Wer hat sich nicht schon gewünscht, bei einem Film die Regie zu übernehmen? Sei vorsichtig, was du dir wünschst, würde man in England dazu sagen, es könnte wahr werden. Bei der Video-Oper "Kairosis", die im Frankfurter Netzwerk Seilerei gezeigt wurde, durfte das Publikum immer wieder selbst entscheiden, wie es weitergehen sollte. Nur entschied das Publikum schlecht, wie der Schöpfer der Video-Oper Moritz Eggert es wiederholt wissen ließ. So starb die Protagonistin zweimal innerhalb von kurzer Zeit, sodass Eggert mit dem Film von vorne anfing. Gesungen wurde nicht, sodass die Erwartung auf eine Oper enttäuscht wurde. Die besten Musikstücke steckten in Handlungssträngen, gegen die sich das Publikum entschieden hatte, ließ der Komponist das Publikum wissen. Zum Schluss fragte sich nicht nur unser Kritiker, was das Ganze soll.
Bastian Korff liebt Oper, und er liebt Video-Spiele. Beides bekam er nicht.||
"Ich möchte Vergebung, gebt Ihr mir Nachsicht!" Uwe Eric Laufenberg verabschiedet sich in seiner letzten Spielzeit am Staatstheater Wiesbaden mit Shakespeares "Sturm". Der Intendant hatte die Inszenierung sowie die Hauptrolle des Prospero selbst übernommen. In Shakespeares letztem Stück geht es um Macht, um die Verantwortung im Umgang damit sowie ums Abschied-Nehmen. Eine passende Wahl zum Ende eines nicht immer ganz unumstrittenen Intendanten. Das Wiesbadener Publikum dankte es ihm mit Applaus.
Mario Scalla fand die Inszenierung bildgewaltig, hätte sich aber eine Inszenierung mit aktuellen Bezügen gewünscht.||
Ein Klassiker der Opernbühne und zugleich der Auftakt einer neuen Ära in Frankfurt: Generalmusikdirektor Thomas Guggeis zum ersten Mal in dieser Funktion, motiviert und kreativ, wie man den 30-Jährigen kennt und jetzt schon liebt. Das Bühnenbild spärlich, die Kostüme knallbunt, die Stimmen umwerfend: Frankfurt ist nicht umsonst Opernhaus des Jahres, das Quartett Elena Villalón (Susanna), Adriana González (Gräfin), Danylo Matviienko (ein Graf Almaviva mit viel Witz und großem Männlichkeitsego) und der Bassbariton Kihwan Sim als Figaro bereiteten sängerisch einen großen Abend! Guggeis leitet diese Inszenierung nicht nur vom Pult, sondern auch vom Hammerflügel aus, bindet die Rezitative bruchlos ein, alles mit viel Humor und sehr versiert. Freuen wir uns auf all das, was in dieser Spielzeit noch kommen wird!
Susanne Pütz wurde in der Oper Frankfurt von vielem sehr positiv überrascht||
Molière hat die Hauptfigur in "Der Geizige" eigentlich als Ekelpaket angelegt; er quält Diener und Kinder, versucht seinem Sohn die Frau auszuspannen. Nur zum Geld unterhält er ein erotisches Verhältnis. Peter Schröder gelingt am Schauspiel Frankfurt das Kunststück, diese Figur sogar charmant wirken zu lassen. Dazu kommen ein überzeugendes Bühnenbild und Kostüme voller Überraschungen, denn unter den schwarzen Talaren verstecken sich die buntesten Verkleidungen. Und das märchenhafte Ende, in dem es Goldlametta regnet, versöhnt dann endgültig mit dem Geizhals. Eine vollauf gelungene Inszenierung, die Mateja Koležnik zu verantworten hat.
Ursula May war von der Aufführung von Molières "Der Geizige" am Schauspiel Frankfurt verzaubert.||
Vor dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt steht Vera Röhms mächtige "Licht-Strahl-Eiche", in der Acrylglas einen Durchblick auf die Holzstruktur erlaubt. Die Bildhauerin hat Acrylglas als Material für die Bildhauerei entdeckt. In einem Gespräch im Hessischen Landesmuseum erzählte sie, wie sie auf die Idee kam, Acrylglas mit geborstenem Holz zu kombinieren. Nach einem Sturm war sie von den ungeknickten Bäumen fasziniert; aber es dauerte Jahre, bis sie heraushatte, wie sich Acrylglas, Holz und Stahl dauerhaft kombinieren lassen. Und Röhm erzählte, wie bei ihr der künstlerische Prozess von der Zeichnung bis zur fertigen Skulptur verläuft.
