Der "Prinz von Homburg" gewinnt die Schlacht bei Fehrbellin, indem er den Befehl verweigert stillzuhalten. Das ist der Inhalt von Kleists Drama, das am Theater Willy Praml in Frankfurt aufgeführt wird. Regisseur Michael Weber hält sich eng an den Text und unterläuft zugleich Kleists Schlachtenglorifizierung durch die Inszenierung. Nach einem Wort Remarques versteht man am besten, was Krieg ist, im Lazarett. Die Schauspielerinnen - die Hauptrollen werden von Frauen übernommen - tragen konsequenterweise den Kleistschen Text als Kriegsversehrte vor und ziehen damit alles Heldentum in Zweifel.
Mario Scalla erlebte in "Prinz von Homburg" am Theater Willy Praml wie man ein Theaterstück gegen sich selbst wenden kann und doch eng am Text bleibt.||
Das Klingspor-Museum in Offenbach widmet sich der Buch- und Schriftkunst. In seiner Ausstellung "Achtung: enthält Leben" zeigt es Tagebücher von Künstlern sowie von Menschen, die ihre Tagebücher nach einem Aufruf eingereicht hatten. Tagebuch-Schreiben als Mittel der Reflektion sei wieder modern, heißt es. Von "Tagebuch schreiben" kann allerdings häufig kaum mehr die Rede sein, wenn man die kleinen Kunstwerke mit Zeichnungen, Fotos und Ausschmückungen sieht. Andere haben den nüchternen Charakter von Notizbüchern. Und dann gibt es da noch die "Bullet Journals" in denen Menschen stichwortartig zum Beispiel ihr tägliches Körpergewicht, die gelaufene Schrittzahl oder die Haushaltsausgaben eintragen. Selbst hier gibt es Einiges zu entdecken, wie den Eintrag "verkatert, obwohl sehr viel Wasser getrunken".
Stefanie Blumenbecker betrachtet Tagebücher als Weg in die künstlerische Betätigung.||
Was das Publikum in Wiesbaden am Mittwoch beim Rheingau-Musik-Festival erleben durfte, ist eigentlich unmöglich. Das "Aurora Orchestra" spielte Strawinskys "Le Sacre du Printemps" mit seinen komplizierten Taktwechseln im Stehen und auswendig! Nicht einer der 70 Musiker patzte und gefährdete damit die Aufführung. Solist des Abends war der Cellist Sheku Kanneh-Mason, der einem Weltpublikum durch die Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle bekannt geworden ist. Er beherrscht sein Instrument ebenfalls mit traumwandlerischer Sicherheit, und pfeifen kann er auch noch!
Der erfahrene Konzertgänger Meinolf Bunsmann war vom Konzert des "Aurora Orchestra" verblüfft.||
In der Dokumentation von Dominik Graf geht es um Schriftsteller im Dritten Reich - und da vor allem um jene, die geblieben sind und sich so oder so im Nationalsozialismus arrangiert haben. Anatol Regnier, Jahrgang 1945, hat die Buchvorlage geschrieben - ein intensiver Blick auf eine Katastrophenlandschaft mit der Fragestellung: Wie war der Seelenzustand der Künstler? Graf mischt Originalton, alte Fotos und Filmausschnitte mit aktuellen Interviews, lässt sich viel Zeit und er lässt kommentieren. Ein erfreulich überraschender Film mit großer Offenheit, die Antworten auf Fragen und vor allem Urteile nicht mitliefert und so zu weiteren Diskussionen anregt.
Daniella Baumeister hat in drei Stunden im Kino viel erfahren||
Ob Sie mit ihr gespielt haben oder nicht, man kann ihr derzeit nicht entgehen: Ob im Kino oder in anderen Medien – Barbie ist allgegenwärtig. Auch in der Austellung, die jetzt an historischem Ort zu sehen ist. Wohltuend zurückhaltend präsentiert man die Geschichte der Kunststoffschönheiten, es schreien einen keinen grellen Farben an: Original-Puppen, die mitunter über 60 Jahre auf dem hübschen Buckel haben und mit denen auch gespielt wurde. Sogar die "Bild-Lilli" ist da, die als Comic erfunden wurde und als Ursprungs-Idee für Barbie gilt. Aus Deutschland kommt also der Hype um die ultraschlanke Blonde. Sie zog um die Welt und war auch züchtig gekleidet oder mit Hüftpolstern zu haben. Eine Zeitreise durch die Modepuppen-Geschichte, nicht nur für 6-Jährige.
