Eine barocke Festoper aus dem Jahr 1791? Zudem nach einem reichlich antiquierten Libretto von Metastasio? Da kamen den Zeitgenossen, die eben noch "Don Giovanni" und dem "Figaro" zugejubelt hatten, doch einige Bedenken. Und dem Komponisten vermutlich auch.

Tito - Matthew Polenzani
Vitellia - Federica Lombardi
Sesto - Kate Lindsey
Servilia - Slávka Zámečníková
Annio - Patricia Nolz
Publio - Peter Kellner

Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Leitung: Pablo Heras-Casado

(Aufnahme vom 4. September 2023 aus der Staatsoper)

Wieso sich Mozart während der Arbeit an der "Zauberflöte" überhaupt auf den Auftrag einließ, ist klar: er brauchte das Geld. Anlass der Huldigungsoper war die Krönung Kaiser Leopolds II. zum böhmischen König im September 1791 in Prag, wo der Komponist in den vorangegangenen Jahren seine größten Erfolge gefeiert hatte und als geeigneter Kandidat erschien für das Projekt.

Mozart und sein Librettist Caterino Mazzolà versuchten, dem angestaubten Textbuch - das seit 1734 schon etwa sechzig Komponisten in der Hand hatten - etwas neues Leben einzuhauchen, indem sie das starre Opera seria-Korsett von Rezitativ und Arie mit Ensemble- und Chorsätzen auflockerten, stark kürzten und die dramatischen Aspekte in den Vordergrund rückten, was ihnen vor allem in den Finali der beiden Akte auch gelang. Trotzdem bleibt der Protagonist eine etwas blasse, blutleere Gestalt, die nie agiert, sondern immer nur reagiert, und deren Tugendhaftigkeit vielleicht allzu sehr zelebriert wird - dem Anlass des Ganzen ja durchaus angemessen.

Die Uraufführung im Prager Nationaltheater war zunächst kein großer Erfolg, dann aber entwickelte sich die Oper - aus heutiger Sicht etwas überraschend - neben dem "Don Giovanni" und der "Zauberflöte" zum meistgespielten Werk des Komponisten. Gegen 1820 verschwand das Stück allerdings praktisch komplett von den Spielplänen.

In Wien stand "La Clemenza di Tito" nun zum diesjährigen Saisonstart auf dem Programm, in einer gut 15 Jahre alten Inszenierung von Jürgen Flimm. Das vorzügliche Sänger-Ensemble war komplett neu, alle gaben hier ihr Rollendebüt, am Pult stand wieder einmal Pablo Heras-Casado, inzwischen ein Dauergast in der Staatsoper: gerade hat er seinen Monteverdi-Zyklus abgeschlossen, zudem dirigiert er aktuell auch noch Ligetis "Grand Macabre".

Die Regie setzte damals wie heute keine wirklich erhellenden Akzente, vermutlich kann man dem fast schon penetranten Gutmenschen Titus in unserer Zeit nur noch mit einem deutlich drastischeren Ansatz beikommen. Denn so recht ist der Glaube nicht mehr da an Voltaires Fazit, Metastasios Stück sei "eine ewige Lehre für alle Könige und ein Entzücken für alle Menschen". Zumindest das letztere aber dürfte bei Mozarts Musik - auch bei dieser Oper - bis heute stimmen.

Anschließend:
Massenet: Fantasie für Violoncello und Orchester (Martin Ostertag / Radio-Symphonie-Orchester Berlin / Roberto Paternostro) 
Bach: 4. Englische Suite F-Dur BWV 809 (Murray Perahia, Klavier)

Sendung: hr2-kultur, "Opernbühne", 06.01.2024, 20:04 Uhr.