Stefanie Blumenbecker schätzt Vera Röhm als eine der großen Bildhauerinnen unserer Zeit.||
Das Klingspor-Museum in Offenbach widmet sich der Buch- und Schriftkunst. In seiner Ausstellung "Achtung: enthält Leben" zeigt es Tagebücher von Künstlern sowie von Menschen, die ihre Tagebücher nach einem Aufruf eingereicht hatten. Tagebuch-Schreiben als Mittel der Reflektion sei wieder modern, heißt es. Von "Tagebuch schreiben" kann allerdings häufig kaum mehr die Rede sein, wenn man die kleinen Kunstwerke mit Zeichnungen, Fotos und Ausschmückungen sieht. Andere haben den nüchternen Charakter von Notizbüchern. Und dann gibt es da noch die "Bullet Journals" in denen Menschen stichwortartig zum Beispiel ihr tägliches Körpergewicht, die gelaufene Schrittzahl oder die Haushaltsausgaben eintragen. Selbst hier gibt es Einiges zu entdecken, wie den Eintrag "verkatert, obwohl sehr viel Wasser getrunken".
Stefanie Blumenbecker betrachtet Tagebücher als Weg in die künstlerische Betätigung.||
Ob Sie mit ihr gespielt haben oder nicht, man kann ihr derzeit nicht entgehen: Ob im Kino oder in anderen Medien – Barbie ist allgegenwärtig. Auch in der Austellung, die jetzt an historischem Ort zu sehen ist. Wohltuend zurückhaltend präsentiert man die Geschichte der Kunststoffschönheiten, es schreien einen keinen grellen Farben an: Original-Puppen, die mitunter über 60 Jahre auf dem hübschen Buckel haben und mit denen auch gespielt wurde. Sogar die "Bild-Lilli" ist da, die als Comic erfunden wurde und als Ursprungs-Idee für Barbie gilt. Aus Deutschland kommt also der Hype um die ultraschlanke Blonde. Sie zog um die Welt und war auch züchtig gekleidet oder mit Hüftpolstern zu haben. Eine Zeitreise durch die Modepuppen-Geschichte, nicht nur für 6-Jährige.
Bastian Korff wollte im Brüder-Grimm-Haus in Steinau die Puppen gerne anfassen, durfte aber nicht||
Das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt stellt vor allem Handschriften aus. Da liegt es nahe, einmal die Schrift selbst zum Thema einer kleinen Ausstellung zu machen: "Schreiben mit der Hand in der Zeit der Romantik". Vom 17. Jahrhundert bis zum "Dritten Reich" schrieben die Deutschen vor allem in Kurrentschrift, die heute kaum noch jemand lesen kann. Fremdwörter wurden in der uns geläufigen lateinischen Schrift geschrieben. Das ging soweit, dass Goethe seinen "West-Östlichen Divan" in lateinischer Schrift verfasste, da es ja um ein ausländisches Thema ging, den "Faust" aber in Kurrentschrift.
Rosemarie Tuchelt war von der Vielzahl der Handschriften-Typen in der deutschen Geschichte fasziniert.||
Die Ausstellung "Wer war Fritz Kittel?" im Frankfurter Museum Judengasse erinnert an einen mutigen Menschen. Während des "Dritten Reichs" transportierte die Reichsbahn zu Millionen Juden in die Vernichtungslager und an die Erschießungsorte in Osteuropa. Die Züge wurden von Reichsbahnarbeitern wie Fritz Kittel abgefertigt, der sich jedoch inmitten der Diktatur seine Menschlichkeit bewahrte. Er versteckte die beiden Jüdinnen Hella und Hannelore Zacharias.
Mario Scalla erzählt von der Ausstellung "Wer war Fritz Kittel?" im Frankfurter Museum Judengasse||
Frankfurt und Offenbach im Zeichen des internationalen Theaters: Mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler bei 286 Veranstaltungen prägten das Festival, das die Japanerin Chaiki Soma künstlerisch leitete und mit vielen japanischen Produktionen bereicherte. Bei der Frage, "Was ist Theater heute?" sollte das Publikum oft handeln, die Geschichte mitbestimmen - es gab in den Performances nicht immer Schauspieler, es gab Stücke, die auf sehr eigene Art mit Video und Animation umgingen, auch mit der Darstellung des Unerträglichen. Beispiel: Der Mord an drei Frauen in Brasilien: Grenzüberschreitungen von Performerin Carolina Blanchi, die kaum auszuhalten waren, die man nicht so einfach wegstecken kann - und die die Frage übriglassen, ob Theater wirklich so wirklich sein muss.