Bastian Korff wollte im Brüder-Grimm-Haus in Steinau die Puppen gerne anfassen, durfte aber nicht||
Das Deutsche Romantik-Museum in Frankfurt stellt vor allem Handschriften aus. Da liegt es nahe, einmal die Schrift selbst zum Thema einer kleinen Ausstellung zu machen: "Schreiben mit der Hand in der Zeit der Romantik". Vom 17. Jahrhundert bis zum "Dritten Reich" schrieben die Deutschen vor allem in Kurrentschrift, die heute kaum noch jemand lesen kann. Fremdwörter wurden in der uns geläufigen lateinischen Schrift geschrieben. Das ging soweit, dass Goethe seinen "West-Östlichen Divan" in lateinischer Schrift verfasste, da es ja um ein ausländisches Thema ging, den "Faust" aber in Kurrentschrift.
Rosemarie Tuchelt war von der Vielzahl der Handschriften-Typen in der deutschen Geschichte fasziniert.||
Die Vergangenheit ist nach koreanischem Verständnis nicht abgeschlossen, sie bleibt als Möglichkeit bestehen. Das muss man wissen, um den Film "Past Lives" von Celine Song zu verstehen. Die Koreanerin Nora lebt inzwischen in New York, wo sie glücklich verheiratet ist. Als sich ihr alter Schulkamerad und erste Liebe Hae Sung bei ihr meldet, verschwendet sie keinen Gedanken daran, ihren Mann zu verlassen. Und doch bleibt während des Besuchs von Hae Sung immer die Frage, was wäre gewesen wenn ...
Ulrich Sonnenschein entdeckte im Film "Past Lives" ein anderes Verständnis von Vergangenheit.||
Die Ausstellung "Wer war Fritz Kittel?" im Frankfurter Museum Judengasse erinnert an einen mutigen Menschen. Während des "Dritten Reichs" transportierte die Reichsbahn zu Millionen Juden in die Vernichtungslager und an die Erschießungsorte in Osteuropa. Die Züge wurden von Reichsbahnarbeitern wie Fritz Kittel abgefertigt, der sich jedoch inmitten der Diktatur seine Menschlichkeit bewahrte. Er versteckte die beiden Jüdinnen Hella und Hannelore Zacharias.
Mario Scalla erzählt von der Ausstellung "Wer war Fritz Kittel?" im Frankfurter Museum Judengasse||
Es gibt Tage, da wäre man besser im Bett geblieben. Im Film "Kannawoniwasein!" lässt Finns Vater die versprochene Paddeltour ausfallen. Der zehnjährige Finn fährt daraufhin mit dem Zug nach Berlin, in dem ihm aber sein Rucksack mitsamt der Fahrkarte geklaut wird. Weder die Schaffnerin, noch die Polizei glauben ihm die Geschichte. Zum Glück trifft er die abenteuerlustige Jola, und die beiden kapern einen Traktor. Ziel ist die Ostsee, und auf dem Weg haben sie noch eine Menge Abenteuer zu bestehen.
Ulrich Sonnenschein empfiehlt "Kannawoniwasein!" nicht nur für Kinder||
Anlässlich der Darmstädter Ferienkurse - ein fester Termin für Liebhaber Neuer Musik - hat die Kunsthalle Darmstadt dem Künstler Alexander Tillegreen eine eigene Ausstellung gewidmet. Tillegreen hat fünf Klanginstallationen aufgebaut. Jede Installation ist mit einer bestimmten Farbe gekoppelt. Beim Wandern unter den Lautsprechern kann sich der Besucher sein eigenes Hörspiel zusammenstellen, in dem menschliche Stimmen in Maschinenklänge übergehen. Und zum Schluss stellt man fest, dass das eigene Gehör schärfer geworden ist.
