Die Künstler Andre "Polo" Poloczek und Hans Traxler, letzterer jüngst 95 Jahre alt geworden und Mitglied der ersten Generation der Neuen Frankfurter Schule, sind die aktuellen Helden der Frankfurter Caricatura. Es gibt viele schöne Entdeckungen in dieser großartigen Doppelschau.
Mario Scalla erzählt in seiner Frühkritik Bilderwitze, das gab's noch nie!||
Als Pädagogin ist Clara Schumann in der Frankfurter Musikszene eine prägende Figur gewesen. Ab 1878 hat sie als "Erste Klavierlehrerin" am neu gegründeten Hoch‘schen Konservatorium unterrichtet. Um Frankfurt ging es im Holzhausenschlösschen in Frankfurt. Die Musikwissenschaftlerin Ulrike Kienzle hat über ihre Forschungsprojekte berichtet, selbst ist sie unverzichtbarer Teil des Frankfurter Musiklebens. Wer sich für das interessiert, kommt an ihr nicht vorbei. Ihr geht es nicht nur um "ihre" Clara, sondern auch um jüdisches Musikleben, um die Stadt Frankfurt als wichtigen Umschlagplatz für Noten, um die Frankfurter Ratsmusiken der Renaissancezeit, um Georg Philipp Telemann, den städtischen Musikdirektor. Das Ganze erzählt sie nicht strikt chronologisch, Ulrike Kienzle assoziiert frei, schlägt Brücken über Jahrhunderte. Faszinierend, wie sie Dinge miteinander in Verbindung bringen und einordnen kann. Sie steckt mit ihrer Begeisterung und ihrem Wissen an!
Meinolf Bunsmann bewunderte die profunde Kenntnis der Musikwissenschaftlerin||
Die Vermögen in Deutschland sind nicht gerecht verteilt. 400 Milliarden Euro werden jährlich vererbt, gleichzeitig sind 22 Prozent der Kinder von Armut betroffen. Über eine Umverteilung hat die Theatermacherin Nora Abdel-Maksoud nachgedacht und eine Komödie über eine Erbschaftsreform geschrieben: "Jeeps". Nach der Premiere am Staatstheater Darmstadt ist unsere Kritikerin so schlau als wie zuvor: Eine ziemlich aufgekratzte Choreografie, eine Spielhaltung, die sich kaum steigert, obwohl sich die Handlung gravierend zuspitzt - das hat dramaturgisch nicht funktioniert. Dennoch gab es großen Applaus am Ende - für diesen sprachverspielten, wildenText.
Esther Boldt hat im Staatstheater Darmstadt nicht das große Los gezogen||
Das Kunstmuseum Marburg präsentiert eine Weltkarte der Künstlerin Julia Krause-Harder als Flickenteppich. Schließlich gibt es keine geographisch korrekte Abbildung der Erdkugel in zwei Dimensionen, da kann man sich genauso gut eine eigene Weltkarte basteln. Julia Krause-Harder hat drei Jahre ihres Lebens an der Nähmaschine verbracht, um die Länder dieser Welt in Stoff zu übertragen. Über Großbritannien hat sie zum Beispiel fünf Gitarrensaiten gespannt, und verweist damit auf die Pop-Geschichte dieses Landes. So wird jedes Land durch eine Besonderheit repräsentiert, was die Betrachtung zu einem großen Vergnügen macht.
Stefanie Blumenbecker wäre bei der Betrachtung der Weltkarte von Julia Krause-Harder im Kunstmuseum Marburg beinahe über Indonesien gestolpert.||
Wenn es keinen Gott gibt, ist dann alles erlaubt? Das ist die Frage, die Dostojewski in "Die Brüder Karamasow" umtreibt. Am Schauspiel Frankfurt sind die Brüder allesamt Schauspielerinnen, aber das ist eher unwichtig, denn in dem Stück geht es nicht um die Geschlechterfrage. Die Schauspielerinnen spielen hervorragend, das Bühnenbild ist grandios, und doch bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. Nicht umsonst ist der Roman so lang wie er ist, und dieses Textgebirge auf theatergängige drei Stunden zu kürzen, nimmt ihm viel von seiner Wirkung.
Ursula May nahm die Inszenierung von "Die Brüder Karamasow" am Schauspiel Frankfurt vor allem als Anregung, sich den Roman noch einmal vorzunehmen.||
Das Kunsthaus Wiesbaden präsentiert das Spätwerk Otto Ritschls. Otto Ritschl? Der Maler - Jahrgang 1885 - war immer eher unter Kollegen berühmt, als im breiten Publikum. Ab 1908 lebte er in Wiesbaden. Während der Weimarer Republik machte er alle Kunstströmungen mit, ging dann - als "entartet" gebrandmarkt - während des Nationalsozialismus in die innnere Emigration. Nach der Befreiung explodierte seine Kreativität. Ritschl malte nur noch abstrakt und nur noch für sich selbst. Seine Bilder waren ausdrücklich nicht zum Verkauf bestimmt. In über 900 Werken erforschte er die Wirkung von aufeinander stoßenden Farbräumen, am ehesten noch mit den Farbfeldern von Mark Rothko vergleichbar. In Wiesbaden lässt sich anhand von 40 Gemälden zumindest eine Ahnung von dem Farbenrausch erhaschen.