Ursula May hat sich viele Stücke bis zum Ende angesehen, auch wenn es oft schwerfiel||
Le Vin Herbé, der Zaubertrank, des Schweizers Frank Martin von 1942 erntet in Frankfurt viel Applaus. Die tragische Handlung gleicht Wagners "Tristan und Isolde" - ist musikalisch aber Gegenprogramm: Nicht vier Stunden, sondern knapp zwei, kein Riesenorchester, sondern sieben Streicher plus Klavier. Die Musik teils sehr archaisch, teils sehr modern, auch 12-Ton-Reihen, dann immer wieder tonale Klänge. Die passend sparsame Inszenierung von Tilmann Köhler, das geometrische, beeindruckende Bühnenbild von Karoly Risz und ein Chor, der vereinzelt aus 32 Logen singt, Chapeau!, ergeben ein Stück, das sich kennenzulernen lohnt. Bei den Solisten und Solistinnen überzeugen die lyrischeren Stimmen mehr, bei Tristan und Iseut bleiben Wünsche offen, zu viel Vibrato im Sopran, zu kraftvoll der Tenor. Dennoch: Diese Rarität sollte man sich nicht entgehen lassen!
Viel Lob und etwas Tadel unseres Kritikers Meinolf Bunsmann||
Daniel Hope ist ein begnadeter Conférencier, und als Ire ist ihm die deutsche Unterscheidung zwischen Unterhaltungs- und ernster Musik sowieso fremd. Und so reißt er als Fokus-Künstler bei einem Konzert des Rheingau-Musik-Festivals im Kurhaus Wiesbaden gnadenlos die vierte Wand nieder, die im deutschen Klassik-Betrieb normalerweise das Publikum vom Orchester trennt. Zu hören gab es unter anderem Filmmusik mit großem Orchester. Das Publikum dankte Hope mit lang anhaltendem Applaus.
Natascha Pflaumbaum sieht in Daniel Hope die Zukunft der Klassikmusik verkörpert.||
Der Portikus ist Frankfurts ungewöhnlichste Ausstellungshalle und in seiner himmelstrebenden Form nicht leicht zu bespielen. Simone Fattal ist zwar in der internationalen Kunstszene bekannt, aber in Deutschland bisher kaum aufgetreten. In der Installation "The Manifestations of the Voyage" greift sie zurück auf das Gilgamesch-Epos. Gleich zu Beginn besiegt hier Gilgamesch Humbaba, den Wächter des Waldes; in den Augen von Simone Fattal ein Gleichnis für die Naturzerstörung. Ihm stellt sie den "Young Man" gegenüber als Stellvertreter für kommende Generationen.
Stefanie Blumenbecker empfiehlt einen Besuch von "The Manifestations of the Voyage" von Simone Fattal im Portikus Frankfurt||
Der neue Film von Christoph Hochhäusler war einer der deutschen Beiträge im internationalen Wettbewerb der Berlinale, den Silbernen Bären gab es für Thea Ehre als beste Nebendarstellerin. Eine Kriminalgeschichte, verdeckte Ermittler sind auf der Spur eines Online-Drogenhändlers - und eine äußerst komplexe Liebesgeschichte: Was ist Wahrheit, was Lüge, was Täuschung, was ist inszeniert, wann sind Gefühle gespielt, wann sind sie echt? Und wer überhaupt sind die Guten, die Bösen - oder sind alle gut oder alle böse? Es gibt viele Anspielungen auf das Genre des Thrillers, den Film Noir - also unbedingt auf der großen Leinwand schauen! Und wer sich in Frankfurt auskennt, wird einige Schauplätze wieder erkennen oder mit ganz neuen Augen sehen.
Hadwiga Fertsch-Röver bewundert Thea Ehre, die den Film trägt||
In "Jugend ohne Chor" von Anne Lepper am Staatstheater Darmstadt muss Dirk hinaus in die große weite Welt. Damit er nicht verloren geht, gibt ihm seine Mutter einen Chor mit, der ihm den Weg weisen soll. Die große weite Welt nimmt die Gestalt einer Backstube an. Bühnenbildnerin Carolin Mittler hat sichtlich viel Spaß dabei gehabt, das Staatstheater dafür in Mehlstaub zu tauchen. Ob nun aber eine Backstube die geeignete Metapher für die kapitalistische Verwertungslogik ist, daran hatte unsere Theaterkritikerin Ursula May dann doch ihre Zweifel.