Mario Scalla war so gefesselt, dass er gleich mehrfach durch dieselbe "Fluktuationen"-Installation ging.||
Zum Abschluss des Kultursommers Nordhessen spielte am Freitag in Kassel das Nationale Jugendorchester Rumäniens auf, das die aufstrebenden musikalischen Talente des Landes versammelt. Los ging es mit schwerer Kost: Alin Chelărescu, ein Absolvent der Bukarester Musikuniversität, hat zur Corona-Pandemie das Stück "Panicandemica" komponiert, zwölf beklemmende Minuten, die als "wilder Ritt" angekündigt wurden. Danach ging es fröhlicher weiter mit Francis Poulenc sowie der Großen Sinfonie in C-Dur von Franz Schubert. Insgesamt ein gelungener Abend.
Andreas Wicke erlebte einen gelungenen Abschluss des Kultursommers Nordhessen.||
Die Heimatkrimis um den Polizisten Franz Eberhofer aus Niederkaltenkirchen sind inzwischen Kult. In der neuesten Folge "Rehragout-Rendezvous" streikt Oma, die nicht mehr für die Familie kochen und in eine Frauen-WG ziehen will. Susi wird stellvertretende Bürgermeisterin und kürzt Franz' Anstellung auf halbtags, damit der sich mehr um den Sohn Pauli kümmert. Franz hat derweil mit einem neuen Vermisstenfall zu tun, und da lässt eine Krähe auch noch ein menschliches Ohr fallen.
Daniella Baumeister konnte mit "Rehragout-Rendezvous" ihre Kenntnis bayerischer Schimpfwörter stark verbessern.||
Filme mit Katzen gehen immer, so lautet anscheinend die Grundregel, nach der die sozialen Netzwerke funktionieren. Der Dokumentarfilm "Cat Daddies" von Mye Hoang geht weit darüber hinaus. Er zeigt, dass auch Männer Katzen lieben können. Und die Katzen in diesen Film sind nicht nur Wesen, die den ganzen Tag verschlafen und dann ihrer Wege gehen. Diese Katzen haben sich ihre Menschen ausgesucht, unterhalten eine Beziehung zu ihnen und haben manchmal sogar ihr Leben gerettet. Ein Film, nicht nur für Katzenfans!
Hundebesitzer Ulrich Sonnenschein sieht nach dem Film "Cat Daddies" Katzen mit anderen Augen.||
Der Wettergott hatte ein Einsehen und spendierte einen warmen Sommerabend, als das senegalesische Orchester "Baobab" am Dienstag in der Reihe "Summer in the City" im Frankfurter Palmengarten auftrat. "Baobab" gibt es seit über 50 Jahren und hat sich zu einer der populärsten Bands Afrikas entwickelt. Das Orchester bezeichnet sich als Spezialist für alle Stile und wirklich: Sie singen auf Wolof, Spanisch und Französisch; der kubanische Einfluss ist unüberhörbar; sie spielen aber auch internationalen Pop oder westafrikanische Griot-Musik.
Mario Scalla erlebte mit "Baobab" eine der großen Bands Afrikas.||
In einem Teelöffel Boden stecken Millionen von Organismen, die ein verwobenes Ökosystem bilden. Für Fotografen ist es eine Herausforderung, davon zumindest eine Ahnung zu vermitteln. Die Kunststiftung der DZ Bank sammelt in der Hauptsache Fotografien und hat aus ihrem Fundus jetzt die Ausstellung "Erde: Verwobenes Leben" zusammengestellt. Von leuchtend roten Fliegenpilzen über geschmolzene Vulkanasche bis hin zu den Buchen der Insel Rügen reicht das Spektrum der Aufnahmen.
Gudrun Rothaug fand in der Ausstellung "Erde: Verwobenes Leben" der DZ Bank ein schwieriges Thema adäquat umgesetzt.||
Das Rheingau-Musik-Festival hat eine neue Spielstätte aufgetan: das kING, so heißt die Kultur- und Kongresshalle Ingelheim. Dort spielte am Samstag ein Top-Trio um die Cellistin Sol Gabetta mit Veronika Eberle an der Violine und Antoine Tamestit an der Viola. In dieser Zusammensetzung hatten die drei noch nie zusammengespielt, und man merkte, wieviel Spaß sie dabei hatten. Das Programm war anspruchsvoll, doch die Akustik im Großen Saal des kING hat den Härtetest mit Bravour bestanden.