Mario Scalla ließ sich von der Farbforschung Otto Ritschls im Kunsthaus Wiesbaden beeindrucken.||
Seit Freitag geht es wieder ein wenig märchenhafter zu in Hanau: Die Brüder-Grimm-Festspiele haben Premiere gefeiert - mit dem Musical-Märchen "Die Gänsemagd", für das ein eher unbekanntes Märchen Pate gestanden hat. Eine Prinzessin soll verheiratet werden – und wird mit einer Magd und dem sprechenden Pferd Falada auf den Weg geschickt zum Prinzen. Ein unaufgeregter Abend, der ein bisschen schneller oder kürzer erzählt werden könnte – für Familien lohnt sich das auf jeden Fall!
Bastian Korff wollte sich bei den Brüder-Grimm-Festspielen köstlich amüsieren, indes...||
"Tutto nel mondo è burla" – das ganze Leben ist ein Spaß! Die Schlussfuge aus Giuseppe Verdis Oper letzter Oper symbolisiert in Kürze das Motto dieser Aufführung: Was kümmert uns das Durcheinander um den vergangenen Intendanten, jetzt wird befreit losgelegt! Von den Strapazen hat man nichts gemerkt, der rote Teppich vorm Theater war ausgerollt. Alles in allem sollte man diese geniale, ganz ungewöhnliche Partitur des 80-jährigen Verdi unbedingt erleben. Es lohnt sich!
Meinolf Bunsmann hat im Parkett des Staatstheaters einen fulminanten Auftakt der Maifestspiele erlebt||
"Annette" von Anne Weber am Staatstheater Darmstadt erzählt die Geschichte von Anne Beaumanoir. Die ist in Frankreich Schulstoff; in Deutschland ist sie erst bekannt geworden, seitdem Anne Weber für ihren Roman "Annette, ein Heldinnenepos" den Deutschen Buchpreis erhalten hat. Anne Beaumanoir hat während des Zweiten Weltkriegs für die Résistance gearbeitet. Nach dem Krieg setzte sie sich für die algerische Unabhängigkeit ein, weswegen sie der französische Staat zu zehn Jahren Gefängnis verurteilte. Sie flieht ins Exil um den Preis, ihre drei Kinder nicht aufwachsen sehen zu dürfen. Weber hat ihren Roman in Versen verfasst, was ihn für eine Theateraufführung prädestiniert.
Esther Boldt sah mit "Annette, ein Heldinnenepos" am Staatstheater Darmstadt ein Leben, das man nicht glauben würde, wenn es erfunden wäre.||
Rainer Werner Fassbinder hat 1979 mit "Die Ehe der Maria Braun" einen Film geschaffen, der sich zum Klassiker auf deutschen Theaterbühnen entwickelt hat - so auch jetzt am Schauspiel Frankfurt. Maria heiratet 1943 in einer Kriegstrauung Hermann Braun. Die beiden verbringen eine Nacht miteinander, bevor Hermann wieder an die Front muss. Maria beißt sich alleine durch, weiß sehr genau, was sie will, verfolgt aber gleichzeitig den romantischen Traum einer Ehe mit Hermann, von dem sie nicht mal weiß, ob er überlebt hat. Manja Kuhl besitzt als "Maria" auf der Bühne eine große Präsenz; weniger glücklich ist die Entscheidung der Regie, die anderen Figuren buchstäblich in den Hintergrund zu drängen.
Esther Boldt fand die Figur der "Maria" in "Die Ehe der Maria Braun" am Schauspiel Frankfurt überzeugend, einige Regie-Entscheidungen dagegen weniger.||
Am Staatstheater Wiesbaden hatte Puccinis letzte Oper "Turandot" am Samstag Premiere. Puccini hat sein Werk nicht abgeschlossen, wahrscheinlich weil er kein schlüssiges Ende gefunden hat, wie man vermuten darf. Ein "Happy End" bei dem eine Sklavin Selbstmord begeht, kann wohl nicht als solches durchgehen. Nach Puccini haben Kollegen drei verschiedene Enden komponiert, aber am Staatstheater Wiesbaden greift Daniela Kerck auf keine dieser Lösungen zurück. Sie hat ein neues Ende für "Turandot" entworfen - mit Musik von Puccini; mehr soll hier nicht verraten werden. Orchester und Sänger waren glänzend aufgelegt, und das Publikum revanchierte sich mit lang anhaltendem Applaus.
Meinolf Bunsmann fand die Lösung des Staatstheaters Wiesbaden, wie Puccinis "Turandot" abzuschließen sei, überzeugend.||
Fantastische Singschauspieler, ein introvertiert singender Lawrence Zazzo als Cäsar, eine mondäne Pretty Yende als Cleopatra: die Oper Frankfurt landet mit Nadja Loschkys Neuproduktion von Georg Friedrich Händels Oper "Giulio Cesare in Egitto" einen Coup, den man sich nicht entgehen lassen darf. Hochgespannte, wechselnde und intensive Stimmungen in einem 300 Jahre alten true-crime-Spektakel über vier Stunden: Unbedingt Hingehen!
