Halb lustig, halb ernst - das ist schwierig. Und Bellinis "Sonnambula" gehört zu den wenigen "Opera semiseria", die das 19. Jahrhundert überlebt haben. Fürs Drama sorgt dabei die Schlafwandlerin mit ihren nächtlichen Spaziergängen ebenso wie für die Rückkehr zur heiter-bukolischen Idylle.

Amina - Nadine Sierra
Elvino - Xabier Anduaga
Rodolfo - Roberto Tagliavini
Lisa - Rocío Pérez
Alessio - Isaac Galán
Teresa - Monica Bacelli
Notar - Gerardo López Gámez

Chor und Orchester des Teatro Real
Leitung: Maurizio Benini

(Aufnahme vom 23. Dezember 2022 aus dem Teatro Real)

"Im zweiten Akt weinten selbst die Sänger und trugen ihre Zuhörer mit sich, so dass während der lustigen Karnevalszeit dauernd in den Logen und auch im Parkett Tränen getrocknet werden mussten." Auch Michail Glinka saß 1831 schwer ergriffen im Mailänder Teatro Carcano und lauschte Vincenzo Bellinis fein gesponnenen Kantilenen - die "Sonnambula" gilt nicht umsonst als das musikalisch einheitlichste, klangsinnlichste und wohl auch empfindsam-elegischste Werk des Komponisten. Wie bei fast allen wichtigen Opern Bellinis hatte wieder Felice Romani das Libretto geliefert - wie gewohnt spät, so dass nur zwei Monate für die Fertigstellung blieben.

Das Sujet beruht auf einer 1827 entstandenen Ballettpantomine von Eugène Scribe, wobei die Handlung aus der Provence in die Schweizer Berge verlegt wurde. Die auf die bevorstehende Hochzeit eingestellte ländliche Unbeschwertheit kippt dabei durch einen vermeintlichen Seitensprung der Braut noch vor dem Ja-Wort ins Ungemütliche. Und der Gegensatz zwischen der Naivität der Dorfbewohner - mit ihrer Furcht vor der geheimnisvollen Erscheinung - und der Aufgeklärtheit des adeligen Fremden - der Teil des unterstellten Fehltritts ist, aber dann immerhin für die Lösung des Konflikts sorgt - bringt einen weiteren Riss im heimeligen Alpenpanorama mit sich.

Die katalanische Regisseurin Bárbara Lluch glaubte in ihrer Madrider Inszenierung weder an die ländliche Idylle noch an das versöhnliche Ende - was manchen gefiel, manchen weniger. Einhelligen Beifall aber bekam das grandiose Liebespaar: die inzwischen zu Recht zur Weltspitze zählende amerikanische Sopranistin Nadine Sierra, die im Teatro Real mit der Rolle der Amina ihr Debüt gab, und der noch nicht so bekannte junge spanische Tenor Xabier Anduaga, der in dieser Saison auch an der New Yorker Met erstmals gefeiert wurde. Ein Sänger, von dem noch zu hören sein wird.

Anschließend:
Shor: Verdiana (Asya Fateyeva, Saxophon / Württembergisches Kammerorchester / Ruben Gazarian)

Sendung: hr2-kultur, "Opernbühne", 01.07.2023, 20:04 Uhr.