Ursula May ließ die Uraufführung von "Jugend ohne Chor" am Staatstheater Darmstadt etwas ratlos zurück.||
Kann die letzte Runde in einer Bar ein Leben nachhaltig verändern? Jamie ist gerade dabei zu schließen, als ein älterer Herr hineinstürmt. Er bietet ihm und seiner Freundin Abby viel Geld, wenn sie noch einen letzten Drink mit ihm nähmen. Während die drei sich also unterhalten, fängt Jamie an, seine Ambitionen als Musiker und seine Pläne mit Abby zu hinterfragen. Langsam realisiert das junge Paar, dass der mysteriöse Unbekannte ungewöhnlich intensiv interessiert ist. Ist der Grund, den er vorgibt, glaubwürdig? Als eine weitere, ungehaltene Person auftaucht, scheint seine zuvor noch als unrealistisch abgetane Geschichte plötzlich gar nicht mehr so abwegig. - "Now and Then", eine berührende romantische Komödie über die Konsequenzen unserer Entscheidungen, und die Menschen, die sie mit uns tragen.
Ulrich Sonnenschein genoss den Abend im English Theatre Frankfurt||
Richard Wagners "Ring des Nibelungen" - ein spektakuläres Musiktheater-Großereignis, das gerade in Kassel über die Bühne des am Staatstheaters geht. Coronabedingt musste man dort ziemlich lange warten, bis es als Zyklus mit allen vier Teilen zu sehen war: Das Rheingold – Die Walküre – Siegfried – Die Götterdämmerung. Inszeniert hat die vier Abende der ehemalige Schauspieldirektor Markus Dietz. Astrid Gubin hat den kompletten Zyklus in Kassel gesehen und zieht Bilanz.
Astrid Gubin hat Wagners "Ring" mehrfach gesehen und ist begeistert||
Dumm gelaufen: Stimmung und Hemd vergiftet, die Frau neurotisch und böse - am Ende stirbt Hercules, obwohl er doch der Gute ist! Diese Barockoper bietet in Frankfurt Dank des Ensembles, Laurence Cummings' Dirigat und der Inszenierung von Barrie Kosky alles, was das Genre ausmacht: Chaos, Liebe, Charaktere. Perfekt gesungen (Chor!), lustvoll und herrlich gespielt, auch im Graben auf historischen Instrumenten: Tempo und Gefühl - ganz große Klasse! Auch für Familien geeignet ;-)
Astrid Gubin möchte unbedingt noch einmal in die Oper Frankfurt||
In seinem 4. Abo-Konzert präsentierte das Ensemble Modern in der Alten Oper Frankfurt fünf Werke von Malte Giesen, Joanna Bailie, Natalie Dietterich, Elnaz Seyedi und Christopher Trapani. Corinna Niemeyer hat den Abend dirigiert, der zu den Sternstunden des frühen Konzertjahres 2023 zählen dürfte, weil die Werke inhaltlich, handwerklich, musikalisch begeistern, aber vor allem ganz neue, unerwartete Hörerfahrungen ermöglichen.
Natascha Pflaumbaum benutzte das Programmheft, um hinter die Geheimnisse der Kompositionen zu kommen||
Vito Žuraj hat im Auftrag der Oper Frankfurt "Blühen" nach einer Erzählung von Thomas Mann komponiert. Aurelia verliebt sich in einen jungen Mann, der ihr Sohn sein könnte. Eigentlich glaubte sie sich schon in der Menopause, erlebt aber wieder eine Regelblutung. Was für sie zunächst ein Zeichen des Glücks ist, stellt sich als Zeichen einer unheilbaren Krankheit heraus. Die komplexe Musik wird vom Ensemble Modern gespielt; als Sängerin ragt Bianca Andrew hervor.
Susanne Pütz lobt die komplexe Musik der Oper "Blühen" von Vito Žuraj ||
Sitzfleisch braucht, wer diese Oper durchstehen will. Hervorragende Sänger und ein blendend aufgelegtes Opernorchester machen diesen opulenten Wagner zu einem wirklichen Musikereignis für unseren Mann im Parkett. Die kreativen Kostüme und das aufwändige Bühnenbild sorgen für Augenschmaus-Momente. Regisseur Johannes Erath bringt viel Leben auf die Bühne - dass er auf eine kritische Reaktion auf die nationalistischen Töne des Antisemiten Wagner verzichtet, fällt auf, mindert aber den Genuss nicht. Großartig!
Martin Grunenberg sind die fast sechs Stunden Wagner aber nicht langweilig geworden||