Natascha Pflaumbaum hat neben den musikalischen Höchstleistungen in Frankfurt sehr viele Hinweise und Andeutungen entdeckt||
Witzig, nachdenklich und unterhaltsam. Diese Inszenierung am Staatstheater Darmstadt lohnt sich. Zu den diversen Liebegeschichten im Urlaubsidyll am Wolfgangsee des Singspiels aus dem Jahr 1930 von Ralph Benatzkys gehören Hits wie "Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?" oder "Es muss was wunderbares sein von Dir geliebt zu werden!" Dirigent Michael Nündel hat diesen Operrettenabend mit seinen Arrangement ordentlich entstaubt - und zeigt mit einemgroßartigen Ensemble wie das "Weisse Rössl" über einen Peter-Alexander-Schmäh hinaus auch heute noch begeistern kann.
Susanne Pütz erlebte einen rundum stimmigen Abend mit dem Klassiker am Staatstheater - im Stil eines Broadway-Musicals||
Der berühmte Satz - den Gorbatschow so nie gesagt hat -, passt auf Pjotr Tschaikowskis "Eugen Onegin". Die Oper bringt das Stadttheater Gießen mit großem Chor und großem Orchester an die Grenzen seiner Möglichkeiten - und endet in einem Triumph, der mit stehendem Applaus belohnt wird. Als Tatjana zum ersten Mal Eugen Onegin begegnet, verliebt sie sich sofort. Nur der kann mit ihrer Liebe nichts anfangen. Jahre später begegnen sie einander erneut, und diesmal verliebt sich Onegin in Tatjana. Nur die ist jetzt verheiratet und steht zu ihrer Ehe. Gesungen wird in russischer Sprache, und Tschaikowski liefert die überwältigende Musik für die ganz großen Gefühle.
Christiane Hillebrand findet, man solle die Oper "Eugen Onegin" in "Tatjana" umbenennen.||
Das Museum Giersch in Frankfurt würdigt die Malerin Louise Rösler mit einer Einzelausstellung. Rösler hatte es schwer - nicht etwa weil sie als Frau gemalt hätte, sondern weil der Zweite Weltkrieg dazwischen fuhr. Ihre Gemälde handeln von der Großstadt, sind bunt und kleinteilig. Sie war hervorragend ausgebildet, aber im Krieg wurde ihr Atelier ausgebombt. Nach Königstein evakuiert, saß sie in einem kleinen Zimmer und malte unverdrossen weiter, zum Beispiel auf die Rückwand einer Schranktür. Nach dem Krieg wurde ihre Malerei abstrakter und sie begann, Collagen anzufertigen, die durchaus als Kommentare auf die Zeit gelesen werden können, wenn sie etwa die Verpackung von gerade auf den Markt gekommenen Antibaby-Pillen verarbeitet. Röslers Werke wurden immer mal wieder ausgestellt, aber dank des Museums Giersch ist jetzt erstmals ein Überblick über ihr gesamtes Schaffen möglich.
Tanja Küchle war merklich von der Malerin Louise Rösler im Frankfurter Museum Giersch angetan.||
Die Oper "In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa" am Bockenheimer Depot beginnt wie eine Komödie - ein verklemmter Bücherwurm wird gedrängt, eine sehr viel jüngere Frau zu heiraten - und schlägt um in eine Tragödie. Don Perlimplín kann die Bedürfnisse seiner Gattin Belisa in der Hochzeitsnacht nicht erfüllen und drängt sie, sich einen Liebhaber zu nehmen. Der stellt sich als Don Perlimplín höchst persönlich heraus, der Belisa tot in die Arme sinkt. Klingt abstrus, gewinnt aber vielleicht seinen Sinn, wenn man weiß, dass sowohl der Textdichter Federico García Lorca als auch der Komponist Wolfgang Fortner homosexuell waren. Belisa verlässt jedenfalls am Schluss laut mit der Tür schlagend die Bühne.
Meinolf Bunsmann gab der Text der Oper "In seinem Garten liebt Don Perlimplín Belisa" einige Rätsel auf, war jedoch von Wolfgang Fortners Musik begeistert.||
"Die Hamletmaschine" ist ein "Musiktheater in fünf Teilen", das Wolfgang Rihm auf den gleichnamigen Text von Heiner Müller komponierte. Seit seiner Uraufführung 1987 war es selten live zu erleben, doch nun setzt sich das Staatstheater Kassel überzeugend für das monumentale Stück ein. Auf den "Ruinen von Europa" entfaltet sich eine Studie über das Scheitern von Revolutionen und die zerstörerische Natur des Menschen. Die spartenübergreifende Produktion von Oper, Schauspiel und Tanz_Kassel regt damit auch zum Nachdenken über die Gegenwart an.