Imke Turner kehrte von einem Konzertabend mit Sol Gabetta in Ingelheim beglückt zurück.||
Die Kunsthalle Jesuitenkirche in Aschaffenburg zeigt Malerei der Leipziger Schule, "Leidenschaftlich Figurativ – Die Sammlung Fritz P. Mayer": 70 Werke mehrerer Generationen von Künstlern, zwischen den 1950er und 2010er Jahren im Osten Deutschlands entstanden: Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke, Gründungsfiguren der Leipziger Schule; Bernhard Heisig, Arno Rinck, Michael Triegel, Willi Sitte - allesamt Männer, ihre Bilder allesamt in hoher handwerklicher Qualität. Eine Schau, wie sie noch nicht im Westen zu sehen gewesen sein dürfte, überraschend, anrührend, spannend - auf nach Unterfranken!
Stefanie Blumenbecker ist in Aschaffenburg zum Staunen gebracht worden||
Mozart von einem kubanischen Orchester, das geht, und nicht etwa weil das "Havana Lyceum Orchestra" beim Rheingau-Musik-Festival Mozart auf kubanisch gebürstet hätte. Seine Serenade Nr. 6 D-Dur klang hier sogar frischer als gewohnt, vermutlich weil das Orchester im Stehen spielte. Präsentiert wurde der Abend von der Hornistin Sarah Willis, die mit ihrem für die kubanische Musik ausgefallenen Instrument neue Klangfarben in die kubanische Musik gebracht hat.
Imke Turner kehrte mit leuchtenden Augen vom Konzert mit dem "Havana Lyceum Orchestra" zurück.||
Der Film "Geschlechterkampf" von Sobo Swobodnik lässt sich schwer in eine Schublade einordnen: Ist das nun Fiktion, Dokumentation oder ein Essay-Film? Mit 42 Jahren hat die Schauspielerin Marga (Margarita Breitkreiz) den Höhepunkt ihrer Filmkarriere erreicht, und die Angebote, die sie nun bekommt, sind nur noch zum Heulen. Sie beschließt, den Kampf mit der patriarchalen Ordnung aufzunehmen. Dazu gibt es Zitate quer durch die Geschichte der Frauenbewegung sowie Kommentare, die Margarita Breitkreiz direkt in die Kamera spricht.
Ulrich Sonnenschein ließ sich vom Film "Geschlechterkampf" intellektuell herausfordern.||
Die Markuskirche in Eltville-Erbach bot bei den Burghofspielen Rheingau den stimmigen Rahmen für einen Auftritt des Vokalensembles "StimmGold". Die drei Sängerinnen und drei Sänger nahmen sich im 150. Geburtsjahr von Max Reger vor allem dessen Lieder an, hatten aber auch Musik aus der Renaissance im Programm. Die sechs singen mit einer Perfektion, als kämen die Stimmen aus einem Körper, der weitestgehende Verzicht auf Vibrato erzeugt einen reinen Klang.
Meinolf Bunsmann lobt den Klang des Vokalensembles "StimmGold".||
Am Sonntag traten auf der Parkbühne Wilhelmsbad zehn Hanauerinnen und Hanauer auf, die Texte von Karl Valentin vortrugen. "Gut, dass Hitler nicht Kräuter heißt, sonst müsste man ihn mit 'Heil Kräuter' grüßen!" Dieser Witz von Karl Valentin ist auch heute noch ohne Weiteres verständlich, aber das gilt nicht für alle Texte, die inzwischen oft hundert Jahre auf dem Buckel haben. Der Sprachgebrauch hat sich gewandelt, Valentins Situationskomik funktioniert jedoch noch immer. Aus seinen Texten schöpften spätere Komiker wie Loriot, Gerhard Polt und Helge Schneider.
Mario Scalla analysiert, inwiefern der Humor von Karl Valentin heute noch funktioniert.||
Wer glaubt, in der Malerei sei schon alles erfunden worden, hat die Bilder von Philipp Fürhofer im Städel noch nicht gesehen. Fürhofer malt auf Glas sowie auf dessen Rückseite und platziert die Scheibe dann in einem Leuchtkasten. Ein halbdurchlässiger Spiegel sorgt dafür, dass das Motiv nur zu sehen ist, wenn im Leuchtkasten das Licht angeht. Sonst sieht man nur sich selbst im Spiegel. Mit dem ganzen Aufwand erzielt Fürhofer einen verblüffenden Effekt: "Phantominseln" erscheinen, in denen als Memento mori menschliche Körperteile versteckt sind. Und dann sieht man nur wieder sich selbst.
