Audio Qual und Wahn - Büchners "Woyzeck" als Alban-Berg-Oper
Am 14. Dezember 1925 wurde in Berlin die Oper "Wozzeck" von Alban Berg erstmals aufgeführt, die zu einem Meilenstein des modernen Musiktheaters werden sollte. Diese Uraufführung vor 100 Jahren war jetzt der Anlass für das Staatstheater Darmstadt Bergs Werk wieder auf den Spielplan zu setzen. Am Samstag war Premiere der Inszenierung von Intendant Karsten Wiegand.
Wie aktuell, wie frisch ist diese Oper noch?
Verglichen mit dem gängigen Opernrepertoire ist sie ja immer noch ziemlich jung, aber es ist schon erstaunlich, wie modern Alban Bergs Oper immer noch wirkt. Das hat zum einen mit der Musik zu tun, die in den 100 Jahren wenig von ihrer Neuartigkeit verloren hat und auch immer noch anspruchsvoll zu hören ist. Aber das hat natürlich auch mit dem Thema der Oper zu tun, dessen Vorlage ja noch einmal deutlich älter ist: Es ist Georg Büchners Fragment des "Woyzeck", in dem eine gequälte und sich quälende Person zum Mörder wird – auch das hat leider nichts an Aktualität verloren. Und nicht zuletzt hat das aber auch mit der Inszenierung von Karsten Wiegand zu tun, der die Handlung aus ihrem historischen Kontext herausnimmt.
Was geschieht diesem Woyzeck bzw. Wozzeck?
Wozzeck ist ein Soldat, der seinem Hauptmann dienen muss und von einem Doktor für Experimente benutzt wird. Der Doktor will, dass sich Wozzeck nur von Bohnen ernährt, um herauszufinden, was einseitige Ernährung mit dem Körper macht. Wozzeck nimmt das auf sich, weil er mit seinem kleinen Sold und dem Extra-Verdienst Marie unterstützt, mit der er einen unehelichen Sohn hat. Die hübsche Marie schwärmt für den stattlichen Tambourmajor und gibt dessen Werben schließlich nach. Durch den Hauptmann und den Tambourmajor erfährt Wozzeck von der Untreue Maries, außerdem verliert er mehr und mehr den Bezug zur Realität und meint seltsame Naturphänomen wahrzunehmen. Dann ersticht er Marie und im Wahn, das Messer möglichst weit in den See werfen zu müssen, damit es nicht gefunden wird, ertrinkt er schließlich selbst. – Soweit und so düster die Szenen Georg Büchners, die Alban Berg zu einer Oper in drei Akten zusammengefasst hat.
Und Alban Berg hat dafür eine avancierte Musik geschrieben…
Ja, Berg war ja Schüler von Arnold Schönberg und das war die Zeit, als viele Komponisten eine Musik gesucht haben, die jenseits der Dur-Moll-Tonalität neue Ausdrucksmöglichkeiten bietet. Auf der einen Seite hat Berg seiner Oper alte, bekannte Formen wie Ländler oder Passacaglia zugrunde gelegt, aber das war nur die Konstruktion. Darüber hat er eine sehr dichte, vielschichtige Musik geschrieben, für ein großes Orchester, das oft dissonant klingt, das aber auch ein sehr intensives Musikerleben ermöglicht. Wie gesagt, das ist anspruchsvoll, kann aber auch sehr packend sein, wie man jetzt in Darmstadt hören kann. Und das ist das Verdienst des Staatsorchesters Darmstadt und des Dirigenten Daniel Cohen, die diese komplexe Partitur sehr differenziert, aber auch sehr kraftvoll zum Klingen gebracht haben. Dazu kommen die Sängerinnen und Sänger, für die Berg verschiedene Ausdrucksformen vom Sprechen bis zum Singen vorgesehen hat.
Die Hauptrolle
Oliver Zwarg als Wozzeck, macht das wirklich überragend: klar in der Artikulation, ganz natürlich verbindet er die verschiedenen Formen des Singens und Sprechens und spielt dazu noch sehr intensiv. Aber das gilt insgesamt für das Ensemble, neben Oliver Zwarg möchte ich noch Peter Lodahl als Hauptmann, Matthew Vickers als Tambourmajor und Johannes Seakhoon Moon als Doktor, und vor allem auch Anne-Fleur Werner als Marie nennen. Also musikalisch - von den Solisten, über Chor und Orchester bis zum Dirigenten – war das eine wirklich beeindruckende Aufführung.
Bleibt die Frage nach der Bühne und der Inszenierung?
Da entfernt sich Karsten Wiegand doch relativ weit von der Vorlage. Für ihn zeigt dieses Stück, bei Büchner wie bei Berg, ein Menschenexperiment. D.h. wir alle schauen auf diesen Wozzeck: was macht er, wie reagiert er, hat er Halluzinationen, wie reagiert sein Körper auf die einseitige Ernährung usw. Und so bekommt man in Darmstadt eine „Laborsituation“ zu sehen: Die Bühne ist beherrscht von einer großen, weißen quadratischen Spielfläche. Darauf ist Wozzeck gefangen und diesen Raum betritt auch sonst niemand. Rechts und links begrenzt eine weiße Mauer den Raum, in dem schmalen Gang zwischen Quadrat und Mauer befinden sich die anderen Personen des Stücks. Wir haben hier also auf der einen Seite eine Laborsituation, auf der anderen Seite geht Karsten Wiegand davon aus, dass sich alles im Kopf von Wozzeck abspielt, der sich rückblickend fragt, wie das alles so kommen und geschehen konnte. D.h. den Blick von außen, den bieten nur Videofilme und -projektionen. Der Abend beginnt also mit einem Film, in dem man sieht wie Wozzeck gehetzt durch den Wald eilt, wie er in der Dunkelheit und panisch in den See geht – irgendwann später setzt sich dieser Film dann fort und man sieht, wie er ertrinkt.
Diese realistische Darstellung bietet aber nur den Rahmen, ansonsten – wie gesagt – gibt es diesen Laborblick, einen verfremdeten Blick auf Wozzeck z.B. mit einer Wärmebild-Kamera oder andere kurze Video-Sequenzen. Das heißt aber auch, dass es eben keine Darstellung der Szenen gibt, es gibt kein Seeufer, kein Wirtshaus, gelegentlich werden diese Ortsangaben eingeblendet. Es heißt aber vor allem auch, dass es keine wirkliche Interaktion zwischen den Figuren gibt, und das ist wohl das ungewöhnlichste dieser Inszenierung.
Funktioniert dieser Ansatz – und wie hat das Publikum reagiert?
Es ist ein ungewöhnlicher, und auch radikaler Zugang zu Bergs Oper, aber wenn man sich darauf einlässt, finde ich, funktioniert das gut. Vor allem auch, weil Oliver Zwarg mit seinem intensiven, auch sehr physischen Spiel den Wozzeck trotzdem erfahrbar macht, und so einen das traurige Schicksal trotz Laborsituation berührt. Das Premierenpublikum in Darmstadt war begeistert und hat die Darsteller und auch das Regieteam gefeiert. Das Stück dauert übrigens nur knapp 1 ¾ Stunden, also ein kurzes, aber sehr intensives Erlebnis.
Weitere Termine: 25. & 31. Mai, 13. & 21. Juni, 03. Juli
Sendung: hr2.kultur, 19.5.2025, 7:30 Uhr