Stephan Hübner war am Staatstheater Kassel von der Musik überwältigt und bekam viel Denkfutter||
"Auslöschung. Ein Zerfall" ist eigentlich ein Roman des großen Österreich-Hassers Thomas Bernhard, den Felix Metzner für die Bühne im Staatstheater Darmstadt adaptiert hat. Alles, was an Österreich hassenswert ist - die nationalsozialistische Vergangenheit, die Heuchelei der katholischen Kirche - läuft für Bernhard in einem Begriff zusammen: Wolfsegg, und dieses Wolfsegg muss ausgelöscht werden. Auf der Darmstädter Bühne erklingt der typische Bernhard-Sound. Und leider muss man feststellen, dass seine Österreich-Kritik in letzter Zeit wieder an Aktualität gewinnt.
Ursula May erlebte in Darmstadt mit "Auslöschung. Ein Zerfall", wie eine neue Generation von Theatermachern mit Thomas Bernhard umgeht.||
Im zeitgenössischen Tanz spielt der Bühnenraum meist keine große Rolle. Anders in der Choreografie "Glue light blue" von Nadav Zelner am Staatstheater Wiesbaden: Hier tanzen selbst die auf der Bühne herumliegenden Steine, Wände werden hochgezogen und senken sich. Die Szene ist in die Farben hellblau und rostbraun getaucht. Die Musik des israelischen Choreografen klingt orientalisch, und seine Themenwelt entführt in eine fantasievolle Kindheit. Dazu kommt eine hervorragende Leistung des Ensembles, die vom Publikum mit anhaltendem Applaus belohnt wurde.
Ursula May erlebte einen magischen Tanzabend mit "glue light blue" am Staatstheater Wiesbaden||
Wer die Verdi-Oper "Otello" am Staatstheater Darmstadt besucht, wird eine riesige Leinwand über der Bühne aufgespannt finden, auf der Otello, Jago und Desdemona als Avatare in einem Computerspiel auftauchen. Die Idee ist nicht schlecht, doch wird dafür immer wieder die Handlung unterbrochen, um das Publikum per Handy über den weiteren Ablauf abstimmen zu lassen. Die Zuschauer reagierten mit Buh-Rufen und Rufen nach mehr Musik. Endgültig zur Reizüberflutung wird die Inszenierung durch mehrere Bildschirme, auf denen alles Mögliche abgehandelt wird. Eine Oper lebt bekanntlich von der Musik. Die war durchaus achtenswert umgesetzt, ging aber durch die Inszenierung unter. Nach der Pause blieben zahlreiche Plätze leer. Das Regie-Team schien am Schluss der Vorstellung die Verstörung zu genießen, die es unter den Zuschauern angerichtet hatte.
Susanne Pütz brummte nach der Aufführung von "Otello" am Staatstheater Darmstadt der Kopf.||
Die Kunstsammlung des genossenschaftlichen Bankhauses befasst sich ausschließlich mit Fotografie. In den Ausstellungsräumen am Platz der Republik in Frankfurt werden seit vielen Jahren Kunstwerke gezeigt, die das breite Spektrum der künstlerischen Fotografie vor Augen führen. Die aktuelle Ausstellung heißt "Von hier aus – eine Bestandsaufnahme" und versucht genau das zu klären: Wo steht die Fotografie heute? Wie verändert sie sich durch die Digitalisierung, was kann Fotografie in Zukunft sein? Teile der Ausstellung befassen sich mit Fragen von Theorie und Geschichte der Fotografie, Digitales ist insofern ein Thema, als eine unübersehbar große Fülle an Möglichkeiten angedeutet wird. Das ist ein Ritt durch Geschichte und Möglichkeiten, macht neugierig auf die kommenden Ausstellungen - zumal die Kuratoren um Christina Leber immer ausführlichen und exzellenten Lesestoff dazu anbieten. Mit diesem kostenlosen Heft in der Hand erschließt sich auch diese Kunst besser und führt weiter.
Stefanie Blumenbecker war in der DZ Bank und empfiehlt die Lektüre des Katalogs||
Sind wir nicht alle ein bisschen Woyzeck? Regisseurin Eva Lange begreift Büchners "Woyzeck" am Hessischen Landestheater Marburg nicht als Individuum, sondern als Kollektiv. Deswegen stellt sie einen Chor von acht Personen auf die Bühne, die den Text gemeinsam skandieren. Und tatsächlich eignet sich Büchners Sprache gut zum Skandieren. Und weil der "Woyzeck" ein Fragment ist, erlaubt sich Eva Lange, noch einen modernen Schluss hinzu zu dichten: Woyzeck kommt in eine Gewaltpräventions-Therapie und Marie in ein Mutter-Kind-Heim. Manchmal wirkt das Ganze etwas verkopft, aber jedenfalls gibt es viel Stoff zum Nachdenken in Marburg.
