In "Jugend ohne Chor" von Anne Lepper am Staatstheater Darmstadt muss Dirk hinaus in die große weite Welt. Damit er nicht verloren geht, gibt ihm seine Mutter einen Chor mit, der ihm den Weg weisen soll. Die große weite Welt nimmt die Gestalt einer Backstube an. Bühnenbildnerin Carolin Mittler hat sichtlich viel Spaß dabei gehabt, das Staatstheater dafür in Mehlstaub zu tauchen. Ob nun aber eine Backstube die geeignete Metapher für die kapitalistische Verwertungslogik ist, daran hatte unsere Theaterkritikerin Ursula May dann doch ihre Zweifel.
Ursula May ließ die Uraufführung von "Jugend ohne Chor" am Staatstheater Darmstadt etwas ratlos zurück.||
Kann die letzte Runde in einer Bar ein Leben nachhaltig verändern? Jamie ist gerade dabei zu schließen, als ein älterer Herr hineinstürmt. Er bietet ihm und seiner Freundin Abby viel Geld, wenn sie noch einen letzten Drink mit ihm nähmen. Während die drei sich also unterhalten, fängt Jamie an, seine Ambitionen als Musiker und seine Pläne mit Abby zu hinterfragen. Langsam realisiert das junge Paar, dass der mysteriöse Unbekannte ungewöhnlich intensiv interessiert ist. Ist der Grund, den er vorgibt, glaubwürdig? Als eine weitere, ungehaltene Person auftaucht, scheint seine zuvor noch als unrealistisch abgetane Geschichte plötzlich gar nicht mehr so abwegig. - "Now and Then", eine berührende romantische Komödie über die Konsequenzen unserer Entscheidungen, und die Menschen, die sie mit uns tragen.
Ulrich Sonnenschein genoss den Abend im English Theatre Frankfurt||
Fünfzehn Jahre lang war Sebastian Weigle Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt. Zum Abschied wählte er Bruckners Sinfonie Nr. 9 d-Moll, mit der der Komponist nie fertig geworden ist. Noch auf dem Sterbebett soll er bestimmt haben, sein "Te Deum" als Finale einzusetzen. Das erfordert mehrere Chöre, sodass am Sonntag insgesamt 270 Musiker auf der Bühne der Alten Oper standen. Mit ruhiger Hand dirigierte Weigle das gewaltige Werk und setzte so einen gelungenen Abschluss hinter seinen Bruckner-Zyklus und seine Zeit als Generalmusikdirektor in Frankfurt.
Meinolf Bunsmann erlebte einen gewaltigen Konzertabend mit Dirigent Sebastian Weigle||
Die Schau "Inner colours" des Künstlers Anton Kokl ist relativ klein. Zwei Räume der Gemäldegalerie sind mit seinen Werken bespielt, die ihre Farben ändern, wenn man an ihnen vorbeigeht, solche "Interferenzfarben" kennt man aus der (Auto-)Industrie. Aber warum hängen diese Bilder nicht als Interventionen zwischen den anderen der Sammlung? Das hätte ihnen gut getan, denn allein wirken sie oberflächlich. Ihr starker Pinselstrich kommt zwar dynamisch, spontan, abstrakt daher und erinnert vage an japanische Tuschemalerei. Jedoch werden Farben ja nicht innerlich oder mystisch, bloß weil sie opalhaft schimmern. Es ist halt nur ein technischer Effekt.
Für Stefanie Blumenbecker ist der Funke im Museum Wiesbaden nicht übergesprungen||
"Nur eine Nacht in Tel Aviv" ist ein Drama aus dem Jahr 2023 von Malte Wirtz mit Eytan Litt und Elliott Leigh Tucker. Avi, Ben und Ana treffen sich in Tel Aviv, um dort eine letzte gemeinsame Nacht zu verbringen. In Malte Wirtz' Film wird die letzte Nacht an diesem Ort, wie so oft, zur Wichtigsten. Zusätzlich zum eigentlichen Film wird in der 75-minütigen Laufzeit im Kino auch der unterstützte 14-minütigen Kurzfilm Actors on German Film gezeigt.
