Martin Parr: Glastonbury Tor, Somerset, England, 1975 - Auf einem Hügel steht ein Turm, daneben eine Kuh und zwei Menschen (Schwarzweißbild)

Das Fotografie Forum Frankfurt ist in diesem Jahr 40 geworden und zeigt anlässlich dieses Jubiläums eine Reihe von ausgewählten Ausstellungen. Jetzt wurde eine Schau des britischen Fotografen Martin Parr eröffnet – "Early Works". Gleichzeitig zeigt die Leica Galerie spätere Fotografien in Farbe. Skurrile Dokumente von Menschen in Landschaften - zeitlos, mit einzigartiger Ästhetik und zudem oft sehr witzig.

Die Bilder sind zwischen 1970 und 1985 entstanden. Martin Parr, der 1952 in Surrey geboren wurde, ist dafür bekannt Alltagssituationen zu dokumentieren, die das typische, absurde, und auch die hässliche Seite des Lebens zeigen. Entgleisungen des Geschmacks, aber auch das allzu menschliche. Er unter anderem in Indien und China fotografiert, die Ausstellung im Fotografieforum Frankfurt konzentriert sich aber in erster Linie auf die Aufnahmen, für die er auch berühmt ist, die Bilder des Alltags in England und Irland.

England und Irland in den 70er und 80er Jahren, was für eine Welt sehen wir da?

Eine schwarz-weiße. Parr, der gestern bei der Pressekonferenz anwesend war, sagte, er habe damals, als junger Mann geglaubt, schwarz-weiß wäre seriöser für einen Dokumentarfotografen. Für mich erscheinen diese Fotos in schwarz-weiß aber auch sehr weit weg, man schaut auf eine Welt, die es so nicht mehr gibt, eine Zeit, in der Männer und Frauen viel Wert auf ordentliche Kleidung und Frisuren legte, in der niemand Turnschuhe trug und die Frauen im mittleren Alter alle irgendwie gleich ausgesehen haben. Eine ferne Zeit, die sonderbar skurril wirkt und die mit einem liebevollen Blick festgehalten wurde.  

Was sind denn typische Motive?

Martin Parr liebt Menschen. Auf nahezu jeder Aufnahme sind Menschen zu sehen, meistens draußen, auf der Straße oder bei gesellschaftlichen Anlässen wie Gottesdienste, Hochzeiten, in Bars, beim Tanzen, auf Märkten, bei Prozessionen etc. Wenn man die Ausstellungsräume des Fotografieforums in der Braubachstraße betritt steht man als erstes vor einer Wand, die mit einem Motiv regelrecht plakatiert wurde: Eine eindrucksvolle Aufnahme von Männern und Frauen an einem Buffet, das anlässlich der gewonnen Bürgermeisterwahl 1977 in Todmorden ausgerichtet wurde. Die Männer alle mit Krawatte, die Frauen alle im Kostüm schaufeln mit großem Ernst ihre Teller voll, drängeln sich, greifen von hinten heran, dicht gedrängt. Er zeigt Menschen bei einem Pferderennen am Strand oder auch gerne wartend: auf die Königin (in England) oder auf den Papst (in Irland). Besonders schön fand ich die „Bird Watchers“, zwei ältere Paare, die in Gummistiefeln, Tweed-Jacket und mit Sandwiches auf dem Schoß durch große Ferngläser in den Himmel schauen, alle vier.

Das ist dann das typisch englische, thematisiert Martin Parr denn auch soziale Fragen, Arbeitslosigkeit, den Niedergang der Städte, der Industrie in den 70er Jahren?

Nur indirekt. Mir ist aufgefallen, dass man auf seinen Bildern eine nahezu rein weiße Gesellschaft sieht. Nur ganz vereinzelt tauchen schwarze Menschen auf, z.B. die Musiker einer Band im Tanzlokal, einmal eine pakistanische Familie. Es ist eine noch recht homogene Gesellschaft. Man sieht Arbeitersiedlungen und Hochhäuser in West-Yorkshire. Sie bilden aber nur den Hintergrund für eine Reihe Männer, nebeneinanderstehend, die einem Footballspiel zusehen. Oder für ein großes Festessen der Nachbarn draußen im Freien. Eine ganz besondere Rolle spielt auch das Wetter. Eine ganze Serie heißt „Bad Weather“ und zeigt die Anpassungsfähigkeit der Menschen auf dieser nassen Insel zwischen Atlantik und Nordsee. Regen, Schnee und Nebel sind eigene Protagonisten, kann man sagen.

Hat die Ausstellung gefallen?

Absolut. Martin Parr ist einer der bekanntesten britischen Fotografen. Viele seiner Aufnahmen sind ikonisch, der Mann, der einbeinig auf einer Leiter stehend, im Anzug die Fenster putzt, die Kirche im Nebel, mit hell erleuchteten Fenstern. Eine Kuh auf einer Anhöhe, neben ihr eine Frau sitzend, im Hintergrund der Kirchturm von Glastonbury. Martin Parr hat den Geschmack eines Landes eingefangen, seine Melodie. Vor allem die Frauen sind mir aufgefallen, mit ihren knapp über Knie langen Röcken, die Handtaschen, die Schuhen mit den kleinen Absätzen, den dicken Waden und den Topffrisuren und den Kopftüchern. Es ist alles „very british“, oft muss man vor den Bildern schmunzeln, manchmal laut auflachen. Man bekommt unheimlich Lust noch mehr von diesen Bildern zu sehen und das kann man! Im Fotografieforum Frankfurt liegt ein großer Bildband aus, der die frühen Arbeiten noch viel umfangreicher vorstellt und außerdem gibt es eine zweite Martin Parr Ausstellung - Martin Parr in Color, in der Leica Galerie im Großem Hirschgraben in Frankfurt. Diese wird heute Abend eröffnet. Beide Ausstellungen ergänzen sich und würdigen das Werk von Martin Parr umfangreich.


  • Martin Parr in Colour – Leica Galerie Frankfurt, Großer Hirschgraben 15 (ab 14.9.)
  • Martin Parr. Early Works , Schwarz Weiß - Fotografie Forum Frankfurt, Braubachstr. 30–32

Beide Ausstellungen sind bis Anfang Januar 2025 zu sehen.

Sendung: hr2-kultur, 13.9.24, 7:32 Uhr