Natascha Pflaumbaum über eine ungewöhnliche "Woyzeck"-Aufführung am Hessischen Landestheater Marburg||
"Shallow Lakes" ist eine Installation der Künstlerin Melike Kara. Sie ist in Deutschland geboren und hat einen kurdischen Familienhintergrund - der spielt hier eine bedeutende Rolle. Ihre Gestelle, die mit bemalten Leinwänden bespannt sind, bieten einen eher abstrakten Assoziationsraum. Man sieht festgefrorene Seen, bemerkt Kälte des Metalls, nach oben wandert der Blick: Zu Wandfolien, Tapeten, großformatigen alten Hochzeits- und Familienfotos, denen man ansieht, dass dort die Eltern- und Großelterngeneration verewigt wurde. In den Collagen wird einiges deutlich, es bleiben viele Unschärfen. Steckt Zerrissenheit in dieser Migrationsgeschichte? Wer durch diese Ausstellung geht, sammelt Informationen, setzt sich das alles peu à peu zusammen. Das ist Erinnerungsarbeit, ein Sammeln ohne Sicherheit. Es bleiben Geheimnisse und Rätsel. Insofern ist dieses Kunstwerk ein Ort für die verstreute kurdische Community - aber auch für jedeermann - um zu schauen, wie familiäre Vergangenheit kulturell aufbewahrt und erinnert werden kann.
Mario Scalla hat sich Zeit genommen und viele Details in dieser riesigen Collage entdeckt ||
Er ist seit vielen Jahren ein klingender Name in der Musikwelt: Zunächst als Pianist, später dann mehr und mehr als Dirigent. Die Liste der Orchester, bei denen er als Chefdirigent gewirkt hat, ist lang. Am Wochenende war Christoph Eschenbach in Kronberg und Frankfurt zu Gast, denn die Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst hat ihm die Ehrendoktorwürde verliehen - feierlich, aber nicht zu akademisch oder gar steif, sondern in zwei Gesprächsrunden wurde Christoph Eschenbach den Anwesenden noch etwas persönlicher vorgestellt, als dass die Aufzählung seiner vielen und wichtigen Stationen als Musiker eben leisten könnte. Dazu gab es aber auch Musik von Ensembles der Musikhochschule. Im Herbst wird er noch einmal ein neues Amt antreten, dann wird Christoph Eschenbach für fünf Jahre die Breslauer Philharmonie leiten – und damit schließt sich ein Kreis: denn in Breslau wurde er 1940 geboren, unter denkbar schwierigsten Umständen. Nun kehrt er zurück und kann wieder mit einem neuen Orchester gemeinsam Musik erleben.
Martin Grunenberg skizziert den Lebensweg des wichtigen Dirigenten anlässlich eines Abends in der HfMDK Frankfurt||
Über wild abgelagerten Sperrmüll kann man sich ärgern - oder ihn als Kunst begreifen, so wie Maike Häusling in der Ausstellung "Entsorgte Moderne" im Studio West der Kunsthalle Darmstadt. Nicht nur malt sie auf Brettern aus dem Sperrmüll, ihr Thema sind auch die Sperrmüllhaufen, die bei näherer Betrachtung durchaus künstlerisch reizvoll sein können. Katja von Puttkamer nimmt sich dagegen Gebäudedetails der Nachkriegsmoderne vor. Und auch hier ist so manches architektonisch reizvolle Detail zu entdecken. Nicht zuletzt ist auch die Kunsthalle Darmstadt selbst ein Beispiel für diese Nachkriegsmoderne, die gegenwärtig massenhaft abgerissen und damit entsorgt wird.
Stefanie Blumenbecker findet, dass "Entsorgte Moderne" in Darmstadt Kunst ist, die nicht einfach weg kann.||
"Komödie der Worte", unter diesem Titel hat das Wiesbadener Staatstheater drei selten gespielte Einakter von Arthur Schnitzler herausgebracht: Der große Ergründer seelischer Zustände hat sie Anfang des vorigen Jahrhunderts geschrieben, über Beziehungsprobleme, wie man sie heute noch kennt. Regisseur Noah L. Perktold und die souverän agierenden Schauspieler toben sich ziemlich aus, es gibt sehr böse Pointen - die Stücke sind Steilvorlagen für gute Schauspieler: großartige Dialoge, Wendungen, die sich nicht unbedingt vorher sehen lassen - lustig und unterhaltsam.
Urusula May ist im Staatstheater Wiesbaden immer wieder das Lachen im Halse stecken geblieben.||
Am 19. Februar 2020 erschoss ein Täter neun Hanauer Bürger aus Einwandererfamilien, sowie seine eigene Mutter und sich selbst. Said Etris Hashemi wurde schwer verletzt, unter den Ermordeten waren ein Bruder und Freunde. Im Frankfurter Mousonturm stellte Hashemi nun sein Buch "Der Tag, an dem ich sterben sollte" vor. Zeugen berichten darin zum Beispiel, dass der Notausgang in dem Lokal auf Anordnung der Polizei versperrt gewesen sei. Und Hashemi erzählt, wie die fünf Minuten Gewalt sein Leben umgekrempelt haben; noch heute kann er nicht in einem Lokal sitzen, ohne die Umgebung ständig im Blick zu haben.
