Audio Heimkinder im Namen Gottes gequält und sexuell missbraucht
Triggerwarnung! Schilderung von Gewalt.
Im Film "Die Kinder aus Korntal" geht es um Missbrauch innerhalb der evangelischen Kirche der schlimmsten und übelsten Art, ein Film darüber, was Menschen den Schwächsten, den Kindern, antun - unter dem Schutz der Kirche und unter den Augen eines ganzen Ortes. Überlebende sprechen jetzt, ein halbes Leben später, und das ist wichtig und einfach verstörend.
"Manchmal habe ich mich gefragt, wie ich das überhaupt überlebt hab', dass ich heute offen und reflektierter drüber sprechen kann“, mit dieser Aussage eines Betroffenen beginnt dieser Film, und man ist sofort drin in einer unglaublichen Leidensgeschichte, die in einem evangelischen Kinderheim in Korntal stattgefunden hat, und die die Betroffenen ein Leben lang mit sich herumtragen.
Korntal ist eine beschauliche Kleinstadt in Baden-Württemberg, ab den 1950er Jahren werden in den Heimen der pietistischen Brüdergemeinde Hunderte Kinder physisch und psychisch gequält, geschlagen, sexuell missbraucht, in dunkle Keller gesperrt, zur Zwangsarbeit gezwungen, es sind vor allem Kinder ohne Eltern, also Kinder, die nirgendwo einen Rückhalt hatten.
Was ging da vor?
Offenbar haben die Erzieher, egal ob Mann oder Frau, wahl- und zügellos geprügelt, mit Kleiderbügeln, Reitgerten oder sogar mit der Bibel, und wenn man hört, wie eine Betroffene erzählt, wie sie als kleines Mädchen an Wochenenden von sogenannten Pateneltern ausgesucht, ausgeliehen und zuhause vom Mann vergewaltigt wurde, während die Frau zuschaute, dann macht das mehr als sprachlos. Und alles dann über viele Jahre. Für den Missbrauch in der Katholischen Kirche macht man ja gern den Zölibat verantwortlich, das ist mit dieser schrecklichen Geschichte aus der evangelischen Kirche wohl widerlegt.
Ist das denn niemandem aufgefallen?
Es fällt dieses Zitat: "Es war ein Vorzeigeobjekt für die Politik in Korntal, alles geschah im Namen Gottes und aus den Fenstern schauen mehr Pferde als Kinder auf dem Hof spielen…" Das Heim hatte einen super Ruf, man konnte dort sogar reiten, aber nicht als Kind. Noch verstörender als die sehr detailgenauen Schilderungen der Opfer sind Aussagen etwa vom damaligen Heimleiter, der sich und seine Angestellten als fortschrittlich und menschlich lobt, und vor allem von Korntalern, die heute noch sagen, man hätte nichts gesehen, nichts gewusst und vor allem man solle doch die Vergangenheit in Ruhe lassen und nach vorne schauen. Der Geistliche, der die Bruderschaft heute vertritt, und der weltliche Leiter nehmen bis heute nicht eindeutig Stellung. Detlev, eines der ersten Opfer, der aussagt, weil er es nicht mehr aushält und nur zwei Möglichkeiten sieht, Selbstmord oder Reden, wird im Dorf geächtet, er kriegt Drohbriefe und ich muss das zitieren: "Was willst du eigentlich, dein Arsch tut doch heute nicht mehr weh…"
Wird dieser Film etwas bewegen?
Das hoffe ich sehr. Regisseurin Julia Charakter hat sechs Opfer über Jahre begleitet, sie zeigt schonungslos Rückschläge, Verleumdungen, beharrliches Schweigen, schmerzliche Erinnerungen, rund 150 Opfer haben sich inzwischen gemeldet, über 80 Täterinnen und Täter sind ermittelt. Über Entschädigung wird jetzt auch gestritten, ein zynisches Argument kommt aus der Politik: Dieses Unrecht könne doch nicht mit Geld aufgewogen werden So kann dieser Film nur ein Anfang sein, Missbrauch im Namen des Herrn - und was passiert, wenn Menschen kene Opfer mehr sein wollen, ein Film, den wir alle sehen sollten bzw müssen.
"Das Land der 1.000 Weine" ist der zweite Film, heute - wohltuend, oder?
Ja, denn es ist ein Film für die Seele, und die braucht ein bisschen Aufhellung. Wasser ist für den Körper, Wein ist für den Geist, sagt eine Winzerin aus dem Rioja, und wo der herkommt und was er nicht nur für diese spanische Region bedeutet, das erzählt dieser Film.
Die Winzer erzählen: Die Traube ist göttlich, in den alten Weinstöcken steckt die Weisheit, im Glas ist die Essenz von allem, wie viele Gläser ermöglichen eine möglichst lange Unterhaltung, man stößt auch an, dass es im Jenseits gut geht, ohne das gefüllte Glas würde man viele Menschen gar nicht erst kennenlernen, Wein macht einfach glücklich.
Wer die Faszination Wein verstehen will, ist demnach im Rioja bzw in diesem Film richtig?
Unbedingt. Seit dem Römischen Reich leben die Menschen hier im Einklang mit der Natur mitten in den Weinbergen. Regisseur José Luis López-Linares ist auch Kunstgeschichtler, das sieht man diesem Film an, er erzählt von Winzern, deren Familien seit Jahrhunderten die Weinberge kultivieren, vom Frauenkollektiv, das sich um solidarische Wege der Produktion und Vermarktung bemüht, vom Sternekoch, der nach der perfekten Verbindung zwischen Essen und Trinken sucht. Alles das macht der Film zu einer universellen Kulturgeschichte.
Ich habe vielerfahren über Kalkboden, Trauben, die mit nackten Füßen gestampft werden, die Reblaus, die Existenzen zerstört, Reben, die Existenzen seit Generationen sichern, je weniger Technologie desto besser der Wein, wahnsinnig freundliche Menschen und viel Leidenschaft und Hingabe, über eine wunderschöne Gegend, in die man sofort reisen möchte und ein Kulturgut, das wie alle versichern, einfach berührt. Und das tut dieser Film auch, man kann ihn genießen wie ein Glas Rioja.
Sendung: hr2-kultur, 26.9.24, 7:30 Uhr