Stefanie Blumenbecker entdeckte im Städel-Museum eine neue Art der Malerei.||
"L'Immensita" ist der Film, den Regisseur Emanuele Crialese schon immer drehen wollte, aber nur mit Penelope Cruz. Die spielt Clara, die in den 1970er Jahren mit ihrer Familie eine Neubauwohnung in Rom bezieht. Aber die äußeren Umstände täuschen darüber hinweg, dass ihr Mann sie misshandelt. Und dann fängt Tochter Adriana auch noch an, sich überall als Andrea vorzustellen - in Italien ein Jungenname.
Daniella Baumeister erlebte mit "L'Immensita" großes Kino||
Die angereiste Prominenz bei den Richard-Wagner-Festspielen bekam zwei sehr unterschiedliche "Parsifal" zu sehen, je nachdem ob sie eine Brille trug oder nicht. Wer eine der 330 "Augmented Reality"-Brillen ergattern konnte, dem flogen allerlei Getier und sogar Handgranaten um den Kopf. Wer ohne Brille dasaß, musste dafür leiden: Wegen der Brillen konzentrierte sich das Spielgeschehen im Zentrum der Bühne, die Szene war viel zu hell ausgestrahlt, und "Parsifal" machte seinem Ruf als Stehoper alle Ehre. Die Musik jedoch -- allen voran Elīna Garanča als Kundry -- entschädigte für mangelnde Durchsicht.
Natascha Pflaumbaum hörte eine überragende Elīna Garanča in Bayreuth||
Millionen von Menschen haben mit den Bildern von Gabriele Lorenzer schon ganze Nachmittage verbracht, denn Lorenzer ist die Fotografin der Motive im klassischen Memory-Spiel. Das Institut für Neue Technische Form in Darmstadt hat der 2017 verstorbenen Fotografin nun eine Ausstellung gewidmet. Lorenzer hat für Bilderbücher für Kinder im Vorschulalter fotografiert und wurde Hausfotografin der Zeitschrift "Öko-Test". Hier gelang es ihr, zu den häufig deprimierenden Testergebnissen Bilder zu finden, die schmunzeln lassen.
Mario Scalla über eine Fotografin, deren Bilder jeder schon einmal gesehen hat||
Wenn der Gewinner des härtesten Klavier-Wettbewerbs der Welt - des Chopin-Wettbewerbs in Warschau - Bruce Liu zum Klavierabend lädt, sind die Erwartungen natürlich hoch gespannt. Der Kanadier chinesischer Abstammung bot beim Rheingau-Musik-Festival auf Schloss Johannisberg ein Programm mit Bach, Beethoven, Chopin sowie Kapustin. Und je länger er spielte, desto enthusiastischer reagierte das Publikum. Vor allem beim modernsten Stück des Abends genoss Liu sichtlich das Spiel.
Meinolf Bunsmann gefiel der Pianist Bruce Liu je länger, je besser||
"Barock am Main" gastiert in diesem Sommer im Hof der Höchster Porzellan-Manufaktur. Wie immer gibt's Komödien von Molière, ins Hessische übertragen von Rainer Dachselt: Die Gesichter blass geschminkt, die Kostüme üppig, die Bühne schlicht, der Witz bitterböse und die Tiraden in derbem Hessisch. Geschimpft und gezetert wird hier auf Herrn Krall, den Geizigen, Michael Quast in Hochform, der Zärtlichkeit nur für sein Gold hegt und keinem etwas gönnt, nicht einmal Kindern, die ihn dafür als "Sparbrötsche" und "Groschepetzer" verhöhnen. Dienerin Georgette, lustvoll gespielt von Ulrike Kinbach, lüftet das Geheimnis des Geizkragens, sie ist die einzige, die keine Angst vor ihm hat. "Der Geizige" ist perfektes Volkstheater, Sarah Groß hat wieder Regie geführt, viele Rollen neu besetzt - und liefert einfach gute Unterhaltung für laue Sommerabende.