Mario Scalla kam beeindruckt aus der Lesung von Said Etris Hashemis Buch "Der Tag, an dem ich sterben sollte" zurück.||
Das Feuerwerk der guten Laune zündet im Publikum erst so richtig im 2. und 3. Akt, dafür aber umso mehr. Viele Lacher, viel Applaus und Bravorufe - diese Musik ist ein Fest für Jacques-Offenbach-Fans und macht Spaß! Was die Inszenierung angeht, bietet Regisseurin Katharina Thoma viel fürs Auge, eine Mischung aus Biederkeit und witzigen Regieeinfällen, aber auch sehr viel Stapstick. Eine Oper mit satirischem Potential, eine Verwechselungskomödie, eine Mischung aus Tradtion und Moderne im quasi barocken Bühnenbild von Etienne Pluss. Pourquoi pas? Alpenidyll mit Bergen und Bäumen, Grenzübergrang oder Autobahnrestaurant - dazu ein schlank besetztes agiles Orchester unter Gastdirigent Karsten Januschke, wie immer ein toller Chor mit witzigen choreographischen Einlagen, das Riesenaufgebot im Soloensemble: 22 Sängerinnen und Sänger, allein elf Tenöre, wohl ein Rekord. Fast alle aus dem eigenen Ensemble sind besetzt, Gerard Schneider als Räuberhauptmann; Elizabeth Reiter und Kelsey Lauritano als seine Tochter und seinen Schwiegersohn in spe stechen hervor - Kompliment!
Meinolf Bunsmann lobt Stimmen und Kurzweil in "Die Banditen" - und die Rutsche...||
So eine Schenkung bekommt man nicht alle Tage: Das Städel zeigt einen Querschnitt des kompletten Schaffens von Honoré Daumier. Die Werke stammen vom Frankfurter Sammler und Anwalt Hans-Jürgen Hellwig. Dieser vermachte mehr als 4.000 Lithographien, Zeichnungen, einige Bronzeplastiken und zwei Gemälde des französischen Karikaturisten und Künstlers des 19. Jahrhunderts. Im Kabinett gibt es neben fast jeder Karikatur einen kurzen Text, der relevante Hintergrund, Personen und Kontext erläutert. Das zeichnerische Können Daumiers, die große Ausdrucksstärke, gewonnen oft aus den genau richtig gesetzten, scharfen Kontrasten von schwarz und weiß, aus genau dem richtigen Schwung der solitären Linie, bereiten auch ästhetisches Vergnügen. So traurig und gravierend die Inhalte oft sind: Es macht – umso mehr mit dem zeitlichen Abstand zum Dargestellten, den wir heute einnehmen können – einen Riesenspaß, sich das anzusehen!
Tanja Küchle hat auf den sehenswerten Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert sogar den ein oder anderen Zensurvermerk entdeckt||
Eine Gruppe Menschen, die überraschend in einem Raum auf unbestimmte Zeit festgesetzt wird, ist ein beliebter Topos in der Kunst. Das komische wie tragische Potenzial dieser Situation buchstabiert Luis Buñuel in seinem Film von 1962 durch, Regisseurin Claudia Bauer hat diese Situation nun für die kleine Bühne des Schauspiels Frankfurts adaptiert. Es geht ganz klar um eine Handlungsfähigkeit einer gesellschaftlichen Klasse, die aufgrund ihrer guten wirtschaftlichen Situation mit großer Verantwortung betraut ist - die sich aber außerstande sieht, dieser gerecht zu werden und ins Handeln zu kommen, obgleich sich die Krisen anhäufen. Im Kammerspiel sieht unsere Besucherin einen handwerklich sehr gut gemachter Abend mit gut aufgelegtem Ensemble, der dramaturgisch allerdings Problem der Vorhersehbarkeit habe - entsprechend gebe es einige Längen. Inhaltlich bewege er sich nah an tagesaktuellen Diskursen, aber man erfahre wenig Neues, was schade ist.
Esther Boldt über die erste Bühnen-Adaption des Luis-Buñuel-Films in Frankfurt||
Jack London kennt man eher für seine Abenteuerromane, umso interessanter ist es, den autobiographischen Text "König Alkohol" als Ein-Personen-Stück präsentiert zu bekommen. Johann Jürgens steht mit Cowboyhut auf der minimalistisch ausgestatteten Bühne des Kasseler Theater im Fridericianum (tif) und berichtet von seinen Erfahrungen mit dem zweifelhaften Adligen, von ersten Begegnungen, von ständigen Verführungen, von Phasen der Enthaltsamkeit. Jack Londons Text ist weder eine Verherrlichung noch eine Verteufelung des Alkohols, vielmehr eine soziale und psychologische Studie. Und die bringt Johann Jürgens eindrücklich auf die Bühne: Er spricht, singt, spielt Mundharmonika und lässt seine Geschichten ausgesprochen lebendig werden.