Die Kunstbewegung Fluxus feiert 60. Geburtstag - in Wiesbaden gibt es dazu ungewöhnliches zu sehen: Für den Kunstsommer entwickeln Tanzende des Hessischen Staatsballetts mit Studierenden Performances und Happenings. Spielerisch, poetisch, spontan war auch die "Startbahn Fluxus" als Rundgang durch die Landeshauptstadt. Von den Kolonaden am Großen Haus am Staatstheater aus gab es im Wortsinn berührende Begegnungen zwischen den Akteuren, das Publikum war einbezogen und entwickelte eine große Nähe zu jenen, die auf verschiedene Weise die Stadt mit Spiel und Tanz bereicherten. "Exit Expectations", die Performance im Nassauischen Kunstverein, hat unserer Kritikerin Tränen in die Augen getrieben, nicht nur ihr.
Stefanie Blumenbecker empfiehlt das poetische Spektakel in Wiesbaden||
Hochaktuell ob des Umfragehochs: Der Theologe und Rechtsextremismusforscher David Begrich sprach mit Buchautor Patrick Bahners, FAZ-Redakteur im Feuilleton. Warum und wie kann sich eine rechtsextreme Partei dauerhaft im Parlament etablieren? Die Strategie von Gauland, Weidel, Höcke & Co. beginne bei der Wortwahl, wenn beim Lieblingsthema der Partei - Einwanderung – grob entzivilisierendes Vokabular benutzt und dumpfe Gefühle bedient würden. Man sollte aber, so Bahners, das nicht als billig populistisch abtun, sondern genauer hinhören. Gegenstrategie? Nicht per Nachsprechen oder Nachahmen von AfD-Positionen und -Rhetorik auffallen, sondern mit Argumenten dagegenhalten!
Mario Scalla hält die sachlichen Argumente für stichhaltig und empfiehlt das Buch||
Der chinesische Star-Pianist, das Mahler Chamber Orchestra mit Dirigent Andris Nelsons, dreimal Beethoven in c-Moll: Man erlebt einen Pianisten, der wunderbar weiche Melodien spielen kann, der Töne in die Tastatur hineintupft und tröpfelt, der Akkorde donnern kann - mit seiner stupenden Technik malt Lang Lang tolle Klangfarben. Das Publikum liebt sein oft unkonventionelles Spiel, seine sehr großen Gesten - und ist auch begeistert vom nunmehr 25 Jahre alten Orchester, das Beethovens Fünfte zwar nicht perfekt, doch engagiert und mit soviel Elan spielte, dass der Applaus nur so donnerte. Drinnen und draußen von der Video-Leinwand ein Erlebnis!
Meinolf Bunsmann feierte beim Orchesterfest der Alten Oper Frankfurt mit ||
Mit dem "Tove-Projekt" erinnert das Schauspiel Frankfurt an die 1976 gestorbene Schriftstellerin Tove Ditlevsen. In Dänemark ist das ein großer Name, der in Deutschland aber erst bekannt geworden ist, als der Aufbau-Verlag ihre "Kopenhagen-Trilogie" 2021 herausgebracht hat. Dabei passt Ditlevsen perfekt in den Zeitgeist: Sie schrieb autofiktional und verarbeitete ihre eigene fragile Existenz zu Literatur. Die polnische Regisseurin Ewelina Marciniak hat sie mit dem "Tove-Projekt" jetzt auch auf die Bühne gebracht.
Esther Boldt wurde von der Inszenierung des "Tove-Projekts" berührt.||
Das italienische Fremdenverkehrsamt würde diesen Film gewiss nicht zur Werbung einsetzen, aber in "Nostalgia" von Mario Martone erfährt man viel über Neapel und warum seine Bewohner so zäh in der Stadt ausharren. Ein Mann, der sein Glück im Ausland gemacht hat, kehrt nach 40 Jahren zurück. Nur langsam wird deutlich, was ihn damals zur Auswanderung bewogen hat und warum ihn sein Heimatviertel nicht loslässt. Der Film wirkt beinahe wie ein Dokumentarfilm, glänzt aber dank der schauspielerischen Leistung von Pierfrancesco Favino.