Esther Boldt lernt Hessisch - mit einem Franzosen!||
Die US-amerikanische Pianistin brachte zum Rheingau Musik Festival Chopin und Rachmaninow mit. Die berühmten 24 Préludes des gebürtigen Polen spielte sie jedoch nicht in der "heiligen Abfolge", sondern mischte einige des Russen darunter - und überraschte und begeisterte damit das Publikum. Eine interessante Anordnung, weil man im direkten Vergleich besser Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Komponisten feststellen kann. Hier der sparsame Chopin, der in acht Takten alles sagt, dort der ausschweifende Rachmaninow, der seinen Chopin mindestens kennt. Claire Huangci eilt durchs Programm, spielt beinahe nahtlos, arpeggiert meisterfach so manchen breiten Akkord - und schlägt mit dieser Auswahl und ihrer stupenden Technik alle in den Bann.
Meinolf Bunsmann hat mit geschlossenen Augen anders gehört als mit geöffneten||
Frankfurt und Offenbach im Zeichen des internationalen Theaters: Mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler bei 286 Veranstaltungen prägten das Festival, das die Japanerin Chaiki Soma künstlerisch leitete und mit vielen japanischen Produktionen bereicherte. Bei der Frage, "Was ist Theater heute?" sollte das Publikum oft handeln, die Geschichte mitbestimmen - es gab in den Performances nicht immer Schauspieler, es gab Stücke, die auf sehr eigene Art mit Video und Animation umgingen, auch mit der Darstellung des Unerträglichen. Beispiel: Der Mord an drei Frauen in Brasilien: Grenzüberschreitungen von Performerin Carolina Blanchi, die kaum auszuhalten waren, die man nicht so einfach wegstecken kann - und die die Frage übriglassen, ob Theater wirklich so wirklich sein muss.
Ursula May hat sich viele Stücke bis zum Ende angesehen, auch wenn es oft schwerfiel||
Die Ausstellung beleuchtet einen Aspekt der bundesdeutschen Filmgeschichte, der weitgehend unbekannt ist. Sie erzählt von jüdischen Filmschaffenden, die mal am Rande, mal im Zentrum der Filmproduktion in der Bundesrepublik stehen. Sie geht auf die brüchigen Lebenswege von Stars wie Lilli Palmer (Bild) und Peter Lorre ein und zeichnet die Auseinandersetzungen mit der bundesdeutschen Gesellschaft von Filmproduzenten wie Artur Brauner und Filmregisseur:innen wie Imo Moskowicz, Peter Lilienthal und Jeanine Meerapfel nach. Die Ausstellung basiert auf jahrelanger Forschung der Filmwissenschaftler:innen Lea Wohl von Haselberg und Johannes Praetorius-Rhein, die auch ihre Arbeit aus dem Forschungsnetzwerk “Deutsch-Jüdische Filmgeschichte” einfließen lassen.
Ulrich Sonnenschein hat die Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt gesehen||
"Goodbye, Martin Grubinger!" liest man auf der Homepage des Rheingau Musik Festivals. Denn der Fokus-Künstler verabschiedet sich bald von der Bühne – mit gerade mal 40. Das mag der Lautstärke geschuldet sein, die er produziert, seiner Präzision, seiner anstregenden Spielfreude - eines der letzten Konzerte jedenfalls zeigte erneut einen Ausnahmekünstler auf dem Hochplateau. Percussion plus Orchester, das haut hin: Wir hören Spezialitäten wie Taikotrommeln, das baskische Txalaparta-Xylophon, Bongos, Tomtoms, Congas, Pauken und Trommeln - ob Steve Reich, ob Fazil Say, Xenakis, Koday oder John Corigliano - Grubinger ist stets präsent und dominiert den Abend. Er stellt seine Mit-Percussionisten und die Kammerphilharmonie Bremen in den Schatten - hinter einem so großen Baum wächst so schnell nichts nach!
Meinolf Bunsmann erlebte fast drei Stunden getrommelten Klangrausch||
1996 begann ein neues Zeitalter des Blockbusterkinos im Zeichen der Weltrettung: Brian de Palma drehte mit Tom Cruise zum ersten Mal die unmögliche Mission des Agenten Ethan Hunt. 2023 ist die Welt noch nicht (ganz) zerstört, aber sie muss natürlich auch jetzt wieder gerettet werden. Tom Cruise ist stolz drauf, dass er die Stunts weitgehend selbst macht. Er ist zwar keine 30 mehr, sondern 61, hat sich echt gut gehalten und reiht einen extremen Sprung an den anderen. Da fliegt der Orient-Express durch die Luft, Brücken müssen dran glauben und ein untoter Geist verwandelt sich Dank KI. Kompliziert ist das nicht, auch nicht langweilig. 2024 wird es einen weiteren Cruise geben. Im Auftrag seines Publikums.
