Wenn ein Dichter ein Libretto zu einer Oper schreiben soll, und ihm nichts einfällt, kommt eine herumziehende Zigeunertruppe, die nahende Ankunft eines türkischen Prinzen und eine fremdgehende italienische Ehefrau als Inspiration gerade recht. Und schon kommt die Handlung in Gang, und Rossini sorgt dafür, dass die spritzige Komödie in der Komödie ein nicht-enden-wollendes Vergnügen bereitet.

Fiorilla - Lisette Oropesa
Geronio - Misha Kiria
Selim - Alex Esposito
Narciso - Edgardo Rocha
Prosdocimo - Florian Sempey
Zaida - Olga Syniakova
Albazar - Pablo Garcia Lopez

Chor und Orchester des Teatro Real
Leitung: Giacomo Sagripanti

(Aufnahme vom 6. Juni 2023 aus derm Teatro Real)

1814 kam "Il turco in Italia" nach einem Text von Felice Romani in der Mailänder Scala erstmals auf die Bühne. Es war zunächst nur ein mäßiger Erfolg, wohl auch, weil das Publikum es irgendwie für einen Aufguss der kurz zuvor in Mailand wieder aufgeführten "Italienerin in Algier" hielt. Was aber weder inhaltlich noch musikalisch stimmte: denn Rossini hatte so gut wie alles neu komponiert, und abgesehen von der Ähnlichkeit des Titels überraschte der "Turco" mit einer zwar nicht gänzlich neuen, aber glänzend umgesetzten Idee des Theaters im Theater.

Der durch das Werk irrlichternde Dichter - der übrigens keine einzige Arie singt - beobachtet und kommentiert das Geschehen, das ja seine künftige Handlung sein soll. Und auch die Beteiligten werfen gelegentlich ein kritisches Auge auf die ihnen zugedachte Rolle, die sie ja schon verkörpern. Genaugenommen ist das Ganze ein Geniestreich des jungen Felice Romani - der später für Donizetti und Bellini fast alle bedeutenden Textbücher schreiben sollte - auch wenn er dabei auf ein schon älteres Libretto von Caterino Mazzolà zurückgriff.

Für die sich durch die Anlage ergebende ironische Brechung war Rossini natürlich genau der richtige Mann: gerade der turbulent-wirbelige erste Akt gehört mit seiner punktgenauen Charakterisierung und Karikierung mit zum Besten, was Rossini überhaupt im Bereich der Opera buffa geschrieben hat. Die Ensembles spielen hier eine größere Rolle als in jedem anderen Stück des Komponisten. Und auch wenn es immer wieder zu ergreifenden, "seriösen" Einlagen kommt, so ist "Il turco in Italia" doch über weite Teile ein wundervolles, gelegentlich geradezu satirisches Fest der Klischees, inhaltlich wie musikalisch, und nicht zuletzt gerade deshalb so unglaublich unterhaltsam.

In der sehr gelungenen, schlicht-raffiniert auf die 1950er Jahre anspielenden Inszenierung von Laurent Pelly in Madrid war Lisette Oropesa als durchtriebene italienische Ehefrau sicherlich der Star des Abends. Ebenso glänzten aber Misha Kiria als einfältiger, aber irgendwie sympathischer, betrogener Ehemann und Alex Esposito als machohafter türkischer Prinz. Und Florian Sempey gab einen wunderbar verschmitzt-ironisch kommentierenden Dichter. Eine Aufführung mit hörbar großem Spaß für alle Beteiligten wie auch fürs Publikum.

Sendung: hr2-kultur, "Opernbühne", 14.10.2023, 20:04 Uhr.