Hadwiga Fertsch-Röver lobt den ganz besonderen Heimweh-Film "Nostalgia"||
Die Peer-Gynt Suite von Edvard Grieg gehört zum festen Programm des Klassikbetriebs und wirkte deswegen bei der Eröffnung der Weilburger Schlosskonzerte zunächst nicht ungewöhnlich. Die norwegische Geigerin Ragnhild Hemsing konnte diesem Klassiker neue Seiten abgewinnen, indem sie die Hardangerfiedel einsetzte. Diese Fiedel besitzt zusätzliche Resonanzsaiten und wird in der norwegischen Volksmusik verwendet. So machte Hemsing hörbar, wie sehr Grieg seinerseits aus der Volksmusik geschöpft hat.
Meinolf Bunsmann erlebte eine ungewöhnliche und doch sehr gelungene Eröffnung der Weilburger Schlosskonzerte.||
Johann Sebastian Bach ist heute natürlich als der Thomaskantor der Stadt Leipzig bekannt. Beim Eröffnungskonzert des Barockfests Darmstadt wurde daran erinnert, dass er 1723 jedoch die letze Wahl war. Drei andere Musiker hatten vor ihm den Posten abgelehnt: Georg Philipp Telemann, Christoph Graupner sowie Johann Friedrich Fasch. Das war Anlass für ein interessantes Experiment: Das Publikum konnte je 20 Minuten von jedem Komponisten hören und musste sich dann entscheiden, wen es als Thomaskantor eingestellt hätte. Bach war jedenfalls nicht der überragende Gewinner.
Susanne Pütz über das Eröffnungskonzert des Barockfests Darmstadt, bei dem das Programmheft nicht verriet, wer eigentlich gespielt wurde.||
Antigone darf ihren Bruder Polyneikes nicht beerdigen, weil dies König Kreon verbietet. Im Frankfurter Mousonturm überträgt der Schweizer Regisseur Milo Rau den antiken Mythos nach Brasilien. Zwei brasilianische und zwei belgische Schauspieler treten auf, während weitere Personen das Geschehen von einer Leinwand im Hintergrund kommentieren. Bei Antigone geht es um die Frage, wer über die Erde verfügen darf, in der Polyneikes begraben werden soll. Milo Rau lässt brasilianische Landlose fragen, wer eigentlich über die Erde verfügt, von der sie sich ernähren.
Mario Scalla fand den Anschluss des Antigone-Mythos in "Antigone im Amazonas" an die brasilianische Moderne durchaus überzeugend.||
Charles Eismayer ist Ausbilder beim österreichischen Heer und für seine Härte berüchtigt. Seine Homosexualität hat er mit einer Ehe mit einer Frau kaschiert. Sein Leben funktioniert ganz gut bis er sich in einen der neuen Rekruten verliebt und der in ihn. Das zwingt Eismayer zu harten Entscheidungen: Wie wird seine Frau reagieren? Wie reagiert die Männergesellschaft des Militärs auf eine Heirat mit einem Rekruten? Und warum hat es so lange gedauert, bis dieser Film aus Österreich zu uns nach Deutschland kam?
Ulrich Sonnenschein empfiehlt, den Film "Eismayer" auf der großen Leinwand zu sehen.||
Der zentrale Begriff in der ersten Poetik-Vorlesung von Clemens J. Setz an der Universität Frankfurt lautet: Mysterien. Setz gelingt es immer wieder, seinen Beobachtungen eine schräge Seite abzugewinnen. So empfahl er ausdrücklich, nicht eine "Aura-Brille" zu kaufen, erzählte dann aber so anregend von seinen Seheindrücken, dass bestimmt in der nächsten Vorlesung zahlreiche "Aura-Brillen" zu sehen sein werden. Aber Setz stellt auch ernsthafte poetologische Fragen: Warum gibt es in Romanen immerzu Hauptpersonen? Wie müsste eigentlich ein Roman aus lauter Nebenpersonen aussehen? Futter zum Nachdenken ist bei Clemens J. Setz jedenfalls garantiert.