Daniella Baumeister ist Fan der Reihe. Das gibt sie unumwunden zu. ||
Das experimentelle Musiktheaterstück "Chornobyldorf" des ukrainischen Ensembles Nova Opera von 2020 ist zu Gast beim Festival Theater der Welt. Der Bilderreigen in sieben Akten ist voller historischen Verweise, christlicher Symbolik und griechischer Mythologie - mit archaischen Bildern wird im Gestern das Morgen gesucht, das erinnert an "Star Wars"-Filme der 1970er. Vier Musiker weben einen dichten, elektronisch verstärkten Klangteppich. Aber es werden nicht - wie erwartet - Bilder einer möglichen künftigen Gesellschaft entworfen, sondern bekannte Versatzstücke zusammengesetzt, teils beeindruckendend, oft aber klischeehaft: Fremde Rituale, banale Geschichten von träumenden Mädchen und versprochenen Reisen. Das zieht sich bildverliebt teilweise kaugummiartig in die Länge - unserer Frau im Bockenheimer Depot schien es, als ob den beiden Komponisten Regieerfahrung fehlt, um ihre Einfälle zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen.
Esther Boldt fragte sich, ob Inhalte nicht wichtig sind, nur der Sound?||
So geht die Sage vom Drachentöter: Siegfried liebt Bru/ü/ynhild, entführt sie nach Worms an den Nibelungenhof, wo sie Gunters Frau wird. Kriemhild liebt Siegfried, heiratet ihn und ist schuld an seinem Tod, denn sie verrät die Stelle, an der er verwundbar ist. So weit, so wirr, wird das in Worms alle Jahre wieder erzählt. Regisseurin Pinar Karabulut unterläuft 2023 alle Erwartungen an ein Freilichttheater: Erfrischend trashig, zeitgeistig, mit glitzernder bunter Oberfläche und nicht allzu viel Tiefenschärfe für die Figuren. Die sehr junge Schauspielerin Lena Urzendowsky spielt die Brynhild als eine Art Glamourgirl, eine gewagte und gute Anti-Heldinnen-Besetzung! Ein sehr kluges, feministisches, auch pazifistisches Drama der vielfach ausgezeichneten Theaterautorin Maria Milisavljević - für ein offenes Publikum ideal.
Ursula May empfiehlt diese aktuelle Interpretation der Sage bei den Festspielen||
Le Vin Herbé, der Zaubertrank, des Schweizers Frank Martin von 1942 erntet in Frankfurt viel Applaus. Die tragische Handlung gleicht Wagners "Tristan und Isolde" - ist musikalisch aber Gegenprogramm: Nicht vier Stunden, sondern knapp zwei, kein Riesenorchester, sondern sieben Streicher plus Klavier. Die Musik teils sehr archaisch, teils sehr modern, auch 12-Ton-Reihen, dann immer wieder tonale Klänge. Die passend sparsame Inszenierung von Tilmann Köhler, das geometrische, beeindruckende Bühnenbild von Karoly Risz und ein Chor, der vereinzelt aus 32 Logen singt, Chapeau!, ergeben ein Stück, das sich kennenzulernen lohnt. Bei den Solisten und Solistinnen überzeugen die lyrischeren Stimmen mehr, bei Tristan und Iseut bleiben Wünsche offen, zu viel Vibrato im Sopran, zu kraftvoll der Tenor. Dennoch: Diese Rarität sollte man sich nicht entgehen lassen!
Viel Lob und etwas Tadel unseres Kritikers Meinolf Bunsmann||
Das Deutsche Romantikmuseum widmet der Schwiegertochter des Dichterfürsten zum 150. Todestag eine Ausstellung, die zeigt, wie sehr sie ihrer Zeit voraus war. Nur brave Hausfrau sein? Nein, sie liest viel, schreibt, diskutiert - und gibt eine Zeitung heraus, Titel "Chaos" (!), dort machen sich ausschließlich Frauen Gedanken - ohne, dass ihre Namen gedruckt werden. Sie nimmt sich alle Freiheiten, ein entschlossenes, emanzipatorisches Leben zu führen, sie wagt den Versuch feministisch zu denken und zu handeln. Dass das alles auf Widerstand stößt, regelrechter Hass und Rufmord-Kampagnen folgen, macht Ottilie von Goethe umso wichtiger für die Epoche der Romantik. Von wegen "schreckliches Beispiel, wie weit Eitelkeit und eine liebesieche Natur eine Frau herunterbringen können"!
