachgeht und in ihrer Ver(w)irrung den Tod bringt, ist eine unbedingte Empfehlung!