Mario Scalla verbrachte einen anregenden Abend in der Frankfurter Poetik-Vorlesung von Clemens J. Setz||
Unter dem Titel "gerade NOW!" hat das Hessische Staatsballett zwei sehr unterschiedliche Choreografien zu den Wiesbadener Maifestspielen mitgebracht. In "Of Prophets and Puppets" des französischen Martin Harriague geht es um das Ende der Talkshow. Greta Thunberg kann hier nur noch stammeln, während Donald Trump versucht, sich nach vorne zu schieben. Und mit "Midnight Raga" versucht das Hessische Staatsballett eine Choreografie aus dem Erbe von Marco Goecke zu retten, der sich mit einer Hundekot-Attacke auf eine Kritikerin disqualifiziert hat.
Ursula May über zwei sehr unterschiedliche Choreografien, die in Wiesbaden mit großem Jubel begrüßt wurden||
"The Prison" ist eine Sinfonie für Sopran- und Baritonsolo, Chor und Orchester, das die britische Komponistin und Frauenrechtlerin Ethel Smyth 1929 als eine Art Oratorium erschaffen hat. Das Darmstädter Publikum erlebte die szenische Uraufführung, die sich durch einiges von herkömmlichen Musik-Produktionen abhob: Ein Flashmop begrüßt die Wartenden, die Sitze stehen auf der Bühne, überall flattern Vorhänge und Schnüre. Ein visueller Rausch, der trotz der Momente der Verzweiflung ein sehr trostspendendes und mutmachendes Stück ist. Und mit Georg Festl als Gefangener mit seiner sonoren und immer textverständlichen Baritonstimme sowie Jana Baumeister als seine Seele mit ihrer engelhaften Sopranstimme auch ideal besetzt!
Meinolf Bunsmann hat sich von den vielen roten Fäden nicht verwirren lassen||
Humor ist bekanntlich Glücksache, vor allem wenn es um den Humor fremder Nationen geht. Womöglich können Franzosen über den Film "Mamma ante Portas" tatsächlich herzhaft lachen. Unserer hr2-Filmkritikerin Hadwiga Fertsch-Röver, die selten Verrisse verteilt, ging es da anders. Die Geschichte von der Mutter, die bei der Tochter einzieht, fand sie schal, die Witze abgestanden. Die Schauspieler bleiben weit unter ihren Möglichkeiten; die Konstellation, die durchaus komisches Potential hätte, wird von den Drehbuchschreibern nicht genutzt. Deshalb: Gehen Sie diese Woche in einen anderen Film!
Hadwiga Fertsch-Röver erwartete von "Mamma ante Portas" Humor von Loriot-Qualität und wurde enttäuscht.||
Mit der großen Ausstellung "Das Relief von Rodin bis Picasso" zeigt das große Kunstmuseum am Main 140 Werke von knapp 100 Künstlern: Bilder, geritzt in Holz oder gehauen in Stein, gebaut aus Pappe und Draht, gegossen in Bronze, geklebt aus Dachlatten oder auch nur gemalt, Räumlichkeit vortäuschend. Meisterwerke aus 160 Jahren in einer edlen zart hellblau-silbrigen Raumarchitektur; so beleuchtet, dass die Dreidimensionalität der Werke hervorgehoben wird; eine Schrift, die extra für die Ausstellung entwickelt wurde - alles aus einem Guss: licht und leicht, gleichzeitig tiefgründig und gehaltvoll. Ein Gang durch diese Ausstellung ist wie eine Reise durch ein neues Land!
Stefanie Blumenbecker lobt die Fülle der Werke und die Hängung||
Seit 2015 leitet der Choreograf Jacopo Godani die Dresden Frankfurt Dance Company, eine Verbindung aus fester und freier Tanztruppe. Jetzt geht er und spielt in seinem vorerst letzten Stück "Symptoms of Development" mit den Erwartungen des Publikums - und liefert zugleich einen Rückblick auf die letzten acht Jahre. Seine Bühnensprache ist auf Extreme aus, die allein jedoch keinen interessanten Abend ausmachen können. Virtuosität sieht hier immer wie Selbstzweck aus, es ist ein Tanz um des Tanzes Willen, effekthascherisch und letztlich monoton, inhaltlich - zugespitzt gesagt - leer. Da ist viel Luft nach oben, man darf gespannt auf Ioannis Mandafounis sein, der im Herbst übernimmt.
