Vom Frühlingsmorgen bis zum Frühlingsopfer: Das hr-Sinfonieorchester spielt Musik zum Frühling.

"D’un matin de printemps", "An einem Frühlingsmorgen", heißt ein kurzes Orchesterstück der Französin Lili Boulanger. Als sie das lebenssprühende Werk 1918 für Orchester bearbeitet hat, war sie selbst bereits dem Tod geweiht. Mit nur 24 Jahren erlag sie kurz darauf einer langjährigen Morbus Crohn-Erkrankung – fünf Jahre, nachdem sie in Paris den begehrten Kompositionspreis "Prix de Rome" gewonnen hatte, als erste Frau überhaupt.

"La primavera" oder "Der Frühling" ist das erste Violinkonzert in dem Zyklus "Die vier Jahreszeiten" übertitelt, die Antonio Vivaldi 1725 in eindrückliche Tonbilder gesetzt hat. Zugrunde liegen Sonnette, die er vermutlich selbst gedichtet hat. Und so lässt er im "Frühling" Vögel zwitschern, man hört das friedliche Plätschern von Quellen, sanft weht der Wind durch die Szenerie – bis ein heftiger Aprilwetter-Sturm losbricht. Der zweite Largo-Satz ist das Klangportrait eines schlafenden Hirten, im finalen Allegro tanzen dann Nymphen und Schäfer miteinander – wobei Vivaldi hier offenbar die Borduntöne eines Dudelsacks im Ohr hat.

Allerhand Bräuche gibt es zu dieser Jahreszeit – und dazu gehört im heidnischen Russland auch ein Opfer-Ritual: Dem Frühlingsgott musste ein Menschenopfer gebracht wrden. So zumindest haben das Igor Strawinsky und der Bühnenbildner Nicholas Roerich alten Volksliedern entnommen, die Strawinsky 1911 in einer russischen Künstlerkolonie entdeckt und gesammelt hatte. Vorlage für das Ballett "Le sacre du printemps", das 1913 erstmals im neu erbauten "Théâtre des Champs-Élysées" in Paris über die Bühne ging – und einen der größten Skandale der Musikgeschichte auslöste. Aber wie das so ist mit Skandalen: Sie bleiben hängen – und Strawinsky wurde mit seinem "Frühlingsopfer" weltberühmt.

Boulanger: D’un matin de printemps (hr-Sinfonieorchester / Jonathan Stockhammer)

Vivaldi:
Konzert für Violine und Orchester E-Dur, op. 8 Nr. 1, RV 269 "La Primavera" (Nicola Benedetti, Violine / hr-Sinfonieorchester / Andrea Marcon)

Strawinsky: Le sacre du printemps (hr-Sinfonieorchester / Andrés Orozco-Estrada)

Mozart: Schon lacht der holde Frühling, KV 580 (Regula Mühlemann, Sopran / hr-Sinfonieorchester / Tarmo Peltokoski)

Respighi: Trittico Botticelliano. Triptychon nach Botticelli (hr-Sinfonieorchester / Alessandro de Marchi)

Strauss: "Frühling"/ "Beim Schlafengehen", aus: "Vier letzte Lieder" o. op., AV 150 (Anja Harteros, Sopran / hr-Sinfonieorchester / Andrés Orozco-Estrada)

Debussy: Printemps (Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks / Hermann Michael)

Am Mikrofon: Ursula Böhmer

Sendung: hr2-kultur, "Treffpunkt hr-Sinfonieorchester", 06.04.2024, 10:04 Uhr