Am 8. März ist Weltfrauentag und dieser macht deutlich: zu einer wirklichen Gleichberechtigung zwischen allen Geschlechtern ist es noch ein weiter Weg. Das zeigen die aktuellen Diskussionen um Genderidentitäten, -stereotype und political correctness. Dabei sind die Streitpunkte schon sehr alt: Was bedeutet es eigentlich, weiblich, männlich, oder nichtbinär zu sein? Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts waren diese Fragen brisant.

In der Literatur des Fin de Siècle werden die Geschlechterbilder zu einem dominierenden Thema: Arthur Schnitzler bringt in "Der Reigen" die animalischen Kräfte der Liebe provokativ auf die Bühne; Thomas Mann widmet sich in seiner Novelle "Der Tod in Venedig" offen dem Thema Homosexualität. Und Virginia Woolfs Antwort auf die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts ist der Entwurf einer androgynen Existenz.

Seit den Neunzigerjahren bis in die Gegenwart werden (Cross-)Genderfragen wieder viel diskutiert: Man denke an Judith Butlers "Das Unbehagen der Geschlechter", Jeffrey Eugenides "Middlesex", zahlreiche Theaterstücke und Romane Elfriede Jelineks, die Fotografien der Konzept-Künstlerin Cindy Sherman oder an Filme wie "The Danish Girl". Doch wenn der Begriff des "Geschlechts" zunehmend fluide wird, was hat dies für Auswirkungen auf Rollenverständnisse und -zuschreibungen in unserer Gesellschaft? Wie wirkt sich dies auf Vater- oder Mutterbilder aus, auf religiöse Frauenbilder, die Machtstrukturen in Wirtschaft und Politik, die Definition von Begriffen, wie "Ehre" und das Zusammenleben in einer postmigrantischen Gesellschaft? Und wie drückt sich dieser Wandel in den Künsten aus?

Über diese und weitere Fragen diskutieren die Wiener Dramatikerin und Autorin Marlene Streeruwitz, der Anglist und Autor Jan Wilm sowie Anna Bergmann (Foto) und Anna Haas; es moderiert Beate Tröger. Die Veranstaltung fand im Rahmen des "Jugendstiljahrs Wiesbaden" statt.

Anna Bergmann ist Regisseurin und studierte außerdem Theaterwissenschaften, Anglistik und Philosophie. Am Badischen Staatstheater Karlsruhe wurde sie 2017 zur Schauspieldirektorin berufen und ist somit die erste Frau in dieser Position. Anna Haas ist ebenfalls am Badischen Staatstheater Karlsruhe, als stellvertretende Schauspieldirektorin und Dramaturgin. Bergmann, Haas und ihr gesamtes Team setzen sich für die Stärkung der Frau im Theaterbetrieb ein, so arbeitet Bergmann etwa ausschließlich mit weiblichen Regiekräften. Der Spielplan steht dabei ganz im Zeichen von Gendergerechtigkeit und Geschlechterbewusstsein.

Marlene Streeruwitz ist als Schriftstellerin und Regisseurin bekannt und gilt als eine der wichtigsten feministischen Stimmen der Gegenwart. Ihre scharfzüngigen und schonungslosen Essays, Reden und Beiträge prägen seit vielen Jahren den politischen wie feministischen Diskurs.

Jan Wilm studierte Anglistik und Amerikanistik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo er mit einer Arbeit über J. M. Coetzee promovierte. Als Literaturwissenschaftler arbeitete er in Darmstadt, Frankfurt und Essen. Er ist Autor, Übersetzer und Literaturkritiker. 2016 erschien von ihm das Buch "The Slow Philosophy of J. M. Coetzee". 2019 wurde sein Debütroman "Winterjahrbuch" veröffentlicht. Er übersetzte unter anderem "Die Argonauten" von Maggie Nelson. Jan Wilm lebt in Frankfurt am Main.

In der Kulturszene Hessen senden wir einen Mitschnitt der Veranstaltung vom 6. Februar aus dem Literaturhaus "Villa Clementine" in Wiesbaden.

Sendung: hr2-kultur, Kulturszene Hessen, 08.03.2020, 12:04 Uhr.
Wiederholung am 14.03.2020, 18:04 Uhr.