Esther Boldt kann tänzerischem Können allein nichts abgewinnen||
Jonas Kaufmann trat am Sonntag in der Alten Oper auf, und das Publikum war aus dem Häuschen, wie man es sonst nur in Italien erlebt. Kaufmann hat eine charakteristische Stimme, für einen Tenor ziemlich baritonal. Seine Stimme ist mit den Jahren etwas nachgedunkelt. Er ist ein guter Darsteller auf der Bühne, hat Charisma und ist charmant. Er ist vielseitig, singt deutsch, französisch, italienisch, manchmal englisch. Und er singt nicht nur Verdi, sondern auch Wagner, nicht nur Opern, sondern auch Lieder. Für ausufernde Begeisterung gibt es also Grund genug, auch wenn man den letzten Tönen gerne noch etwas nachlauschen würde, bevor der Applaus losbricht.
Meinolf Bunsmann erlebte mit Jonas Kaufmann einen der großen Tenöre unserer Zeit||
Richard Wagners "Ring des Nibelungen" - ein spektakuläres Musiktheater-Großereignis, das gerade in Kassel über die Bühne des am Staatstheaters geht. Coronabedingt musste man dort ziemlich lange warten, bis es als Zyklus mit allen vier Teilen zu sehen war: Das Rheingold – Die Walküre – Siegfried – Die Götterdämmerung. Inszeniert hat die vier Abende der ehemalige Schauspieldirektor Markus Dietz. Astrid Gubin hat den kompletten Zyklus in Kassel gesehen und zieht Bilanz.
Astrid Gubin hat Wagners "Ring" mehrfach gesehen und ist begeistert||
Auftritt Jens Harzer bei den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden: Harzer ist Träger des Iffland-Rings, also einer der besten Schauspieler der Republik. In Molières "Der Geizige" in der Inszenierung des Hamburger Thalia-Theaters spielte er den Harpagon hart am Rande der Klamotte: mit künstlichem dicken Bauch im Jogging-Anzug. Noch nach 350 Jahren beißt Molières Kritik des Kleinbürgers, aber "Der Geizige" überzeugt auch als Stück über einen Generationenkonflikt. Und nicht nur Harzer ist ein großartiger Schauspieler, das gesamte Ensemble überzeugt mit seiner Leistung.
Ursula May über eine kurzweilige Inszenierung von Molières "Der Geizige" bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden||
Es gab Menschen in der DDR, die konnten nach Kuba reisen und auch dort bleiben – im staatlichen Auftrag und nach 1972 auch auf einem Felsen vor Kuba, "Ernestos Island", den Fidel Castro angeblich Erich Honecker geschenkt hatte. Das ist kein Dokumentarfilm, er tut aber so - und das macht dieses Road Movie reizvoll, das zwar voller Klischees steckt, aber viel vom kubanischen Pragmatismus erzählt. +++ "Blix Not Bombs" ist ein Film über Hans Blix, den obersten UN-Waffenkontrolleur während des Irakkriegs. Plot: Junge Frau fragt alten Mann - und findet den richtigen Ton. Er suchte Fakten und fand sie, was aber nicht zu einem Kriegsende führte. Sie findet, dass Chaos und Krisen heute in der Welt damals schon ihren Anfang nahmen und die offen subjektiv ist. Leider sehr relevant!
Daniella Baumeister hat gleich zwei Filme gesehen||
Wenn die Frankfurter Septemberaufstände von 1848 als historisches Ereignis nacherzählt werden - und zwar als Komödie, gerät das in der Volksbühne zum Portrait jener Menschen, die heute als tapfere Revolutionäre gelten: Ein Spiel mit Typen, Feige, Heroische, Bigotte, Schwärmer, Naive, Mitläufer und Heldenhafte. Tja, Revolutionen sind für die, die sie machen, alles andere als lustig - Rainer Dachselt hat mit dem Historiker Thomas Bauer Verhörprotokolle entziffert - heraus kommt ein Verwirrspiel anhand historischer Fakten. Ein lautes, unterhaltendes, jedoch authentisches Spektakel mit großem Lerneffekt. Als ob merr debei gewese wär'!