"Wäre det nich wunderscheen?", "Es grünt so grün,...", "Ich hätt‘ getanzt heut‘ Nacht!" sind Ohrwürmer, die man von den Burgfestspielen gern mit nach Hause nimmt. Frederick Loewes unverwüstlicher Klassiker vom derben Blumenmädchen, das durch Sprach- und Benimmtraining zur umworbenen Dame aufsteigt, kommt in der Stadt an der Nidda konventionell kostümiert, aber umso frischer und frecher daher: 14 hellwache Darsteller, der hoch motivierte Chor BelVoce, ein kleines feines Orchester schnüren ein rundum gelungenes Gesamtpaket. Regisseur Christian Voss bringt Tempo in die Inszenierung, schnell sind Dialoge und Schritte; alle Beteiligten, vor allem Julia Steingaß als aufmüpfige Eliza und Markus Maria Düllmann als pedantischer Higgins leisten an 21 Abenden Großartiges: "Mein Gott, jetzt hat sie's!"
Die Oper "Die ersten Menschen“ von Rudi Stephan kommt nur selten auf die Bühne. Und hat eine besondere Verbindung zu Frankfurt, denn hier wurde sie 1920 uraufgeführt. Eine Dystopie um Themen, die sehr herausfordern: Inzest und Eifersucht - zwischen toten Bäumen schleicht ein einsamer Wolfshund als einziger Lebender durch diese tote Welt, eine kleine enge, begrenzte und komplett zerstörte Welt. Das erklingt wie im Rausch, etwa als Kain mit Gott hadert weil er ein wildes Weib sucht. Den Hinweis, dass diese Oper erst "ab 16" zu besuchen sei, möge man bitte ernst nehmen, ein schaurig-schöner Abschied von Sebastian Weigle bei einer Premiere am Pult des Opernorchesters.
Susanne Pütz hat sich von Musik und Handlung berühren lassen||
Zur Eröffnung der Bad Hersfelder Festspiele gab es den Klassiker, Shakespeares "König Lear". Mit Burgschauspielerin und TV-Star Charlotte Schwab steht aber keine Queen auf der Freiluftbühne, Männer- und Frauenrollen werden auch nicht umgekehrt, sondern Regisseurin Tina Lanik setzt ein großes Zeichen der Verehrung und gegen die Männer-Besetzungspolitik. Die Schwab ist ein Ereignis, wenn sie am Ende bar jeder Macht, verzweifelt, halb wahnsinnig und nackt durch die Heide irrt, in einem hautfarbenen Stoffkostüm samt Stoffpimmel. Bei dieser Schauspielerin war das berührend, weil sie die Nacktheit spielt. Die subtile Botschaft: Das Geschlecht ist ein Kostüm, eine Äußerlichkeit - es ist nicht der Körper, der über Macht und Ohnmacht entscheidet.
Hadwiga Fertsch-Röver rät: "Das war toll, das sollte man nicht versäumen!"||
Wir sind im Jahr 1969. Die Amerikaner auf dem Weg zum Mond , Professor Jones (Harrisson Ford, 81[!]) auf dem Weg in die Rente. Indy trifft auf den Nazi-Physiker Völler, in einem alten Zug voller Bomben, Granaten und noch mehr Nazis, und dann beginnt auch schon die atemlose Jagd durch Länder, Kontinente, Zeit- und Klimazonen - was anderes würden wir ja auch nicht erwarten. Die Schauspieler sind ausgezeichnet, die Stunts funktionieren, es fliegen reichlich Kugeln, Pfeile und Nazis; John Williams (auch schon 91) hat seinen Soundtrack noch mal wunderbar aufgepeppt und am Schluss bleibt die Hoffnung auf wahre Erkenntnis und das endgültig Gute in der Welt.
Daniella Baumeister hat sich trotzdem janz köstlich amüsiert||