Es ist der - neben der allerdings unvollendeten "Lulu" - einzige wirkliche Opern-Welterfolg der avancierten Moderne, wovon der Komponist selbst überrascht war. Und es ist die bis dahin wohl schonungsloseste literarisch-musikalische Darstellung der gequälten und leidenden Kreatur, die schuldlos schuldig selbst zum Mörder wird.

Wozzeck - Christian Gerhaher
Marie - Anja Kampe
Hauptmann - Peter Hoare
Doktor - Brindley Sherratt
Margret - Rosie Aldridge
Tambourmajor - Clay Hilley
Andres - Sam Furness
1. Handwerksbursch - Barnaby Rea
2. Handwerksbursch - Alex Otterburn
Der Narr - John Findon

Chor und Orchester des Royal Opera House, Covent Garden
Leitung: Antonio Pappano

(Aufnahme vom 3. Juni 2023 aus dem Royal Opera House)

"Steckt doch auch ein Stück von mir in dieser Figur, seit ich ebenso abhängig von verhassten Menschen, gebunden, kränklich, unfrei, resigniert, ja gedemütigt, diese Kriegsjahre verbringe". Kurz nachdem Alban Berg den "Wozzeck" im Mai 1914 auf der Bühne gesehen und beschlossen hatte, eine Oper daraus zu machen, wurde er selbst zum Kriegsdienst eingezogen. Eine Erfahrung, die sicherlich prägend war bei seiner Einfühlung in den Soldaten Johann Christian Woyzeck, dessen wahrer Fall dem Dramenfragment von Georg Büchner zugrunde liegt. Die Namensverwirrung beruht übrigens auf der erstmals 1879 fälschlicherweise als "Wozzeck" herausgegebenen und gelegentlich entstellenden Ausgabe, die allerdings weitgehend auch der Oper zugrunde liegt.

Zur Uraufführung des 1922 vollendeten Werks kam es 1925 in der Berliner Staatsoper - der Komponist saß danach zerknirscht in der Ecke und fragte sich irritiert, ob das Stück trotz des Erfolgs gut sein könne. Was den "Wozzeck" so besonders macht, ist wohl das eigenartige Ineinander einer exzessiven formalen Durchkonstruktion auf der einen Seite und der expressionistisch überbordenden Sinnlichkeit und treffsicheren Schärfe der Charakterisierung im Klangbild - beides beruhend auf der analytisch-gnadenlosen Kompromisslosigkeit des Textes: schlicht der seltene und vermutlich seither kaum mehr auf diesem Niveau wiederholte Glücksfall eines literarisch-musikalischen Gipfeltreffens.

Christian Gerhaher ist unbestritten der Darsteller des Wozzeck, der der Figur wie kein zweiter in den letzten Jahren Profil verliehen hat, wobei ihm ganz sicher seine immensen Erfahrungen als Liedsänger zugute kommen. Nicht nur in London, auch beim Festival in Aix-en-Provence war er letzten Sommer in der Rolle zu erleben. Am Pult stand in "Covent Garden" der langjährige, aber scheidende musikalische Leiter des Hauses: Antonio Pappano. Nach über 20 Jahren am Royal Opera House wird er ab der Saison 2024/25 Chefdirigent beim London Symphony Orchestra.

Anschließend:
Bizet: Jeux d'enfants op. 22 (Klavierduo Yaara Tal und Andreas Groethuysen)
Mozart: Serenade D-Dur KV 320 "Posthornserenade" (Wiener Mozart-Ensemble / Willi Boskovsky)

Sendung: hr2-kultur, "Opernbühne", 20.01.2024, 20:04 Uhr.