Andreas Wicke sieht nur eine Probe, bekommt aber Lust auf die Produktion||
Regisseurin Sofia Coppola war bei ihrem neuen Film "Priscilla" gewiss nicht zu beneiden. Nicht nur diente die Autobiografie von Priscilla Presley ihr als Vorlage; Priscilla Presley war auch noch Produzentin des Films. Trotzdem ist "Priscilla" über die Ehefrau von Elvis Presley ein typischer Sofia-Coppola-Film geworden. Die beiden lernten sich in Wiesbaden kennen, und Priscilla muss sich in das Leben in den Vereinigten Staaten und als Ehefrau einer Berühmtheit erst mal eingewöhnen. Elvis überschüttet sie mit Schmuck und anderen Aufmerksamkeiten, nötigt sie aber auch dazu, regelmäßig Beruhigungsmittel zu nehmen. Als typisches Kind der 50er Jahre erwartet er von seiner Frau, dass sie sich fügt. Zum Beispiel muss sie sich die Haare schwarz färben, weil er es so schöner findet. Der Film wartet nicht mit neuen Enthüllungen über Elvis auf; für die Zerstörung seines Rufs hat er in seinen letzten Lebensjahren selbst gesorgt. Aber "Priscilla" bietet für alle, die sich für Elvis interessieren, den ergänzenden Blick von Seiten der Ehefrau.
Ulrich Sonnenschein empfiehlt "Priscilla" von Sofia Coppola||
Das eigene Gesicht hat Künstlern aller Epochen als Vorlage gedient - man muss kein Modell bezahlen, und es ist immer verfügbar. Was Markus Walenzyk in der Ausstellung "Druck" im Kunsthaus Wiesbaden mit seinem Gesicht anstellt, geht allerdings weit darüber hinaus. In einer Video-Installation sieht man zum Beispiel wie er sich vornüber in weiche Erde fallen lässt, wieder aufsteht und sein Gesicht als Hohlform hinterlässt. In einer anderen Video-Installation schmiert er sich einen weißen Schleim ins Gesicht, bis nur noch ein Auge offen bleibt. Man kann die Arbeiten von Walenzyk als Kommentar zu unserer Selfie-Kultur lesen. Sie sind schmerzhaft, aber durchaus auch komisch.
Stefanie Blumenbecker war von den Arbeiten Markus Walenzyks im Kunsthaus Wiebaden beeindruckt.||
Beim "Nussknacker" erwartet man zunächst ein Ballett mit der Musik von Tschaikowski, doch das Frankfurter Papageno Musiktheater greift bei seinem Gastspiel in der Alten Oper Frankfurt stark auf E. T. A. Hoffmanns Vorlage "Nussknacker und Mäusekönig" zurück. Dort ist es Weihnachtsabend bei Familie Stahlbaum: Die Geschwister Marie und Fritz tanzen um den Weihnachtsbaum und beschädigen dabei den Nussknacker. Marie kümmert sich um die Holzfigur, und ihr Patenonkel beginnt zu erzählen: Eine rachsüchtige Maus habe einen jungen Mann in den Nussknacker verwandelt. Um Mitternacht werden die Figuren in Maries Traum lebendig, und Maus und Nussknacker treten gegeneinander an. In der Version des Papageno Musiktheaters kommen die Tanzeinlagen erst in der zweiten Hälfte, die Musik wird teils live, teils vom Band gespielt. Beim jungen Publikum kam diese Version des "Nussknacker" gut an.
Meinolf Bunsmann fühlte sich im jungen Publikum des "Nussknacker" vom Papageno Musiktheater gut aufgehoben.||
Beinahe wäre die Aufführung von Donizettis "Der Liebestrank" am Staatstheater Darmstadt geplatzt, denn der Sänger des "Nemorino", der Tenor David Lee, war kurzfristig erkrankt. Für ihn sprang Matteo Roma ein, der sich in nur zwei Tagen in die Inszenierung einarbeitete. Von diesen Begleitumständen war bei der Premiere nichts mehr zu spüren. Regisseurin Geertje Boeden hatte auf der Bühne einen pastellfarbenen Traum bereitet. Zwei neue Rollen tauchen auf: Upupa und Colombina, zwei possierliche Vögel, die heftig miteinander turteln, und den Sängern gelegentlich die Show stehlen. Donizettis Musik ist abwechslungsreich, der Darmstädter Chor spielfreudig; Juliana Zara glänzt als "Adina". Für ihren Kraken-Rock mit Tentakeln gab es sogar einen Extra-Applaus. Eine Inszenierung für alle Liebhaber der leichten Oper und auch für Kinder ab zehn Jahren geeignet.
Meinolf Bunsmann ließ sich in Darmstadt vom Tschingderassa-Bumm in Donizettis "Liebestrank" mitreißen||
"Something rotten" am English Theatre Frankfurt spielt natürlich auf das Shakespeare-Zitat an, etwas sei faul im Staate Dänemark, und das ist genau das Problem, das die Brüder Nick und Nigel Bottom im England der Renaissance-Zeit haben: Wie hält man die eigene Theater-Truppe am Leben, wenn das Publikum nur noch die Stücke von diesem Shakespeare sehen will? Die Bottom-Brüder konsultieren ein Orakel, und das sagt ihnen voraus, dass im Theater der Zukunft geschauspielert, getanzt und gesungen werden wird und das alles gleichzeitig! Die beiden machen sich daran, das Musical zu erfinden. Das English Theatre bietet mit "Something rotten" eine hinreißende Show, die allerdings nur schätzen wird, wer über gediegene Englisch-Kenntnisse und einen soliden Bildungshintergrund zum Verständnis der Shakespeare-Anspielungen verfügt.