Natascha Pflaumbaum hat gelacht, aber nicht hohl, sondern bedacht||
Händel hat sage und schreibe 42 Opern komponiert sowie 25 Oratorien. Die Auswahl ist also groß, wobei die Vielfalt verblüfft. Bei den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden trat ein Dream-Team aus der Sopranistin Anna Prohaska, dem Countertenor Bejun Mehta sowie der "lautten compagney Berlin" an, um Duette und Arien von Händel zu präsentieren. Schon die Anordnung von Orchester und Solisten sorgte dabei für ein intensives Klangerlebnis. Schade nur, dass einige Sitze im Publikum leer blieben.
Susanne Pütz erlebte einen Triumph der historischen Aufführungspraxis||
Bereits zum 13. Mal kann man im Kurpark von Bad Homburg Kunst und Natur im Dialog erleben: Die "Blickachsen" sind eine Skulpturen-Biennale, lange galt das Motto "Größer, höher, weiter", denn sowohl die Maße der Werke wuchsen als auch das Ausstellungsgelände. Jetzt beschränkt man sich wieder auf den Ursprungsort, das tut gut: Der englische Landschaftsgarten gibt einen wunderbaren Rahmen, Wiesen und Bäume, Himmel und Teich lassen die Kunstwerke regelrecht atmen. Formen und Materialien sprechen ganz anders zum Betrachter als dies in dem geschlossenen Raum eines Museums möglich wäre. Die "Blickachsen" Jahrgang 2023 sind eine ideale Gelegenheit, schwellenlos Kunst zu erleben, die Reise lohnt sich!
Stefanie Blumenbecker beschreibt die frei zugängliche Ausstellung "Blickachsen"||
Melancholie gilt sowieso als Grundverfassung der Argentinier. Aber die Zustände, die German Kral in "Adiós Buenos Aires" zeigt, könnten einen verzweifeln lassen. Der Film spielt im Argentinien des Jahres 2001 und Julio - Besitzer eines Schuhladens und Bandoneon-Spieler in einem Tango-Orchester - trägt sich mit dem Gedanken, nach Deutschland auszuwandern. Doch dann lernt er Mariela kennen; aber vor allem der Gedanke, die Tango-Musik aufzugeben, lässt ihn weiter in Buenos Aires ausharren.
Hadwiga Fertsch-Röver über den Film "Adiós Buenos Aires" von German Kral getragen von der Kraft argentinischer Musik||
In "Embodying Bodies" zeigt Choreograf Fabrice Mazliah am Künstlerhaus Mousonturm getanzte Theorien der Biologin Lynn Margulis: Der menschliche Körper sei keine abgeschlossene Einheit, sondern ein ganzes Ökosystem. Da werden Steine in Kniekehlen geklemmt und über Bauchnabel gerollt, Arme in Wasser geplatscht und Beine mit anderen Beinen verschränkt. Der Abend ist sehr detailgenau gearbeitet, wie das bei Mazliah meist der Fall ist - die Choreografie wirkt oft wie eine bewegte Installation, die das Empathievermögen anspricht und wortwörtlich "berührt". Wie das funktioniert, ist sehr faszinierend - wer sich darauf einlässt, fühlt mit!
Esther Boldt hat auch körperlich eine symbiotische Beziehung zu den Tanzenden aufgebaut||
Kronberg steht wieder im Zeichen der Kammermusik. Das weltverbindende Festival der Academy bietet Konzerte, öffentlichen Proben und mehr. Absolventen treten auf, zu Beginn mit Beethovens Streichtrio op. 9 Nr.1 und einer Komposition von Gideon Klein aus dem dem Jahr 1944. Stella Chen, Matthew Lipman und Brannon Cho sind aufs Beste aufeinander abgestimmt, setzen der Königsdisziplin der Kammermusik die Krone auf. Dann das zweite Klavierquartett von Antonin Dvorak: Pianist Jean-Sélim Abdelmoula agiert hier akustisch (zu?) zurückhaltend, vielleicht hatte er die Sorge, die drei Streichinstrumente zu überdecken? Insgesamt ein wundervoller Abend mit Musikern, von denen man noch viel Gutes hören wird!
