Das Unheimliche und Gespenstische ist spätestens seit der Romantik auch auf der Opernbühne zuhause, selten aber kommt es als derart subtiler Horror daher wie in Brittens Kammeroper "The Turn of the Screw", wo am Ende niemand mehr sagen kann, was nun Einbildung und was Wirklichkeit war.

Governess - Miah Persson
Mrs. Grose - Laura Aikin
Miles - Benjamin Fletcher
Flora - Lucy Barlow
Quint / Tenor im Prolog - Andrew Staples
Miss Jessel - Allison Cook

Budapest Festival Orchestra
Leitung: Iván Fischer

(Aufnahme vom 9. September aus dem Müpa)

Nachdem Benjamin Britten 1945 mit "Peter Grimes" die englische Oper zurück auf die Bühnen der Welt gebracht hatte, schrieb er zwar noch zehn weitere Werke fürs Musiktheater, von denen aber keines an den großen Erfolg des "Peter Grimes" anknüpfen konnte. "The Turn of the Screw" entstand 1954 nach einer Novelle von Henry James und erzählt die Geschichte einer Gouvernante, die auf einem englischen Landsitz mit der Betreuung zweier Waisenkinder beauftragt wird. Diese Kinder stehen unter dem undurchsichtigen Einfluss eines auf mysteriöse Weise ums Leben gekommenen Paares - wohl ihren früheren Betreuern, deren Realität aber zweifelhaft bleibt.

Im Unterschied zur literarischen Vorlage haben Britten und seine Librettistin Myfanwy Piper diesen Figuren eine Stimme und einen Text gegeben, ohne dabei die geheimnisvolle Uneindeutigkeit aufzuheben. Britten hat die Oper in einen Prolog und zwei Akte zu je acht Szenen mit verbindenden Zwischenspielen unterteilt, wobei praktisch das ganze Werk auf einer Zwölftonreihe aufgebaut ist, die in den Zwischenspielen jeweils variiert wird. Schon die Reihe ist allerdings deutlich tonal gestaltet, und das Werk klingt alles andere als "zwölftönig". Es zeigt uns den Komponisten hingegen - in kleiner Besetzung, aber mit reichem Instrumentarium - als Meister der musikalischen Charakterisierung, sowohl der Personen wie der Stimmungen.

Und wenn schon Henry James zu seiner Erzählung meinte, er habe lediglich versucht, eine Atmosphäre des Bösen zu schaffen, die jeder nach seiner eigenen Fantasie deuten könne, so bringt die musikalische Deutung Brittens eben jene Atmosphäre auf unheimlich-faszinierende Weise zum Klingen.

Anschließend:
Verdi: Streichquartett e-Moll op. 68 (Artemis Quartett)
Mozart: Sinfonie A-Dur KV 201 (Orchestra Mozart / Claudio Abbado)

Sendung: hr2-kultur, "Opernbühne", 26.11.2022, 20:04 Uhr.