Ulrich Sonnenschein empfiehlt "Something rotten" am English Theatre Frankfurt für Englisch-Fort-Fort-Fortgeschrittene||
Das Städel Museum in Frankfurt würdigt bis 14. April 2024 Miron Schmückle mit "Flesh for Fantasy". Nicht bei den Alten Meistern, nicht bei den Modernen in den unteren Gartenhallen, sondern genau dazwischen: dort, wo man normalweise nur durchläuft. Das ist neu - und der kuratierende Direktor Philipp Demandt beweist ein sehr gutes Händchen damit. Denn die zum Teil riesigen Werke des gebürtigen Rumänen zeigen nichts als Blumen, Phantasiegebilde in Aquarell. Hier kommen sie zur Geltung - nahezu hyperrealistisch echt in der Darstellung von Blüten und Knospen, bis hin zu kleinen Details in Staubgefäßen, Samenständen oder Luftwurzeln. Dabei strahlen diese Organismen in rot, blau, purpur, orange oder gelb. Auch in großem Format, das keck von der Decke hängt. Es gibt deutliche Anlehnungen an die Tradition der Blumenmalerei wie man sie bei den Miniaturen von Georg Hoefnagel im 16. Jahrhundert findet, über den Schmückle promoviert hat. Aber natürlich grüßt auch Maria Sybilla Merian von Ferne. Wir sehen kostbare Schmuckstücke, die sehr gut zum Städel passen.
Stefanie Blumenbecker lobt das Städel für den Mut, in diesem Transit-Raum derart hochwertige Kunst zu zeigen||
Es hat 42 Jahre gedauert, bis die Oper Frankfurt nach der Skandal-Inszenierung von Hans Neuenfels "Aida" wieder auf den Spielplan gesetzt hat. Vor allem, dass Neuenfels Aida als Putzfrau zeigte, stieß damals übel auf. In der Neu-Inszenierung von Lydia Steier ist Aida wieder eine Putzfrau - vielleicht eine Reverenz an Neuenfels -, aber heutzutage ist das Publikum Schlimmeres gewohnt. Immerhin ist Aida eine äthiopische Geisel am ägyptischen Hof, und die werden mit niederen Arbeiten beschäftigt. Doch insgesamt überzeugte die Neu-Inszenierung vor allem in der zweiten Hälfte nicht, sodass es zum Schluss nicht nur Bravo-, sondern auch Buhrufe für das Regie-Team gab. Musikalisch war "Aida" jedoch über allen Zweifel erhaben. Und besonderes Lob verdient Aida-Sängerin Guanqun Yu, die trotz einer Verletzung sich nichts anmerken ließ und bis zum Schluss durchhielt.
Meinolf Bunsmann genoss die Musik in der Neu-Inszenierung von "Aida" an der Oper Frankfurt, die Regie dagegen weniger.||
Wutbürger sind ein vieldiskutiertes Phänomen unserer Zeit; die beiden flämischen Autoren Jan Sobrie und Raven Ruëll sind der Meinung, dass es auch das Gegenteil davon gebe: "Wutschweiger". Das Staatstheater Darmstadt hat ihr "Klassenzimmerstück" aufgeführt, das tatsächlich nur knapp eine Schulstunde dauert. Ebeneser ist mit seinen Eltern in einen Wohnblock umgezogen, weil sie sich ihr Häuschen nicht mehr leisten können. Mit seiner Freundin Sammy freut er sich auf den Höhepunkt des Jahres: Skiferien mit der ganzen Klasse. Doch dann können weder er, noch Sammy mitfahren, weil ihre Eltern das Geld nicht haben. Ebeneser und Sammy beschließen, fortan aus Wut zu schweigen, und wie sich herausstellt, ist das eine ganz schön laute Botschaft. Das Staatstheater Darmstadt bietet Schulen an, mit diesem "Klassenzimmerstück" in die Schulen zu kommen.
Ursula May findet "Wutschweiger" gut, gerade weil es auf den pädagogischen Zeigefinger verzichtet.||
Eigentlich wollte die Oper Frankfurt György Ligetis "Le grand macabre" 2020 aufführen, aber da machte die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Das Warten hat sich gelohnt. Schon das üppige Bühnenbild bekam einen Sonderapplaus vom Publikum. Inhaltlich geht es um nichts weniger als den Weltuntergang, den der Prophet Nekrotzar verkündet: Ein Komet wird auf der Erde einschlagen und die Menschheit auslöschen. Die lässt daraufhin noch einmal die Sau raus. György Ligeti verlangt den Sängern und dem Orchester fast schon Unmögliches ab, doch sie meistern die Herausforderung. Am Ende fliegt der Komet an der Erde vorbei. "Die Moral von der Geschicht': Fürchtet den Tod nicht, gute Leut' / Irgendwann kommt er, doch nicht heut' / Und wenn er kommt, dann ist's soweit, / Lebt wohl so lang in Heiterkeit."
Meinolf Bunsmann war so begeistert, dass er sich "Le grand macabre" ein zweites Mal anschauen wird.||