Meinolf Bunsmann war von Interpreten und vom guten Klang des neuen Saals sehr angetan||
Literaturpreise gibt's wie Sand am Meer; Literaturpreise, die sich speziell dem Komischen in der Literatur widmen, aber nur in Kassel. Zum Auftakt des "Kasseler Komik-Kolloquiums" wurden dort der "Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor" verliehen sowie für den Nachwuchs der "Förderpreis Komische Literatur". Eine Einsicht, die hr2-Kritiker Robert Kleist aus Kassel mitbrachte, war: Die Schweiz scheint ein besonders geeignetes Biotop für komische Literatur zu sein.
Robert Kleist berichtet vom Auftakt des "Kasseler Komik-Kolloquiums"||
Vor hundert Jahren versank Deutschland in einer Hyperinflation: Stündlich war das Geld weniger Wert, die Nullen auf den Geldscheinen wurden immer mehr. Das ist kein Vergleich zu heute, wo bei Miete, Strom und Butter kräftig hingelangt wird, aber alles noch im Rahmen bleibt. Das Historische Museum zeigt die Ereignisse von 1923 in gewohnt plastischer Weise aus der Sicht der Frankfurter Bürger. In der Stadt am Main nahm man vieles mit Humor, nur die Allerärmsten litten. Viele Sparer verloren ihr Geld, gegen Ende des Jahres war der Spuk vorbei. Angst vor Inflation haben die Deutsch trotzdem, bis heute.
Mario Scalla hat im Historischen Museum Frankfurt nicht nur über den Waschkorb voller Geld gestaunt||
Was sich zwischen Klassen- und Lehrerzimmer und dem Pausenhof abspielt, hat oft mit Pädagogik oder Lehrplan nicht viel zu tun. Im Kino wird das das dann gern eine Komödie, der Film "Das Lehrerzimmer" ist aber ganz anders: Schule ist das Abbild einer Gesellschaft, die zunehmend aus den Fugen gerät - und das zeigt Regisseur Ilker Catak mit diesem beklemmenden Kammerspiel. Der moralische Anspruch einer Lehrerin, mit ihrer Klasse alles offen zu diskutieren, gerät im Lehrerzimmer vollkommen unter die Räder, es herrscht Psychoterror. Eine Lösung hat der Regisseur auch nicht. Sehr gut!
Daniella Baumeister sah im Kino unsere Gesellschaft im kleinen||
Zwölf Solorollen, Chor, Extrachor und Orchester holten sich reichlich Applaus und Bravos ab - Regisseurin Isabel Ostermann und ihr Team mussten ein paar Buh-Rufe einstecken, untypisch für Darmstadt. Auch bei unserem Mann im Parkett ist der Funke inszenatorisch nicht übergesprungen: Tiefe und Weite der Darmstädter Bühne werden nicht genutzt, sondern verengt durch einen Guckgasten mit grau schraffierten Wänden - ohne bunte Ball- oder Landszenen. Der musikalische Teil ist der große Pluspunkt der Aufführung: Stellvertretend für das gute Sängerensemble steht Megan Marie Hart als Tatjana, warm und lyrisch gesungen, mit wunderschönen Momenten. Also: Empfindliche schließen einfach die Augen und genießen Tschaikowsky ohne Bühnenbild.
Meinolf Bunsmann war nicht mit allem einverstanden, aber ging positiv heraus||
Dumm gelaufen: Stimmung und Hemd vergiftet, die Frau neurotisch und böse - am Ende stirbt Hercules, obwohl er doch der Gute ist! Diese Barockoper bietet in Frankfurt Dank des Ensembles, Laurence Cummings' Dirigat und der Inszenierung von Barrie Kosky alles, was das Genre ausmacht: Chaos, Liebe, Charaktere. Perfekt gesungen (Chor!), lustvoll und herrlich gespielt, auch im Graben auf historischen Instrumenten: Tempo und Gefühl - ganz große Klasse! Auch für Familien geeignet ;-)
Astrid Gubin möchte unbedingt noch einmal in die Oper Frankfurt||
Die Fotografien von Jan Kricke bilden eine Reise nach. Keine konkrete, eine assoziative. Eine Reise, die von der Nacht in den Tag führt, von der Dunkelheit ins Licht und vom Land und der Behausung der Menschen ans Meer. Es ist also eine Art metaphysische Reise. Die Bilder dieser Serie sind dementsprechend in zwei großen Konvoluten zusammengefasst, die Dunklen und die Hellen. Seine Bilder haben Tiefe und zeigen die große Schönheit von Natur und unscheinbaren Dingen. Eine Entdeckung!
Stefanie Blumenbecker war auf der Darmstädter Mathildenhöhe hingerissen||
2015 setzt Lars Kraume dem Generalstaatsanwalt mit "Der Staat gegen Fritz Bauer" ein Denkmal. Das Politdrama zeigt Bauers akribische Suche nach Adolf Eichmann, dem meistgesuchten Nazi-Verbrecher, der hier vor Gericht gebracht werden soll. Im Deutschland der 50er Jahre fehlt es aber an Unterstützung zur Aufklärung der Nazi-Verbrechen, Verdrängung und Denunzierung herrschen vor. Nun ist der Stoff als Theateradaption in Gießen zu sehen - und gleitet in eine Art Jan-Böhmermann-Humor ab. Sehr schade, findet unsere Kritikerin - und schlägt vor, dass die beiden Schauspieler, die Fritz Bauer und Karl Angermann darstellen, die Inszenierung von Jenke Nordalm crashen sollten!
Natascha Pflaumbaum konnte sich der Begeisterung des Gießener Publikums nicht anschließen||
Am Hessischen Landestheater Marburg inszeniert Nino Haratischwili den Roman von Aglaja Veteranyi "Warum das Kind in der Polenta kocht" als Theaterstück. Es geht um eine rumänische Künstlerfamilie, die sich ein besseres Leben in der Schweiz erhofft. Erzählt ist das Stück aus der Perspektive eines Kindes, das, um die schreckliche Wirklichkeit zu bewältigen, sich noch schrecklichere Geschichten ausdenkt. Der gelungene Kunstgriff von Haratischwili besteht darin, zwischen den Sprachen Deutsch und Georgisch hin- und herzuwechseln, sodass auch die deutschen Zuschauer ein Gefühl von Fremdheit überwältigt.
Natascha Pflaumbaum erlebte mit "Warum das Kind in der Polenta kocht" einen denkwürdigen Theaterabend in Marburg.||
Nur für zwei Wochen (bis 7. Mai) zeigt das Fotografie Forum Frankfurt (FFF) künstlerischen Positionen, die für die Shortlist des Prix Pictet ausgewählt wurden. 13 Serien zeigen Feuer als Zerstörer, Hoffnung und Licht, auch als Neuanfang. Und als Faszinosum, das eine Art "Tor zur Ewigkeit" darstellt. Besonders beeindruckt die Vielfalt der Themen und Techniken, von greller Farbcollage bis zu Scherenschnitten und uralten Fotografie-Techniken. Künstler aus unterschiedlichsten Kulturen und Ländern kommen zusammen - mit Bildern, die im Gedächtnis bleiben. Unbedingt ansehen, Eintritt ist frei!
Stefanie Blumenbecker ist vom Formenreichtum im Fotografie Forum Frankfurt begeistert||
Kurz vor seinem 80. Geburtstag führte Sir John Eliot Gardiner Bachs h-Moll-Messe in der Alten Oper auf. Von Routine ist dabei keine Spur zu hören. Gardiner beschäftigt sich ständig mit den historischen Quellen, versucht neue Zugänge zu finden. Dafür hat er sich zwei einzigartige Instrumente geschaffen: die "English Baroque Soloists" sowie den "Monteverdi Choir". Mit ihnen kann er seine musikalischen Gedanken perfekt umsetzen. Und auch wenn Bachs Messe von Glaubenszweifeln und Glaubensgewissheit handelt, Gardiners Glaube an Bach ist unerschütterlich.
Natascha Pflaumbaum begeistert sich für Sir Gardiners Interpretation der h-Moll-Messe von Bach||